Erlebbare Kunstwerke

Von Andreas Robertz · 20.04.2008
Das Museum of Modern Art in New York gibt einen umfassenden Überblick über die ausgefallenen Installationen des isländisch-dänischen Künstlers Olafur Eliasson. Die Ausstellung zeigt zum Beispiel einen Raum mit einer lichttransparenten Decke, die verschiedene Weißtöne annimmt. Mit jedem neuen Ton verändert sich die Atmosphäre.
Im Mittelpunkt der Ausstellung im alten Schulgebäude in Queens, dem P.S.1, steht ein leerer kreisrunder Raum, an dessen Decke in etwa sechs Meter Höhe ein riesiger runder Spiegel befestigt ist. 270 Kilogramm schwer und zwölf Meter im Durchmesser hängt er leicht schräg über dem Betrachter und dreht sich dabei langsam um die eigene Achse. Gefühle von Desorientierung und leichtem Schwindel entstehen, man möchte sich irgendwo festhalten, eine sichere Position im Raum einnehmen, aber die selbstverständliche Positionierung des Körpers ist gestört, die Wahrnehmung verschoben. Nach einer Zeit findet der Körper eine Antwort auf diese Destabilisierung. Unwillkürlich muss man lächeln: der eigene Körper als Erkenntnisorgan, Kunst als Destabilisierungsmaßnahme. Der Name dieser Installation, sowie der gesamten Ausstellung, ist "Take Your Time", eine Handlungsanweisung wie auch eine Ortsbestimmung, wie uns Olafur Eliasson erklärt:

"Der Titel dieser Arbeit 'Take your time' kann verschiedene Bedeutungen haben. Es kann bedeuten: Lass dir Zeit, sieh dir alles an, mach was dir gefällt. Es kann aber auch bedeuten: Nimm dir DEINE Zeit - im Sinne von: Hol dir deine Zeit zurück. Ich kann sagen: Wie geht’s dir? Und ich kann sagen: Wie geht es DIR? Wie geht es dir hier, wie bist du hierhergekommen und wer bist du?"

Eliasson arbeitet mit Wasser, Dampf, Erde, Holz, Licht, Projektionen, Spiegeln Scheinwerfern, Prismen, Kaleidoskopen und Fotografien. In einem Raum kombiniert er natürliche und künstliche Komponenten, indem er mit Hilfe verschiedener Pumpen und einer stufenartigen Stahlkonstruktion einen rückwärts fließenden Wasserfall erschafft. Ein anderer Raum besteht von der Decke bis zum Boden aus Wänden mit hunderten von sechseckigen Erdquadern. Ein dritter Raum hat völlig weiße Wände mit einer lichttransparenten, milchigen Decke, die verschiedene Weißtöne annimmt. Der Raum wechselt nie wirklich die Farbe, aber verändert jedes Mal die Atmosphäre.

Eliasson setzt sich dabei mit Fragen auseinander, die sich mit unserer Wahrnehmung beschäftigen: Was bedeutet Sehen? Fühlen? Wie empfinden wir Raum, Zeit, Bewegung und Licht? Und er beschäftigt sich mit dem Betrachter. Wie ein Wissenschaftler lädt er ihn ein, an einem Experiment teilzunehmen. Wir sind Beobachter, deren Perspektive maßgeblich das Experiment beeinflusst. Wir nehmen unsere veränderte Empfindung wahr, gleichzeitig sind wir uns darüber bewusst, dass wir das tun. Dabei entsteht ein starkes Jetzt-Gefühl, das charakteristisch beim Erleben seiner Installationen ist.

In seiner frühen Arbeit "Wannabe" aus dem Jahr 1991 wird dies besonders deutlich: ein Scheinwerfer auf einem Stativ wirft einen sehr hellen Lichtkreis auf den Boden. Tritt man in den Lichtkegel, verändert sich sofort die Eigenwahrnehmung: Man steht in einem Spot, man fühlt das Licht als Wärme auf der Haut, man ist leicht geblendet, das Außen ist sehr viel schlechter wahrzunehmen: Man empfindet sich selbst stärker. Man weiß, dass man in einem Spot steht. Man ist selbst Teil der Installation geworden.

Eliasson selbst bestimmt sich dabei nicht als Wissenschaftler, sondern als Künstler:

"Wenn ich ein Problem habe, dass ich nicht selber lösen kann, dann wende ich mich meistens an einen Wissenschaftler, der sich in der Physik und Psychologie auskennt. Was bedeutet es, etwas zu berühren? Und ich meine das nicht in irgendeinem romantischen oder religiösen Sinn, oder irgendeinem New-Age-Quatsch. Ich meine das physikalisch: Was bedeutet es, in der Welt zu sein? Offenbar beschäftigen sich viele Wissenschaftler mit diesem Thema - zum Beispiel die Neurologen - und sie versuchen, es nutzbar zu machen. An dieser Stelle kommt die Kunst ins Spiel."

Eine besonders beeindruckende Installation ist die Arbeit "Beauty" aus dem Jahr 1993: Ein schwarzer Raum, in dem von der Decke aus kleinen Düsen feiner Wassernebel gesprüht wird, der wie ein Vorhang nach unten fällt. Ein starker Scheinwerfer erzeugt einen künstlichen Regenbogen auf diesem nassen Dunst. Je näher man an den Vorhang herantritt, umso deutlicher und plastischer werden die Farben. Der Regenbogen verschiebt sich, wenn man seine Position zum Dunst und der Lichtquelle verändert.

Plötzlich rennt ein kleiner Junge begeistert durch den Vorhang und nimmt immer wieder neue Positionen ein, tritt ganz nah an den Vorhang heran, dann stellt er sich in ihn. Er animiert seine erwachsenen Begleiter, sich an dieselbe Stelle zu stellen, langsam nach vorne zu gehen, die Veränderung zu bestaunen. Der Junge ist Eliassons idealer Ausstellungsbesucher, weil er von vornherein den Raum als Entdeckung begreift. Aber es steckt auch etwas Programmatisches in diesem ständigen Perspektivenwechsel:

"Es ist einfach wichtig, die Idee der Unterschiedlichkeit zu fördern - die Idee der Vielfalt mit dem Potenzial, das darin liegt, dass man etwas unterschiedlich sehen kann und gleichzeitig innerhalb desselben Wahrnehmungsbereiches, ein Gefühl von Gemeinsamkeit erzeugt. Ich erwähne das immer, wenn ich über den Regenbogen spreche. Natürlich ist da ein schöner Regenbogen, aber eigentlich geht es um eine politische, ethische oder soziale Frage: Was bedeutet es, etwas zu sehen?"

"Take your Time" ist eine wunderbare Ausstellung voller Überraschungen und Einsichten, die einen beeindruckenden Überblick über die Arbeit dieses noch jungen Künstlers bietet. Mit der Entscheidung, Teile der Ausstellung im P.S.1 zu präsentieren, will das MoMA dem Besucher ermöglichen, in einen freieren Dialog mit den Kunstwerken zu treten. Dieses Experimentieren mit offeneren Ausstellungskonzepten ist in den letzten Jahren zunehmend ein Markenzeichen der New Yorker Museen geworden.

Kind: "Das ist toll, hier zu stehen. Das ist wie ein richtiger Regensturm - wenn du ganz nah ran gehst!"