Eröffnung Internationales Literaturfestival Berlin

Glaube an Afrikas Zukunft

05:52 Minuten
Petina Gappah im März 2018 bei einer Lesung und Präsentation Ihres Buches "Die Schuldigen von Rotten Row" in der Berliner Buchhandlung Dante Connection.
Die simbabwische Autorin Petina Gappah erläuterte in ihrer Eröffnungsrede des Literaturfestivals, dass der europäische Kolonialismus auch für den heutigen Rassismus gegen Afrikaner verantwortlich ist. © imago stock&people
Von Tobias Wenzel · 11.09.2019
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120 Autoren sind beim diesjährigen Internationalen Literaturfestival Berlin zu erleben. Bei der Eröffnungsrede erinnerte die Schriftstellerin Petina Gappah, dass die Aufteilung Afrikas vor 135 Jahren auch in Berlin entschieden wurde.
Die Eröffnungsrede der Schriftstellerin und Anwältin Petina Gappah aus Simbabwe im Berliner Theater Hebbel am Ufer hatte den etwas sperrige Titel: "Auf Reisen mit den Vergessenen, im Andenken an die Verstorbenen: Erzählungen vom gestrigen Europa und dem Afrika von heute".
Petina Gappah: "Bevor ich zu meinem Vortrag komme, möchte ich sehr herzlich den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern danken, von denen einige heute hier sind. I used your money well!"
Das ging runter wie Öl! Augenzwinkernd und auch noch auf Deutsch bedankte sich Petina Gappah bei den Besuchern dafür, dass sie letztlich ihr DAAD-Stipendium und ihre Eröffnungsrede beim 19. Internationale Literaturfestival Berlin ermöglicht haben.

Afrika wurde enteignet

Da ahnten die Zuhörer im Hebbel am Ufer noch nicht, dass es schon sehr bald unbequem für sie werden würde, die Worte nicht mehr so leicht verdaulich, wie das an die Leinwand projizierte Video von einem halbtransparenten Vorhang, der sich sanft im Wind bewegt. Gappah erzählte von ihrem Land Simbabwe, von der mündlichen Überlieferung von Geschichte und Geschichten, von der Totem-Vorstellung. Von der Zeit vor der Kolonialisierung. 1890 sei dann ihrem Urgroßvater gesagt worden, das Land gehöre ihm nicht mehr.
Das Schicksal ihres Urgroßvaters und der folgenden Generationen bis zu ihr und ihrem Sohn sei – und da horchten viele Besucher auf – in Berlin beschlossen worden: "Hier in Berlin wurde verfügt, dass ich Englisch sprechen würde. Konfrontiert mit einem ungeheuren Gehacke um afrikanisches Territorium versammelten sich 1884 vierzehn europäische Mächte in Berlin. In dieser Stadt begann die Geschichte der modernen afrikanischen Staaten auf Grundlage von Grenzziehungen durch eine Handvoll Männer in Hofkleidung, die wie Kinder bei einer Partie Risiko um einen Tisch saßen und einen Kontinent unter sich aufteilten."

Deutschlands Verantwortung für Gut und Göse

Bismarck hatte zur so genannten "Kongokonferenz" ins Reichskanzlerpalais in die Wilhelmstraße geladen. Das Gebäude, das später auch Hitler als Reichskanzlei nutzte, wurde von den Alliierten zerbombt, existiert nicht mehr. Die Verantwortung der Deutschen aber bleibt:
"Deutschland war nur sehr kurz in Afrika, doch selbst diese kurze Begegnung hat ihre Spuren hinterlassen. Ihre Geschichte, die Geschichte Europas, ist unsere afrikanische Gegenwart. Die größten Schäden verursachte der Kolonialismus nicht durch die physische Umformung der afrikanischen Nationen, sondern mit dem binären Gegensatz, den er erzeugte, zwischen dem Selbst und dem Anderen, zwischen weiß und schwarz, gut und böse, höherwertig und minderwertig."

Bibel im Tausch gegen Landraub

Letztlich sind die Europäer auch für den heutigen Rassismus gegen Afrikaner verantwortlich, hörte man heraus.
"In Simbabwe erfreut sich folgender Witz großer Beliebtheit: Als der weiße Mann kam, hatte er die Bibel und wir hatten das Land. Er sagte: 'Schließt eure Augen, lasst uns beten'. Und als wir unsere Augen wieder öffneten, hatten wir die Bibel und er das Land."

Afrika muss auch selbst gegen Korruption kämpfen

In einem guten Witz stecke eben auch Wahrheit. Aber was folgt aus dem Befund? Petina Gappah forderte einerseits die Europäer auf, ihre Schuld anzuerkennen und das Wissen darum an die folgenden Generationen weiterzugeben. Die Afrikaner wiederum dürften nicht alles auf die Kolonialisierung schieben und müssten selbst die Verantwortung für Korruption und Ungleichheit in ihren Ländern tragen.
An dieser Stelle hätte man auch Selbstkritik von Petina Gappah erwartet. Aber sie kam nicht. Gappah hatte nach dem Putsch gegen Diktator Robert Mugabe für den neuen Präsidenten Simbabwes, Emmerson Mnangagwa, als Handelsberaterin gearbeitet. Mnangagwa war ein treuer Mugabe-Gefolgsmann, der politisch mitverantwortlich für Morde an der Zivilbevölkerung war.

Geschichten von Liebe erzählen

Mittlerweile berät Gappah nicht mehr die Regierung. Aber sie hat sich und ihrer Rede keinen Gefallen damit getan, darüber nicht ausführlicher zu sprechen. Stattdessen blickte sie nach vorne: "Ich glaube fest, dass Afrika die Zukunft ist."
Es folgte ein Plädoyer für die politische Kraft der Literatur. Gappah setzt besonders auf den historischen Roman – sie selbst stellt ihren eigenen beim Festival vor – eine Literatur, mit der man die Zeit der Kolonialisierung fassbar machen könne. Und zwar durch das Herausarbeiten von Einzelschicksalen, von oft vergessenen, von der Geschichtsschreibung unerwähnten Menschen. Menschen, an die Bertolt Brecht in einem Gedicht erinnert hat und das Gappah vorliest:
"Wer baute das siebentorige Theben?"
Auf Deutsch begann Petina Gappah ihre Rede. Und auf Deutsch las sie auch den letzten Vers von Brechts Gedicht:
"So viele Berichte. So viele Fragen."
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