Erlösung und Verdammnis

Von Volkhard App · 17.09.2009
Religion bedeutete für die Menschen des Mittelalters das stete Pendeln zwischen Angst und Hoffnung. Dieses religiöse Grundgefühl findet sich auch in zahlreichen Kunstwerken wieder, die jetzt im Bucerius Kunstforum Hamburg zu sehen sind.
Wie viele schutzbedürftige Menschen passen eigentlich unter den Mantel der Mutter Maria? Dort, wo er sich öffnet, blicken wir auf viele kleine Figuren, die hier Geborgenheit gefunden haben, und schauen in Gesichter, die Zuversicht ausstrahlen. Eine um 1370 entstandene Skulptur aus Sandstein vom Hauptturm des Freiburger Münsters.

Wie sich das Antlitz Marias im Laufe der Zeit verändert hat, wie es ausdrucksstärker, lebendiger geworden ist, wird in dieser Jahrhunderte umspannenden Ausstellung deutlich. Auf einem Glasbild wird die leidensfähige Frau sogar von sieben Schwertern durchbohrt. Mittelpunkt in dieser Abteilung "Schmerz und Erlösung" aber ist selbstverständlich Christus. Ebenfalls eine Figur im Wandel. Michael Philipp, Kurator dieser Schau:

"Bei den Kreuzen vor 1200, die Jesus stehend auf einem Fußsockel zeigen, ist er zwar der Gestorbene, aber doch der Überwinder des Todes. Nach 1200 dominierte das Leiden: der von den Menschen gequälte Christus, der gefolterte, der am Kreuz blutüberströmt und mit großer Dornenkrone hängt."

Auf einem Wandteppich sind fünf Passions-Szenen nebeneinandergestellt, so wie in einer modernen Bildergeschichte. In Hamburg spricht man salopp von einem Comic.

Sehr ungewöhnlich erscheint auch der aus Holz gefertigte "Heilige Sebastian", weil er elegant gekleidet ist: mit locker über die Schulter geworfenem Mantel, modischem Leibrock, engen Hosen und mit spitzen Schuhen - seine Miene ist nicht schmerzverzerrt, sondern hat eher etwas Dandyhaftes. Nicht immer bohren sich also Pfeile in seinen nackten Oberkörper.

Sakrale Werke allüberall: Sie waren gewohnter Teil eines Lebens, das von christlicher Innerlichkeit durchdrungen war und für die Zeitgenossen allem Anschein nach auf Himmel oder Hölle hinauslief:

Michael Philipp: "Die Menschen des Mittelalters wussten, dass ihnen am Ende ihres Lebens Himmel oder Hölle bevorstehen, je nachdem, wie sie sich verhalten haben. Das gehörte zum täglichen Gefühl, zur alltäglichen Praxis: Die Menschen sind mit dieser Vorstellung in die Kirche gegangen und haben ihr Leben danach ausgerichtet."

Nicht selten schienen die dargestellten Figuren auch zu den Betrachtern zu sprechen, Kruzifixe neigten sich zu den Betenden, aus Bildern fiel ein Lichtstrahl, so glaubte man jedenfalls. Vorstellungswelten, die durch klösterliche Askese stark begünstigt waren.

Dort, wo in der Ausstellung "gut" und "böse" direkt aufeinandertreffen, erreicht die Präsentation ihre größtmögliche Spannung. Da ist zum einen der "Super-Gau" im Paradies, die Lust an den verbotenen Früchten - wobei in einer sehr schön gearbeiteten Figurengruppe aus Buchsbaum die Rollen zwischen den Geschlechtern keineswegs klar verteilt sind, denn - man traut seinen Augen kaum - auch Adam pflückt munter einen Apfel vom Baum.

Das Ende konnte furchtbar sein: Auf einem Horror-Holzschnitt werden Sünder in ein höllisches Maul gestopft. Einschüchternd wirkt auch das "Jüngste Gericht", das gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf Tannenholz gemalt wurde. Eine der Szenen zeigt, wem die Hölle droht: Es sind eitle und zur Völlerei neigende Menschen, und einer der Verdammten hat selbst an diesem finsteren Ort noch sein Spielbrett dabei.

Ganz am Ende die schönen Arbeiten von Hans Baldung Grien: wunderbar leuchtende Fenster und Malereien, die in ihrer Art die Überwindung des Mittelalters verkörpern. Ein pausbäckiger Amor hält den Pfeil in die Höhe und verzieht dabei die Miene, auch der Leidensgestus von Christus und Maria erscheint aus heutiger Sicht fast schon verzerrt. Ortrud Westheider, Direktorin des Bucerius Kunstforums:

""Wie hier die Farben eingesetzt sind und die vielen Engel dargestellt werden, die um Christus flirren, ihn tragen und beweinen - das hat moderne Züge. Diese Engel wirken fast surreal."

"Schmerzensmann, von Maria und Engeln beweint" heißt dieses Gemälde. Kostbare Fenster, Tafelmalerei auf schwarzem und auf goldenem Grund, Teppiche und Kruzifixe korrespondieren im "Bucerius" Kunstforum miteinander, und man greift bei dieser dichten Anordnung auf ein großes Vorbild zurück:

Westheider: "In der mittelalterlichen Kathedrale kamen ja alle Dinge zusammen. Wir haben versucht, dieses erzählerische Miteinander zu gestalten und dem Publikum nahezubringen, wie diese Werke dem Menschen des Mittelalters begegneten. Denn der konnte, falls er nicht zu lesen imstande war, sich entlang der Bilder die christliche Glaubensgeschichte erschließen. Und so ist es hier auch aufgebaut."

Erstaunlich, wie diese Ausstellungsräume in der City immer wieder ihren Charakter verändern. Eben noch waren sie von Edward Hopper und dem urbanen Realismus des 20. Jahrhunderts geprägt - und nun die Zeitreise in eine reichlich ferne Welt, ins Mittelalter.

Sakrale Objekte als Attraktion - sind es dadurch auch sakrale Räume geworden? Eine besinnliche Stimmung herrscht hier allemal vor. Was ja nicht bedeutet, dass sich das "Kunstforum" nun allein Strenggläubigen und Bibelkundigen als Ziel anböte.

Michael Philipp: "Viele dieser Bilder und Skulpturen zeigen ganz elementare Gemütszustände, zeigen Erregung, zeigen Angst und Leid. Jeder, der empfänglich ist für Kunstwerke, die Gemütsäußerungen darstellen, wird hier viele Szenen und Motive finden, die ihn direkt ansprechen."

Service:
Die Ausstellung "Zwischen Himmel und Hölle. Kunst des Mittelalters von der Gotik bis Baldung Grien" ist bis zum 10.1.2010 im Bucerius Kunstforum zu sehen.