Ermutigendes Plädoyer für Zivilcourage

Rezensiert von Thomas Kroll |
Im Mittelpunkt des Films "Hotel Ruanda" steht Paul Rusesabagina, Manager eines Luxushotels in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Während des Völkermords am Stamm der Tutsi im Jahre 1994 gelang es ihm dort, mehr als tausend Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren. Der ZDF-Journalist Steffen Seibert trägt Rusesabaginas Autobiographie allerdings mitunter zu farblos vor, um all das glaubhaft zu vermitteln, was der ehemalige Hoteldirektor hat erleben und erleiden müssen.
Ohne Zweifel, dieser Mann hat etwas zu erzählen: Paul Rusesabagina gilt als "Oskar Schindler" Afrikas, denn er hat vielen Menschen das Leben gerettet inmitten von Chaos und Gewalt.

"Ich bin ein Hoteldirektor, der seine Arbeit macht, wie es sich gehört. Viel mehr lässt sich darüber nicht sagen. Während eine Welle schrecklichen Mordens mein Land heimsuchte, konnte ich 1268 todgeweihte Menschen retten, indem ich sie in dem Luxushotel versteckte, das ich führte. Als die Milizen mit ihren Todesbefehlen für meine Gäste kamen, führte ich die Mörder in mein Büro, setzte ihnen zuvorkommend Bier und Kognak vor und überredete sie, es mit ihrer Pflicht an diesem Tage nicht so genau zu nehmen. Diese zerbrechliche Schutzmauer aus Gesprächen und Getränken hielt 76 Tage lang."

Keiner der Flüchtlinge im Ausländerhotel Mille Colline wurde getötet. Keiner geschlagen. Keiner entführt, um auf immer zu verschwinden. Als innerhalb von hundert Tagen mehr als eine halbe Million Tutsi mit Macheten zerstückelt und abgeschlachtet werden, wird das fünfstöckige Hotel zum sicheren Hafen für jeden, der es bis an seine Tür schafft.

Paul Rusesabagina hat viel zu erzählen - von Verrat und Vergewaltigung, Verstümmelung und Völkermord. Rusesabagina erzählt nüchtern und mit aller Bescheidenheit. Er ist ein Mann der einfachen, der klaren Worte. Anlass und Hintergründe, die zum Genozid in Ruanda führ-ten, werden deutlich herausgestellt. So etwa die Rolle des Privatsenders RTML, deren Spre-cher unverblümt zum Mord anstachelten. Ebenso genannt werden die Namen der Politiker und Generäle, die für das Massaker verantwortlich sind. Mit etlichen hatte Rusesabagina schon zuvor an der Theke der Hotelbar gestanden.

"Aus der kurzen Zeit in der wir eine deutsche Kolonie waren, haben wir eine Redensart be-halten: 'Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.' Die Meinung, die sie von einem Men-schen hegen, darf nie eine Rolle bei Geschäften spielen, die Sie mit ihm machen. Er kann Ihr bester Freund sein oder jemand, den sie verabscheuen, doch das darf sich nicht auf den Ton der Verhandlungen auswirken. Dienst ist Dienst."

Diese Haltung hat dem ehemaligen Hotelmanager geholfen, Informationen zu sammeln, das Machtgefüge in der Hauptstadt vor und während des Völkermords zu durchschauen - und schließlich zu überleben.

In den ersten der elf Kapitel des (Hör-)Buches schildert Rusesabagina Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugend. In diese Erinnerungen flicht er Mythen und Geschichten ein, die mit der Kultur des Landes und den Folgen der Kolonialzeit vertraut machen. Den Schwerpunkt seiner packenden und engagierten Reportage bilden zweifellos die Geschehnisse im Frühjahr und Frühsommer 1994 sowie die Analyse der weltpolitischen Reaktionen. Verzweifelt wandte sich der Hotelmanager an die internationale Staatengemeinschaft, nicht zuletzt an die Regie-rungen in Frankreich und in den USA.

"Sieben Zeitzonen entfernt, in den Vereinigten Staaten, bekam das diplomatische Estab-lishment fast einen Knoten in der Zunge, nur um die Dinge nicht beim Namen nennen zu müs-sen. ... Ende Mai berichteten Fernsehnachrichten und Zeitungen ausführlich über Massenmorde und Leichen, die auf dem Fluss Akagera in den Viktoriasee trieben. Doch selbst angesichts dieser unwiderleglichen Beweise konnte sich die US-Regierung nicht dazu durchringen, das Geschehen als Völkermord zu bezeichnen."

Die US-Regierung hätte seinerzeit reagieren müssen, wie Bill Clinton rückblickend zugibt. Deren Eingreifen hätte mehr Leben retten können als der Afrikaner, der mittlerweile als Taxiunternehmer in Brüssel lebt.

Ohne Zweifel, Paul Rusesabagina kann erzählen. Wortgewandtheit und Reflexionsniveau des Afrikaners unterstreicht die beigefügte DVD, ein 22-minütiges Autorenporträt mit unterti-telten Gesprächsbeiträgen. Beim Verfassen der beeindruckenden Autobiographie stand Rusesabagina der mehrfach ausgezeichnete New Yorker Journalist Tom Zöllner zur Seite.

Auf der Hörbuch-CD vernimmt man eine leicht gekürzte Fassung des 250-seitigen Buches, die von Steffen Seibert vorgelesen wird. Der Anchorman der heute-Nachrichtensendung im ZDF ist als Unicef-Botschafter immer wieder in Afrika unterwegs. Schön und gut, doch klingt die Stimme des Journalisten mitunter zu farblos, um all das glaubhaft zu vermitteln, was der ehemalige Hoteldirektor hat erleben und erleiden müssen. Dessen Autobiographie ist ein aufwühlendes Zeugnis - und ein ermutigendes Plädoyer für Zivilcourage angesichts von Völkermord und Verbrechen wider die Menschlichkeit.

"Ich sagte nur das, was mir normal und vernünftig erschien. Ich tat das, was meiner Mei-nung nach ein normaler Mensch normalerweise tut. Ich sagte Nein zu den Schändlichkeiten, wie es eigentlich jeder hätte tun müssen, und es ist mir noch immer ein Rätsel, warum so viele Ja sagen konnten."


Paul Rusesabagina (mit Tom Zöllner): Ein ganz gewöhnlicher Mensch. Die wahre Geschichte hinter "Hotel Ruanda"
Autorisierte Hörfassung, gelesen von Steffen Seibert.
Übersetzt von Hainer Kober
Herder Verlag: Freiburg im.Breisgau. 2006, 4 CDs und 1 DVD