Ernährung

Die Märchenfassade vom Reinheitsgebot

Von Udo Pollmer · 03.05.2014
Der Sommer naht, die Biergärten öffnen und die Gäste können herausfinden, was sich in den Brauereien so getan hat. Lebensmittel-Experte Udo Pollmer hat bei genauem Hinsehen "Designer-Hefe" und allerlei Tricksereien entdeckt.
Eine der Zutaten zum Bier, die schon das mittelalterliche Reinheitsgebot vom Jahre 1516 duldete, ist die Hefe. Sie gilt bis heute als das "Haustier" der Brauer und sie ist natürlich das Ergebnis einer langen Züchtungsgeschichte. Deshalb ähneln unsere modernen Reinzuchthefen der Urversion etwa so wie ein Pudel oder Schnauzer dem Wolf. Bei Nutztieren wie Schweinen würde man von einem typischen Fall von Überzüchtung sprechen. Heute ist die moderne Brauhefe meist eine Hybride – um im Bild zu bleiben, eine Kreuzung aus Schnauzer und Pudel – das Tier heißt unter Züchtern übrigens Schnoodle.
Modifizierte Bierhefen mit neuen genetischen Merkmalen
Die Brautechnologie bleibt nicht stehen, immer neue Begehrlichkeiten tauchen auf, um das Brauen noch einfacher zu gestalten und um den Bedarf an Zeitgeist-Bieren zu bedienen – mit weniger Alkohol, oder modischer Farbe oder attraktiven Duftnoten. Das Interesse gilt natürlich auch einer besseren Schaumstabilität – um Hopfen zu sparen, der Verbesserung der Stresstoleranz gegenüber der Brautechnik, der Steuerung der Ausflockung während des Brauvorgangs und natürlich der Stabilisierung des Aromas, vor allem um den Lichtgeschmack zu verhindern.
Folgerichtig lautet eine Schlagzeile bayerischer Brauereitechnologen: "Designer-Hefe in der Brauindustrie". Darin lese ich: "Durch den Einsatz der grünen Biotechnologie ist es möglich, modifizierte Bierhefen mit neuen genetischen Merkmalen zu konstruieren." Mit der Formulierung „grüne Biotechnologie" ist schlicht die Gentechnik gemeint, genauer gesagt das Verfahren der Selbstklonierung. Das wundervolle daran: Eine Selbstklonierung ist laut Gentechnikrecht keine Gentechnik und Organismen mit selbstklonierendem Designer-Genom sind damit GVO-frei.
Die Kunst der Selbstklonierung
Schließlich gäbe es furchtbar Ärger, wenn herauskäme, dass im naturtrüben Reinheitsgebots-Bier GVO – gentechnisch veränderte Organismen – enthalten sind. Ein Shitstorm im Bierglas wäre dann wohl nicht mehr zu vermeiden. Also löst man das kreativ unter Nutzung der gesetzlichen Definitionen – mit Berufung auf die Europäische Richtlinie 2009/41/EG vom 6. Mai 2009 gemäß Art. 3 Absatz 1 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang II Teil A Ziffer 4 – ja, das Paragraphenreiten ist die Paradedisziplin der Lebensmitteldeklartion.
Bei der Selbstklonierung werden manche Gene entfernt, andere vermehrt und es wird auch sonst ein wenig herumgeschnippelt. Der Umbau des Erbguts erfordert nicht weniger Eingriffe als für einen sog. Genmais notwendig sind. Man kann sich das Prinzip des Selbstklonierens etwa so vorstellen, wie wenn man aus einer Bluse eine Hose schneidern will. Wenn der Stoff nicht reicht, nimmt man einfach mehrere Blusen der gleichen Art, trieselt die Nähte auf, schneidet die Teilstücke zurecht und näht sie mit den alten Fäden als Hose neu zusammen.
"Frei von Gentechnik" als eine Art Tarnbezeichnung
Das ist ziemlich umständlich, aber mit diesem Kunstgriff sind die Gentechnologen aus dem Schneider. Deklarationsrechtlich handelt es sich bei der Designer-Hose immer noch um eine simple Bluse. Um im Bild zu bleiben, gentechnisch verändert wäre die Bluse, wenn man stattdessen Blümchen draufgestickt hätte – das fremde Garn müsste deklariert werden. So das Prinzip einer selbstklonierenden Bierhefe.
Der Begriff "frei von Gentechnik" mausert sich zu einer Art Tarnbezeichnung für Gentechnik auf hohem Niveau. Das potentielle Risiko unterscheidet sich nicht von anderen Züchtungsverfahren, egal ob transgene Organismen oder klassische Mutationszüchtung. Es geht auch nicht darum, das Verfahren zu verteufeln, sondern um die unaufrichtigen Tricksereien hinter der Märchenfassade vom Reinheitsgebot. Aber nicht nur bei unseren Brauern ist manchmal neben Hopfen und Malz auch noch die Hefe verloren - die Methode wird gleichermaßen auch bei der Konstruktion von Designer-Hefen für Wein und Brot genutzt. Mahlzeit!
Literatur:
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Iijima K, Ogata T: Construction and evaluation of self-cloning bottom-fermenting yeast with high SSU1 expression. Journal of Applied Microbiology 2010; 109: 1906-1913
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Cummins J: ‚Self-cloned' wine yeasts not necessarily safe. ISIS press release 1. 8. 2007
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