Ernst Neuferts "Bauentwurfslehre"

Die Vermaßung der Welt

Seit einigen Tagen steht im Weimarer Vorort Gelmeroda ein großer blauer Würfel. Die Neufert-Box, genannt nach dem Architekturbüro Neufert, Mittmann, Graf & Partner, erinnert in ihrer äußeren Gestaltung an den bedeutenden deutschen Architekten Ernst Neufert.
Die sogenannte "Neufert-Box", ein blauer Würfel im Weimarer Vorort Gelmeroda, die an den Architekten Ernst Neufert erinnert. © picture-alliance / ZB / Gordon Schmidt
Christian Hertweck im Gespräch mit Martin Böttcher · 03.06.2017
Wer als Architekt ein Gebäude konstruiert, kommt um Ernst Neuferts "Bauentwurfslehre" kaum herum. Das Standardwerk führt alle Maße auf, die man bei der Bauplanung braucht - ob es um den Platzbedarf einer Ziege geht oder die Breite der Badewanne.
Der wohl einflussreichste deutsche Architekt des 20. Jahrhunderts - das ist nicht Walter Gropius, Bruno Taut oder Meinhard von Gerkan - sondern Ernst Neufert.
Der ehemalige Bauhaus-Mitarbeiter ist Autor der "Bauentwurfslehre", einem Standardwerk, das inzwischen in der 41. Auflage erschienen ist. "Jedes Architekturbüro hat den Neufert im Schrank", betont der Berliner Architekt Christian Hertweck. Das etwa 600 Seiten starke Buch enthält alle Maße, die man beim Bauentwurf braucht: von der Höhe der Türklinke bis zum "Maßschritt" von 87,5 Zentimerten, der Breite einer Badewanne oder dem Platzbedarf einer Ziege.

Der Mann als Maß aller Dinge

Veröffentlicht wurde die "Bauentwurfslehre" erstmals 1936 und sie wird bis heute immer wieder neu aufgelegt. Die einzelnen Ausgaben spiegeln entsprechend den gesellschaftlichen Wandel wider: "In älteren Neufert-Ausgaben, so aus den 1960er- oder 70er-Jahren, wird sich noch viel damit beschäftigt, wie man häusliche Vorratsräume so einrichtet, dass man einen ganzen Schinken aufhängen kann", so Hertweck im Deutschlandfunk Kultur. "Oder als ich angefangen habe zu studieren, da wurde uns eben gesagt, in diesem Neufert sei jetzt zum ersten Mal ein Fitnessstudio als Grundlagenplan."
Die maßliche Grundlage sei bei Neufert immer der Mensch, betont der Berliner Architekt. Genauer gesagt, der Mann: "Wenn man sich die Bäder anguckt, dann ist hier sehr lang und ausführlich beschrieben, wie er badet und sich die Füße abtrocknet, auf der Toilette sitzt und wie sie dann im Nachgang alles wieder sauber macht."
Inzwischen ist die Bauentwurfslehre in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt worden. "Ein Exportschlager", so Hertweck. "Auf der letzten Seite ist die Werbeanzeige mit der schönen Überschrift: 'Nach der Bauentwurfslehre von Neufert baut die ganze Welt' (...) Passt natürlich ins Klischee, was die Welt so von Deutschland hat: dass man da ordnend überall eingreift."

Die ganze Sendung "Echtzeit" vom 4. Juni 2017 zum Nachhören: Audio Player

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