Erotik auf Arabisch
Sie habe genug gehabt von den Tabus der arabischen Gesellschaft, was Erotik betrifft, sagt Joumana Haddad, Gründerin der Erotik-Zeitschrift "Jasad" in Beirut. "Ich wollte einen intellektuellen Platz schaffen für diese Themen", so die libanesische Autorin über ihr Magazin, das seit etwa zwei Jahren existiert.
Frank Meyer: Seit knapp zwei Jahren erscheint in Beirut die Zeitschrift "Jasad". "Jasad" bedeutet: Körper, das ist eine Erotikzeitschrift, sie erscheint auf Arabisch – und sie wird von einer Frau herausgegeben, von Joumana Haddad. Der Widerstand gegen diese Zeitschrift war und ist groß - religiöse Frauenverbände und islamische Gruppen versuchen bis heute, "Jasad" verbieten zu lassen.
Die Herausgeberin und Autorin Joumana Haddad ist gerade in Deutschland, sie stellt hier ein Buch vor, in dem sie unter anderem von den Erfahrungen mit der ihrem Erotik-Magazin berichtet. "Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer arabischen Frau", so heißt dieses Buch. Ich habe vor der Sendung mit Joumana Haddad gesprochen und sie zuerst gefragt:
Warum haben Sie Scheherazade getötet – was haben Sie gegen die Geschichtenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht?
Joumana Haddad: Ich habe Scheherazade getötet, weil ich denke, dass sie das Symbol einer Frau repräsentiert, einer Frau, die Zugeständnisse ihrer eigenen Grundrechte betreffend macht, die diese sozusagen aufgibt. Man kennt ja die Geschichte: Sie erzählte dem König immer mehr Geschichten und Geschichten, um am Leben bleiben zu können. Und das ist nicht wirklich ein Widerstand, den sie leistete, sondern das war eigentlich die Aufgabe ihrer eigenen Rechte. Und wir sind jetzt an einem Zeitpunkt angekommen, an dem ich sagen möchte: Genug davon!
Meyer: Und Ihre eigene Art von Widerstand beschreiben Sie einmal sehr plakativ und deutlich mit einem Begriff, da sagen Sie, Sie sind eine Fanatikerin der Weiblichkeit – was bedeutet das?
Haddad: Ich meine damit, dass die Frau meiner Meinung nach eine weibliche Identität hat, in der eine große Kraft steckt. Und die Frauen müssen nicht so denken, sprechen oder handeln wie die Männer, um ihre Stärke zu beweisen. Und vor allem müssen Sie davon wegkommen, immer dem Bild des Opfers zu entsprechen oder sich darauf auszuruhen. Ich denke, Frauen sind als Frauen sehr stark, ohne weiter männliche Attribute anzunehmen oder Eigenarten der Männer. Sie können ihre Stärke selbst beweisen, ohne diese Zusätze.
Meyer: Es ist nun sehr interessant in Ihrem Buch zu lesen, wenn Sie beschreiben, wie Ihr Lebensweg war, wie Sie dahin gekommen sind zu dem, was Sie heute tun. Sie erzählen zum Beispiel, dass ganz entscheidend dafür das Lesen war, dass Sie schon als Zwölfjährige erotische Bücher von Marquis de Sade in die Hände bekommen haben. Was hat das denn damals bei Ihnen als Zwölfjährige ausgelöst?
Haddad: Dieses Lesen hat sozusagen mein eigentliches Ich erst ermöglicht, es ausgelöst, es befreit. Ich bin in einer sehr schwierigen Situation aufgewachsen, inmitten von Krieg, in einer sehr konservativen Familie, in der es sehr viele Verbote gab. Mein Leben war also ziemlich eingeschränkt in einer gewissen Hinsicht, und das Lesen hat mir die Chance gegeben, mich selbst zu befreien. Und diese Chance habe ich schon sehr jung bekommen, die Chance, auch viel zu lesen und sehr weitgehende Literatur, also sehr freizügige Texte schon in sehr jungen Jahren – wie Sie sagten, Marquis de Sade, dann Anais Nin, Henry Miller oder Nabokov. Das sind alles Bücher, die auch meine Fantasie befreit haben, mein Denken befreit haben von den Beschränkungen, denen ich ausgesetzt war. Und Sie haben auch erst die Autorin ermöglicht, die ich später geworden bin. Sie haben mir klargemacht, dass es für mich keine Beschränkungen geben wird bei dem auch, was ich schreiben möchte, keine Zensur, der ich mich beugen würde. Nicht dass irgendjemand kommt und mir sagt, das ist schlecht, das sollst du nicht schreiben – das gibt es für mich nicht.
Meyer: Und es gibt auch eine direkte Linie von diesen frühen Lektüren zu dem, was Sie heute schreiben, aber auch, was Sie als Herausgeberin tun: Vor zwei Jahren haben Sie eine erotische Zeitschrift gegründet, die auf Arabisch erscheint – was hat dafür den Anstoß gegeben, dass Sie das machen wollten?
Haddad: Der erste Grund für die Gründung von "Jasad" war ein persönlicher, und zwar ging es einfach nur um meine eigene persönliche Leidenschaft auf diese Themen bezogen, auf Themen des Körpers, der Erotik, der Sexualität. Das war auch ein Universum, in dem ich mich beim Schreiben bewegte und vor allem auch beim Lesen – das hat mich immer sehr interessiert, Bücher dieser Thematiken zu lesen. Und der zweite Grund ist ein äußerer Grund, und der bestand darin, dass ich genug hatte von den Tabus der arabischen Gesellschaft, was diese Themen betrifft, die immer wieder unter den Teppich gekehrt wurden. Man durfte nicht offen darüber sprechen, man darf es nicht, obwohl eigentlich schon im zehnten, elften Jahrhundert Texte von arabischen Autoren entstanden sind, die auf eine wundervolle natürliche Art und Weise mit diesen Themen umgehen. Und diese Beschränkungen, die man jetzt erfährt, die erschienen mir als sehr unfair und haben mich auch wütend gemacht. Und ich wollte in diesem Sinne dagegen einen intellektuellen Platz schaffen für diese Themen.
Meyer: Sind das jetzt vor allem Frauen oder vor allem Männer, die schreiben für Ihre Zeitschrift, und unterzeichnen die auch mit ihrem eigenen Namen?
Haddad: Es gibt keinerlei Pseudonyme in meiner Zeitschrift, das lasse ich nicht zu, das war eine der Hauptbedingungen für diese Zeitschrift. Denn wenn man Pseudonyme zulassen würde, dann wäre es ja so, als ob man bei diesem Stillstand einfach mitmacht, als ob man weiter sich hinter seinen Fingern verstecken würde. Und es ist so, dass Männer und Frauen für die Zeitschrift schreiben, aber leider sind es etwas mehr Männer, da es für sie immer noch leichter ist in der arabischen Welt, sich zu diesen Themen zu äußern. Aber ich ermutige immer mehr Frauen, auch sehr stark mitzuarbeiten. Und da gibt es auch schöne Beispiele von Frauen, die zuerst Angst hatten, sich zu äußern, dann aber die Angebote akzeptiert haben zu schreiben, was am Ende dann zu ganz großartigen Ergebnissen geführt hat.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, die libanesische Autorin Joumana Haddad ist bei uns im Studio, wir sprechen über ihre erotische Zeitschrift "Jasad" und über ihr neues Buch mit Bekenntnissen einer zornigen arabischen Frau. Sie haben in Interviews auch erzählt, dass Sie Hassmails bekommen wegen dieser Zeitschrift, dass es erhebliche Widerstände gibt gegen diese Zeitschrift, die ja vor zwei Jahren ungefähr gestartet ist. Wie ist das heute, gibt es nach wie vor diesen starken Widerstand in der libanesischen Gesellschaft gegen so ein Projekt?
Haddad: Also ich muss sagen, dass es jetzt weniger Leute sind, die sich beschweren, oder dass es heute weniger so ist, dass ich diesen Widerstand spüre, als es am Anfang so war. Vielleicht ist es so, dass die Leute, die am Anfang sich gegen diese Zeitschrift gewendet haben, die sie attackiert haben, das Ziel vor Augen hatten, dass die Zeitschrift schließen muss. Und jetzt haben sie gemerkt, trotz allen Protestes bleibt das Magazin bestehen. Also mussten sie sich damit abfinden, dass es zur Realität gehört. Sie haben es also als Realität akzeptieren müssen. Und natürlich kriege ich trotzdem noch meine tägliche Dosis von Hassmails oder auch Bedrohungen und so weiter, aber dabei darf man nicht vergessen, dass ich auch sehr viel Unterstützung bekomme, sehr viele positive Zuschriften von Leuten, die die Zeitschrift mögen und die sie auch als nötig erachten. Und ich kann deshalb überhaupt nicht klagen, man muss auch immer die positive Seite sehen.
Meyer: Sie erzählen von Ihren Erfahrungen mit der Zeitschrift auch in Ihrem Buch, auch von dem Widerstand, den es dagegen gab, Sie wenden sich in dem Buch aber auch immer wieder ganz ausdrücklich an Leserinnen und Leser im Westen, also hier bei uns. Was wollen Sie uns in erster Linie sagen?
Haddad: Ich habe das Buch tatsächlich hauptsächlich für westliche Leser geschrieben, und das rührte aus einer Art von Provokation seitens einer westlichen Journalistin her, die mir gegenüber nämlich sagte, dass sie gar nicht wusste, dass es Frauen wie mich in der arabischen Welt gäbe. Und das ist aber so ein Klischee, das sehr weit verbreitet ist, und dagegen wollte ich mit diesem Buch anschreiben. Natürlich gibt es diese Frauen auch, von der dieses Klischee ausgeht, die im Westen gesehen werden als die Unterdrückten und die Verschleierten, all diese Frauen gibt es ja tatsächlich in der arabischen Welt, aber es gibt eben auch andere. Das mag eine Minderheit sein, aber es gibt diese freien, emanzipierten und selbstbewussten, eigenständig handelnden Frauen, die für sich da sind, aber auch für die unterdrückten Frauen wiederum eintreten. Und gegen dieses Klischee wollte ich mich halt wenden. Aber als Zweites hatte ich auch die arabischen Leser zunehmend im Kopf, denn es reicht ja nicht aus, sich immer nur dem Westen gegenüberzustellen und sagen, wir sind gar nicht alle so unterdrückt, wie ihr immer tut, und natürlich sind wir auch frei – man muss auch sehen, dass es in diesem Missverständnis zwei Verantwortliche gibt. Also auf der anderen Seite natürlich auch die arabischen Menschen, und da auch zu einem Großteil die arabischen Frauen, die sich viel zu oft zu Komplizen ihrer eigenen Unterdrückung machen, die ihr Klischee sozusagen leben. Und aus dieser Schwäche, in die sie sich hineingefunden haben, möchte ich sie gerne rausschütteln.
Meyer: Man hat überhaupt, wenn man das Buch liest, ein bisschen auch wie bei diesem Thema das Gefühl, dass Sie eigentlich zwischen allen Stühlen sitzen mit Ihrer Position, weil Sie einerseits sagen, Sie haben diese westlichen Vorurteile satt, dass in den arabischen Ländern alle ungebildet, unterwürfig und so weiter seien, aber gleichzeitig, wenn Sie Ihren eigenen Befund für die arabischen Gesellschaften schreiben, dann schreiben Sie da, die Gegenaufklärung marschiert zurzeit voran, Araber sein heißt heute, in einer Herde aufgehen, seine Individualität aufgeben, und Sie sagen auch, Sie leben in einem arabischen Land eigentlich in einer Welt des Stillstands, es sind keine Auswege zu sehen. Also man hat den Eindruck, wenn Sie die Verfasstheit der arabischen Gesellschaften beschreiben, dass Sie eigentlich im Moment keine Hoffnung haben auf zivilere, demokratischere, freiere Verhältnisse.
Haddad: Ich muss zugeben, dass ich nicht wirklich sehr optimistisch bin, wenn ich ehrlich mit mir bin. Ich sage immer, dass das Leben in der arabischen Welt so ist, als ob man sich zwischen vier Wänden befindet und immer wieder mit dem Kopf an die Wand rennt und alles, was man davon hat, sind nur noch mehr Wunden, Wunden an Körper und Seele. Und daraus entstünde natürlich die Frage: Warum bleibe ich denn dann da, warum bleibe ich dort? Ich könnte überall leben, aber es ist eben so: Ich bleibe, weil ich doch glaube, dass etwas passieren kann, das uns aus dieser Situation, in der wir leben, rausholt, dass wir etwas verändern können. Je mehr Leute wütend über unsere Situation werden und etwas dagegen tun, umso konstruktiver wird diese Wut. Und wir brauchen eine konstruktive Wut, keine destruktive, die nur sagt, alles ist schlecht. Wir müssen Wege daraus finden. Und ich denke, dann kann man auch an der Realität etwas verändern, davon bin ich überzeugt.
Meyer: Joumana Haddad war bei uns. Wir haben über ihr Buch geredet, "Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau". Das Buch ist jetzt bei uns im Hans-Schiler-Verlag erschienen, für 18 Euro können Sie das bekommen. Ma’rei Ah-‚mia hat unser Gespräch hier übersetzt, an Sie vielen Dank, und an Sie, Joumana Haddad, viel Erfolg mit Ihrer Zeitschrift, Ihrem Buch, mit allem anderen, was Sie vorhaben, und vielen Dank für den Besuch!
Haddad: Vielen Dank!
Link:
Homepage der Zeitschrift "Jasad"
Die Herausgeberin und Autorin Joumana Haddad ist gerade in Deutschland, sie stellt hier ein Buch vor, in dem sie unter anderem von den Erfahrungen mit der ihrem Erotik-Magazin berichtet. "Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer arabischen Frau", so heißt dieses Buch. Ich habe vor der Sendung mit Joumana Haddad gesprochen und sie zuerst gefragt:
Warum haben Sie Scheherazade getötet – was haben Sie gegen die Geschichtenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht?
Joumana Haddad: Ich habe Scheherazade getötet, weil ich denke, dass sie das Symbol einer Frau repräsentiert, einer Frau, die Zugeständnisse ihrer eigenen Grundrechte betreffend macht, die diese sozusagen aufgibt. Man kennt ja die Geschichte: Sie erzählte dem König immer mehr Geschichten und Geschichten, um am Leben bleiben zu können. Und das ist nicht wirklich ein Widerstand, den sie leistete, sondern das war eigentlich die Aufgabe ihrer eigenen Rechte. Und wir sind jetzt an einem Zeitpunkt angekommen, an dem ich sagen möchte: Genug davon!
Meyer: Und Ihre eigene Art von Widerstand beschreiben Sie einmal sehr plakativ und deutlich mit einem Begriff, da sagen Sie, Sie sind eine Fanatikerin der Weiblichkeit – was bedeutet das?
Haddad: Ich meine damit, dass die Frau meiner Meinung nach eine weibliche Identität hat, in der eine große Kraft steckt. Und die Frauen müssen nicht so denken, sprechen oder handeln wie die Männer, um ihre Stärke zu beweisen. Und vor allem müssen Sie davon wegkommen, immer dem Bild des Opfers zu entsprechen oder sich darauf auszuruhen. Ich denke, Frauen sind als Frauen sehr stark, ohne weiter männliche Attribute anzunehmen oder Eigenarten der Männer. Sie können ihre Stärke selbst beweisen, ohne diese Zusätze.
Meyer: Es ist nun sehr interessant in Ihrem Buch zu lesen, wenn Sie beschreiben, wie Ihr Lebensweg war, wie Sie dahin gekommen sind zu dem, was Sie heute tun. Sie erzählen zum Beispiel, dass ganz entscheidend dafür das Lesen war, dass Sie schon als Zwölfjährige erotische Bücher von Marquis de Sade in die Hände bekommen haben. Was hat das denn damals bei Ihnen als Zwölfjährige ausgelöst?
Haddad: Dieses Lesen hat sozusagen mein eigentliches Ich erst ermöglicht, es ausgelöst, es befreit. Ich bin in einer sehr schwierigen Situation aufgewachsen, inmitten von Krieg, in einer sehr konservativen Familie, in der es sehr viele Verbote gab. Mein Leben war also ziemlich eingeschränkt in einer gewissen Hinsicht, und das Lesen hat mir die Chance gegeben, mich selbst zu befreien. Und diese Chance habe ich schon sehr jung bekommen, die Chance, auch viel zu lesen und sehr weitgehende Literatur, also sehr freizügige Texte schon in sehr jungen Jahren – wie Sie sagten, Marquis de Sade, dann Anais Nin, Henry Miller oder Nabokov. Das sind alles Bücher, die auch meine Fantasie befreit haben, mein Denken befreit haben von den Beschränkungen, denen ich ausgesetzt war. Und Sie haben auch erst die Autorin ermöglicht, die ich später geworden bin. Sie haben mir klargemacht, dass es für mich keine Beschränkungen geben wird bei dem auch, was ich schreiben möchte, keine Zensur, der ich mich beugen würde. Nicht dass irgendjemand kommt und mir sagt, das ist schlecht, das sollst du nicht schreiben – das gibt es für mich nicht.
Meyer: Und es gibt auch eine direkte Linie von diesen frühen Lektüren zu dem, was Sie heute schreiben, aber auch, was Sie als Herausgeberin tun: Vor zwei Jahren haben Sie eine erotische Zeitschrift gegründet, die auf Arabisch erscheint – was hat dafür den Anstoß gegeben, dass Sie das machen wollten?
Haddad: Der erste Grund für die Gründung von "Jasad" war ein persönlicher, und zwar ging es einfach nur um meine eigene persönliche Leidenschaft auf diese Themen bezogen, auf Themen des Körpers, der Erotik, der Sexualität. Das war auch ein Universum, in dem ich mich beim Schreiben bewegte und vor allem auch beim Lesen – das hat mich immer sehr interessiert, Bücher dieser Thematiken zu lesen. Und der zweite Grund ist ein äußerer Grund, und der bestand darin, dass ich genug hatte von den Tabus der arabischen Gesellschaft, was diese Themen betrifft, die immer wieder unter den Teppich gekehrt wurden. Man durfte nicht offen darüber sprechen, man darf es nicht, obwohl eigentlich schon im zehnten, elften Jahrhundert Texte von arabischen Autoren entstanden sind, die auf eine wundervolle natürliche Art und Weise mit diesen Themen umgehen. Und diese Beschränkungen, die man jetzt erfährt, die erschienen mir als sehr unfair und haben mich auch wütend gemacht. Und ich wollte in diesem Sinne dagegen einen intellektuellen Platz schaffen für diese Themen.
Meyer: Sind das jetzt vor allem Frauen oder vor allem Männer, die schreiben für Ihre Zeitschrift, und unterzeichnen die auch mit ihrem eigenen Namen?
Haddad: Es gibt keinerlei Pseudonyme in meiner Zeitschrift, das lasse ich nicht zu, das war eine der Hauptbedingungen für diese Zeitschrift. Denn wenn man Pseudonyme zulassen würde, dann wäre es ja so, als ob man bei diesem Stillstand einfach mitmacht, als ob man weiter sich hinter seinen Fingern verstecken würde. Und es ist so, dass Männer und Frauen für die Zeitschrift schreiben, aber leider sind es etwas mehr Männer, da es für sie immer noch leichter ist in der arabischen Welt, sich zu diesen Themen zu äußern. Aber ich ermutige immer mehr Frauen, auch sehr stark mitzuarbeiten. Und da gibt es auch schöne Beispiele von Frauen, die zuerst Angst hatten, sich zu äußern, dann aber die Angebote akzeptiert haben zu schreiben, was am Ende dann zu ganz großartigen Ergebnissen geführt hat.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, die libanesische Autorin Joumana Haddad ist bei uns im Studio, wir sprechen über ihre erotische Zeitschrift "Jasad" und über ihr neues Buch mit Bekenntnissen einer zornigen arabischen Frau. Sie haben in Interviews auch erzählt, dass Sie Hassmails bekommen wegen dieser Zeitschrift, dass es erhebliche Widerstände gibt gegen diese Zeitschrift, die ja vor zwei Jahren ungefähr gestartet ist. Wie ist das heute, gibt es nach wie vor diesen starken Widerstand in der libanesischen Gesellschaft gegen so ein Projekt?
Haddad: Also ich muss sagen, dass es jetzt weniger Leute sind, die sich beschweren, oder dass es heute weniger so ist, dass ich diesen Widerstand spüre, als es am Anfang so war. Vielleicht ist es so, dass die Leute, die am Anfang sich gegen diese Zeitschrift gewendet haben, die sie attackiert haben, das Ziel vor Augen hatten, dass die Zeitschrift schließen muss. Und jetzt haben sie gemerkt, trotz allen Protestes bleibt das Magazin bestehen. Also mussten sie sich damit abfinden, dass es zur Realität gehört. Sie haben es also als Realität akzeptieren müssen. Und natürlich kriege ich trotzdem noch meine tägliche Dosis von Hassmails oder auch Bedrohungen und so weiter, aber dabei darf man nicht vergessen, dass ich auch sehr viel Unterstützung bekomme, sehr viele positive Zuschriften von Leuten, die die Zeitschrift mögen und die sie auch als nötig erachten. Und ich kann deshalb überhaupt nicht klagen, man muss auch immer die positive Seite sehen.
Meyer: Sie erzählen von Ihren Erfahrungen mit der Zeitschrift auch in Ihrem Buch, auch von dem Widerstand, den es dagegen gab, Sie wenden sich in dem Buch aber auch immer wieder ganz ausdrücklich an Leserinnen und Leser im Westen, also hier bei uns. Was wollen Sie uns in erster Linie sagen?
Haddad: Ich habe das Buch tatsächlich hauptsächlich für westliche Leser geschrieben, und das rührte aus einer Art von Provokation seitens einer westlichen Journalistin her, die mir gegenüber nämlich sagte, dass sie gar nicht wusste, dass es Frauen wie mich in der arabischen Welt gäbe. Und das ist aber so ein Klischee, das sehr weit verbreitet ist, und dagegen wollte ich mit diesem Buch anschreiben. Natürlich gibt es diese Frauen auch, von der dieses Klischee ausgeht, die im Westen gesehen werden als die Unterdrückten und die Verschleierten, all diese Frauen gibt es ja tatsächlich in der arabischen Welt, aber es gibt eben auch andere. Das mag eine Minderheit sein, aber es gibt diese freien, emanzipierten und selbstbewussten, eigenständig handelnden Frauen, die für sich da sind, aber auch für die unterdrückten Frauen wiederum eintreten. Und gegen dieses Klischee wollte ich mich halt wenden. Aber als Zweites hatte ich auch die arabischen Leser zunehmend im Kopf, denn es reicht ja nicht aus, sich immer nur dem Westen gegenüberzustellen und sagen, wir sind gar nicht alle so unterdrückt, wie ihr immer tut, und natürlich sind wir auch frei – man muss auch sehen, dass es in diesem Missverständnis zwei Verantwortliche gibt. Also auf der anderen Seite natürlich auch die arabischen Menschen, und da auch zu einem Großteil die arabischen Frauen, die sich viel zu oft zu Komplizen ihrer eigenen Unterdrückung machen, die ihr Klischee sozusagen leben. Und aus dieser Schwäche, in die sie sich hineingefunden haben, möchte ich sie gerne rausschütteln.
Meyer: Man hat überhaupt, wenn man das Buch liest, ein bisschen auch wie bei diesem Thema das Gefühl, dass Sie eigentlich zwischen allen Stühlen sitzen mit Ihrer Position, weil Sie einerseits sagen, Sie haben diese westlichen Vorurteile satt, dass in den arabischen Ländern alle ungebildet, unterwürfig und so weiter seien, aber gleichzeitig, wenn Sie Ihren eigenen Befund für die arabischen Gesellschaften schreiben, dann schreiben Sie da, die Gegenaufklärung marschiert zurzeit voran, Araber sein heißt heute, in einer Herde aufgehen, seine Individualität aufgeben, und Sie sagen auch, Sie leben in einem arabischen Land eigentlich in einer Welt des Stillstands, es sind keine Auswege zu sehen. Also man hat den Eindruck, wenn Sie die Verfasstheit der arabischen Gesellschaften beschreiben, dass Sie eigentlich im Moment keine Hoffnung haben auf zivilere, demokratischere, freiere Verhältnisse.
Haddad: Ich muss zugeben, dass ich nicht wirklich sehr optimistisch bin, wenn ich ehrlich mit mir bin. Ich sage immer, dass das Leben in der arabischen Welt so ist, als ob man sich zwischen vier Wänden befindet und immer wieder mit dem Kopf an die Wand rennt und alles, was man davon hat, sind nur noch mehr Wunden, Wunden an Körper und Seele. Und daraus entstünde natürlich die Frage: Warum bleibe ich denn dann da, warum bleibe ich dort? Ich könnte überall leben, aber es ist eben so: Ich bleibe, weil ich doch glaube, dass etwas passieren kann, das uns aus dieser Situation, in der wir leben, rausholt, dass wir etwas verändern können. Je mehr Leute wütend über unsere Situation werden und etwas dagegen tun, umso konstruktiver wird diese Wut. Und wir brauchen eine konstruktive Wut, keine destruktive, die nur sagt, alles ist schlecht. Wir müssen Wege daraus finden. Und ich denke, dann kann man auch an der Realität etwas verändern, davon bin ich überzeugt.
Meyer: Joumana Haddad war bei uns. Wir haben über ihr Buch geredet, "Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau". Das Buch ist jetzt bei uns im Hans-Schiler-Verlag erschienen, für 18 Euro können Sie das bekommen. Ma’rei Ah-‚mia hat unser Gespräch hier übersetzt, an Sie vielen Dank, und an Sie, Joumana Haddad, viel Erfolg mit Ihrer Zeitschrift, Ihrem Buch, mit allem anderen, was Sie vorhaben, und vielen Dank für den Besuch!
Haddad: Vielen Dank!
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