Ernährung

Wie gesund ist Apfelessig wirklich?

Äpfel mit Apfelessig und Apfelsaft auf einer Holzkiste im Garten, Deutschland, Europa.
Apfelessig auf einer Holzkiste. © picture alliance/imageBROKER
Von Tim Wiese · 31.01.2019
Schönere Haut, weniger Bauch, bessere Verdauung: Apfelessig gilt bei manchen geradezu als Wundermittel. Doch hält der Zaubertrank auch, was er verspricht? Unser Autor Tim Wiese hat bei Experten nachgefragt - und den Selbstversuch gemacht.
Da stehe ich. Wie jeden Morgen seit vier Wochen bereite ich mir mein Spezialgetränk zu. 200 Milliliter Wasser, etwas Honig und zwei Teelöffel Bio-Apfelessig, naturtrüb. Beim Zappen durch die Fernsehprogramme bin ich auf den angeblichen Wundertrunk gestoßen. Das Bauchfett soll er schmelzen lassen, den Darm so richtig aufräumen und das Hautbild verfeinern. Wunderbar. Es ist zwar nicht so, dass ich vorher gesundheitliche Probleme gehabt hätte, aber bisschen gesünder und ein bisschen schöner geht ja eigentlich immer. Allerdings verspüre ich bisher keine großen Veränderungen. Auch nicht auf der Waage.
Ich rufe an bei Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW. Die Ernährungswissenschaftlerin hat sich ausführlich mit Apfelessig für das Portal "Klartext Nahrungsergänzung" beschäftigt.
"Was Apfelessig angeht, haben wir erst einmal den ganz traditionellen Apfel- oder Obstessig, wie wir ihn aus den normalen Lebensmittelregal im Supermarkt kennen", erklärt sie. "Daneben gibt es aber auch Nahrungsergänzungsmittel mit Apfelessig. Dann gibt es Apfelessig in Pulverform, was immer der noch enthalten soll. Und auch die Anwendungsgebiete werden sehr unterschiedlich benannt. In einigen Fällen wird es als Putzmittel angesetzt, in anderen Fällen wieder als Kosmetik oder eben auch als Hausmittel zum Beispiel gegen Verdauungsbeschwerden propagiert."
Auf meine Verdauung hat die Einnahme keinerlei Wirkung.

Apfelessig wird aus Apfelwein hergestellt, der mit Essigbakterien versetzt und fermentiert wird. Allerdings ist er kein Powertrunk aus Vitaminen und Mineralstoffen, wie mich Angela Clausen desillusioniert: "Ich habe nicht mehr Vitamine und Mineralstoffe drin, als ich meinetwegen in den entsprechenden Mengen Apfelsaft drin hätte. Und das bedeutet, dass es natürlich nicht so relevant ist von den Calcium- und Kalium-Mengen."
DLFKultur-Autor Tim Wiese sitzt am Küchentisch, vor sich ein Glas.
DLFKultur-Autor Tim Wiese hat die Wirkung von Apfelessig selbst getestet.© Hagen Wolf
Auch der Anteil an Magnesium sei eher überschaubar.
Aber woher kommen dann die ganzen Berichte von den angeblichen Wunderwirkungen?
"Na ja, es gibt immer wieder Beobachtungen oder in einigen wenigen Fällen eine Studie, meistens sind das sogar nur Tierversuche, die zum Beispiel gezeigt haben, dass ein gewisser Einfluss auf den Insulinstoffwechsel vorhanden ist durch Apfelessig", meint Clausen. "Aber das ist nichts, was man so standardisieren könnte, dass man sagt: Nehmen Sie jeden Tag zwei Esslöffel Apfelessig und dann bräuchten Sie dieses oder jedes Medikament nicht mehr."

"Die große Essigstudie gibt es nicht"

Ich möchte mehr über die Studien erfahren, deshalb habe ich mich mit Dr. Stefan Kabisch in der Studienambulanz des "Deutschen Instituts für Ernährungsforschung" in Berlin verabredet.
Der Arzt forscht zu Diabetes. Untersuchungen zur Wirkung von Apfelessig sind ihm dabei in der Literatur immer wieder begegnet:
"Das sind alles relativ kleine Studien mit sehr überschaubaren Probandenzahlen, und auch die Effekte, die man da sieht, sind sehr variabel. In manchen Studien sieht man einen Effekt, in manchen ist einer zu sehen, der sehr überschaubar und klein ist. Die große Essigstudie mit 1000 Probanden gibt es nicht, so dass das kein Befund ist, der richtig gut belegt ist."
Bei den bisherigen Untersuchungen wussten die Studienteilnehmer immer, dass sie Apfelessig einnehmen. Auch das kann die Ergebnisse beeinflusst haben. Sehr wahrscheinlich sogar.
Für Stefan Kabisch ist es aber trotzdem plausibel, dass Essig immer wieder eine positive Wirkung zugeschrieben wird. Ganz egal, ob er vom Apfel stammt oder nicht.
"Weil Essigsäure ein Molekül ist, das tatsächlich auch aus der normalen Nahrung ganz physiologisch entsteht. In unserem Darm und zwar völlig unabhängig davon, ob wir Essig zu uns nehmen oder nicht. Von dieser Essigsäure weiß man durchaus, dass sie biologische Wirkungen hat. Dass bestimmte Entzündungsprozesse zurückgehen, dass sich die Insulinsensibilität verbessert. Und auf dem Wege ist es häufig so, dass sich auch das Fettprofil im Blut verbessert. Das betrifft aber in diesem Maße Essigsäure, die erst im Darm entsteht. Und vor allem entsteht sie da in viel größeren Mengen, als sie überhaupt in einem Teelöffel enthalten sein kann."

Die gute Nachricht: Apfelessig schadet jedenfalls nicht...

Langsam schwant mir, dass mein morgendliches Apfelessigritual mir zwar ein gutes Gefühl gibt, mehr aber auch nicht. Es sei denn, es hilft mir vielleicht winzige Störenfriede in meinem Körper zu eliminieren. Säure wirkt schließlich immer antibakteriell.

"Also, gerade bei Lebensmitteln, die besonders sauer sind, ist im Prinzip dieser Nutzen relativ fraglich", meint Kabisch. "Denn sobald irgendwelche Lebensmittel im Magen landen und der Magen nun einmal per se sehr sauer ist, deutlich saurer als der Essig, ist damit der Nutzen des Essigs eigentlich schon verpufft, der kann gar nichts zusätzlich bewirken."
Die nützlichen Bakterien aus der Essigkultur überleben die Magensäure meistens erst gar nicht und schaffen es somit nicht in den Darm, wo sie den Stoffwechsel positiv beeinflussen könnten.

"Also, wenn man jeden Morgen einen kleinen Schluck Apfelessig trinkt, wird das der Gesundheit wahrscheinlich nicht relevant schaden. Es wird ihr aber auch sehr wahrscheinlich nicht relevant nutzen. Man kann das im Prinzip lassen. Die Essigsäure, die unserem Körper wirklich gut tut, die gewinnen wir am besten selber aus Ballaststoffen. Pflanzenbetonte Kost – darauf sollte man Wert legen. Viel Gemüse, viel Rohkostgemüse zu sich nehmen, reichlich Getreideprodukte auswählen, dann macht man das Meiste richtig."

... und schmeckt besser als Leitungswasser

Ich werde trotzdem noch eine Weile an meiner Apfelessigmischung am Morgen festhalten. Mir schmeckt das Getränk besser als reines Leitungswasser. Solange jedenfalls, bis mir dann irgendwann der nächste große Gesundheitstrend begegnet, den ich unbedingt ausprobieren muss. Die Hoffnung stirbt schließlich immer zuletzt.
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