Ernst und staatstragend

Moderation: Katrin Heise |
Als ziemlich ernst und konventionell hat Professor Klaus Siebenhaar die Plakatwerbung zur Bundestagswahl bezeichnet. Schröder gebe sich mal staatstragend, mal legère, sagte Siebenhaar. Merkel hingegen solle als dynamische Kraft in Szene gesetzt werden. Gelungen sei das Plakat der Linkspartei, auf dem die beiden Protagonisten eine Pose einnehmen, die dem Filmklassiker "Casablanca" entlehnt ist.
Heise: Jetzt widmen wir uns mal den Wahlplakaten. Wahlplakate wollen Gefühle wecken, müssen aber natürlich ohne Musik auskommen, und wie sie genau versuchen ihr Ziel zu erreichen, also uns den potentiellen Wähler und ob es dabei auch gute Plakate gibt, darüber unterhalte ich mich jetzt mit meinem Gast, Professor Klaus Siebenhaar, er ist Leiter des Instituts für Kultur und Medienmanagement an der Freien Universität Berlin, Guten Morgen.

Siebenhaar: Guten Morgen.

Heise: Bleiben wir doch gleich mal bei den besungenen, oder fast besungenen Gysi und Lafontaine. Da gibt es ja ein Plakat, was jetzt auch in allen möglichen Zeitungen schon abgebildet worden ist: Gysi und Lafontaine stehen nebeneinander, Lafontaine lächelt uns frontal an, und zwar als ob er sich irgendwie über Gysi freut, der ihn von der Seite, von unten von der Seite her, angrinst. Was wollen sie uns damit sagen?

Siebenhaar: Also ich entnahm heute früh der Presse, dass man sich an einem Filmplakat, an einem sehr berühmten, orientiert hat, nämlich Casablanca. Und dass der gute Gregor Gysi die Rolle von Bergmann spielt, Lafontaine Humphrey Bogart mimt.

Heise: An was hat es Sie erinnert?

Siebenhaar: Ich habe an eine meiner Lieblings-Kurzserien aus den 70er Jahren - die 70er Jahre scheinen ja wirklich ästhetisch das Revival der Wahlkampfpropaganda dieser Wochen zu sein, die Farbe Orange bei Angela Merkel, die schönen Songs aus den 70ern, nicht nur Angie - und ich habe an die zwei gedacht, Roger Moore und Tony Curtis, eine der großen, gerne wiederholten Serien. Ich glaube, nächste Woche läuft sie wieder an.

Heise: Würden Sie denn sagen, das ist ein gelungenes Wahlplakat? Kommen die da gut weg?

Siebenhaar: Das ist ein gelungenes Wahlplakat, weil es von den Zeitungen kostenlos abgedruckt worden ist und da geht es ja nur um eins, um das Kostbarste, was man in unserer Mediengesellschaft erhaschen kann, nämlich Aufmerksamkeit.

Heise: Der Kanzler versucht natürlich auch Aufmerksamkeit zu erhaschen. Er wird uns, wenn es um Soziales und Gerechtigkeit geht, leger im Oberhemd gezeigt. Wenn es um Frieden geht, dann schaut er so staatsmännisch rechts aus dem Bild heraus. Ist das gelungen?

Siebenhaar: Gerhard Schröder ist ja bereits eine Marke und vielfältig von Gerd-Show bis zur Curry-Wurst gesetzt. Er nimmt auf dem Plakat seine Lieblingsrollen ein. Auf der einen Seite der Staatsmann und Weltenlenker und dann guckt er ganz ernst und dazu dann die entsprechende, wegweisende Handbewegung und andererseits der Kanzler zum Anfassen, also Brioni und Currywurst, wie man das gerne nennt, dann wirkt er kumpelhaft, hat also kein Sakko an und seht da im Hemd und die Hand wird dann auch offener. Auf den ganzen Wahlplakaten, besonders der SPD, kann man ja einen kleinen Trainingskurs in Sachen Schauspielführung nehmen. Es ist eher amerikanisch, mit illustrativen Gesten, also dass, was gute Schauspieler eigentlich zu vermeiden versuchen, das was sie ausdrücken wollen, noch mal mit einer Geste zu unterstreichen. Das findet hier sehr stark statt.

Heise: Bei Frau Merkel findet es nicht statt. Ist das ein Fehler?

Siebenhaar: Frau Merkel muss ja als Marke erst eingeführt werden - um im Werbejargon zu bleiben - also muss man aus einer vermeintlichen Frau ohne Eigenschaften eine Frau mit Eigenschaften machen. Was auffällt im Unterschied zu Schröder, der einsam und allein für das steht und das auch allein durchstehen muss, hat sie ja gleichgezeichnet im Hintergrund Menschen, solche die zu ihr gucken und da sitzt sie dann in ihrer orangefarbenen Jacke mit neuer frischer Frisur - auch sie hat sich ja wirklich erstaunlich verändert, auch vom Make-up, vom Lidschatten - sie soll als vertrauenserweckende, dynamische Kraft erst gesetzt werden.

Heise: Wie werden unsere Augen bei einem solchen Plakat eigentlich gelenkt? Was erfassen wir zu erst? Frau Merkel im Vordergrund und hinten die Menschen, aber dann geht es irgendwie in den Kopf rein. Und der Text, welche Rolle spielt der?

Siebenhaar: Den Text schaffen wir kaum, weil wir vorbeifahren. Höchstens Fußgänger können sich mit dem Text befassen. Es geht wirklich um das rein Visuelle, die Figur, die für etwas stehen muss, für eine bestimmte Rolle, für einen bestimmten Typus.

Heise: Welche Rolle spielen eigentlich Farben oder Überraschungen? Welche Tricks gibt es?

Siebenhaar: Für uns alle überraschend war die Wahl von Orange und wenn sie gestern den "vermeintlichen" Parteitag - es war eigentlich nur ein Eventtag der CDU -angeschaut haben, dann korrespondierte das schon ziemlich professionell mit Angie-Plakaten, wo eben nur Angie drauf stand, die reine Schrifttype und die Farbe Organe. Seit den Ereignissen in der Ukraine ist Orange wieder für Freiheit und für Wechsel und für Erneuerung gesetzt.

Heise: Wobei die CDU die Farbe Orange ja schon vorher für sich gewählt hatte.

Siebenhaar: Ja, aber das korrespondiert sehr schön. Es ist ja wichtig in einem plötzlich über uns gekommenen Wahlkampf, auf den man noch nicht so richtig vorbereitet war, etwas zu setzen.

Heise: Mir ist aufgefallen, Witz spielt dieses Mal gar keine Rolle. Es ist alles staatstragend.

Siebenhaar: Es ist ziemlich ernst und staatstragend, denn die Spaßgesellschaft haben wir ja vermeintlich oder wirklich zu Grabe getragen. Also wird es eher ernst und ich glaube, keine der Agenturen hat die Zeit gehabt, eine richtige, witzige und dann auf mittelfristige Wirkung angelegte Strategie zu entwickeln

Heise: Also es wirkt auf Sie ein bisschen mit schneller Feder?

Siebenhaar: Ja, es ist - sieht man mal von dem Gysi/Lafontaine-Plakat ab - es ist ziemlich konventionell.

Heise: Sie sind nicht begeistert von den Wahlplakaten. Würden Sie sagen, Wahlplakate sind nicht notwendig?

Siebenhaar: Sie machen einen Sinn im Kontext eines so genannten Mediamixes, das heißt einer Mediaplanung, wo die Plakate, es sind ja so genannte 18 Einzelplakate, Großplakate - die wild gehängten Kleinplakate der Lokalpolitiker kann man da vergessen, an denen rauscht man vorbei und die Gesichter sind auch nicht sonderlich markant, die sind auch nicht gut gemacht - aber die Großplakate in Verbindung mit Botschaften über die Massenmedien haben dann schon eine gewisse Werbewirkung und das Ganze ist ja auch ein extrem teurer Spaß.

Heise: Und wenn sie dann noch in Zeitungen abgedruckt werden, haben sie natürlich noch einen größeren Verbreitungsraum und wir würden wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen, dass Wahlkampf ist, wenn wir keine Wahlplakate hätten. Professor Klaus Siebenhaar zum Plakatwahlkampf der Parteien. Vielen Dank Herr Siebenhaar.