Erkenntnisquelle und Statussymbol
Heutzutage werden Globen vor allem zur Dekoration oder als Lernmittel in der Schule verwendet. In vergangenen Zeiten hingegen waren die kugelförmigen Erddarstellungen weit mehr: Jan Mokre zeigt in seinem prächtig ausgestatteten Band "Rund um den Globus" die Geschichte der Globen als wissenschaftliches Instrument, als feudales und großbürgerliches Prachtobjekt und als wichtiges Orientierungsmittel.
Die Erde, sagen die Geodäten, die mit kleinen Zahlen und minimalen Genauigkeiten arbeiten, die Erde ist eine Kartoffel. Sie hat Ausbeulungen und Einbuchtungen und macht insgesamt nicht den kugeligen, wohl gerundeten Eindruck, den wir Normalmenschen von ihr haben. Zum Glück haben die Geodäten ihre Erkenntnisse erst spät gewonnen, sonst wäre die Kunst der Globenherstellung vielleicht nie zu der Schönheit und Vielfalt gediehen, die sie im Verlauf der Geschichte erreicht hat.
Globen aller Art präsentiert der prachtvolle, bilderreiche Band, den der Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek, Jan Mokre, veröffentlicht hat. Mokre ist der Mann mit dem wohl größten Überblick über die runden Erddarstellungen, denn die Wiener Sammlung umfasst 500 Objekte, die Zahl ist steigend. Für Globenenthusiasten bietet Jan Mokres Band unter anderem großartige Fotografien aus den Wiener Hallen mit Vitrinen, die die Menge der Globen kaum noch fassen können.
Der älteste bekannte Atlas aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus ist die marmorne römische Kopie einer griechischen Statue, die den Titanen Atlas zeigt, wie er unter einem Himmelsglobus, der auf seinen Schultern liegt, in die Knie geht. Denn mehr als für das Drumherum interessierten sich die Menschen damals für das Obendrüber. Jan Mokre erläutert:
"Erdgloben hatten in der Antike kaum eine Bedeutung; der Ausschnitt der bewohnbar bekannten Erdoberfläche war im Verhältnis zur gesamten Erdkugel zu gering, sodass sich das Modell Erdglobus nicht durchsetzte. Der überwiegende Teil der Oberfläche wäre frei geblieben."
Das europäische Mittelalter wurde unter dem Einfluss der Kirche von dem Bild der Erde als Scheibe beherrscht, aber das Konzept der Erde als Kugel existierte auch damals. Der älteste erhaltene Erdglobus stammt von Martin Behaim und wurde 1492 in Nürnberg hergestellt. Er zeigt die Welt in der europäischen Vorstellung noch vor den Entdeckungen der Kapitäne Columbus, Cabot und Vespucci. Spätere Zeiten kombinierten den Erd- mit dem Himmelglobus zu einem korrelierenden Globenpaar - die wichtigsten schuf wiederum ein Nürnberger, der Mathematiker und Astronom Johannes Schönherr.
Alte Globen sind heute in erster Linie historische Dokumente, die den Stand des Wissens von der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt anzeigen. Und auch die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft, denn im Grunde sind Himmelsgloben, die die Gestirne über uns anzeigen, eine Illusion, denn sie setzen voraus, dass wir in einer Kugel wohnen und über uns auf der Kugelschale die Gestirne fixiert sind. Mokres Band präsentiert wunderschön kolorierte Stiche, auf denen Sterne zu - im wörtlichen Sinne – Sternbildern miteinander verbunden werden.
Um 1621 malte Willem Janszoon einen Himmelsglobus mit den Sternbildern eines rotschnäbeligen Tuncan, eines Rad schlagenden Pfaus und eines lächelnden Indianers, der ein Bündel Pfeile trägt. Wie Akupunkturpunkte sind die Sterne in die Körper von Tier und Mensch eingetragen. An dieser Stelle ist der Leser fast versucht, das mehrfarbige Blatt aus dem Buch herauszulösen und als Zimmerschmuck unter Glas zu legen.
Spätestens seit dem 20. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung der Globen. Waren in ihren besten Zeiten die Rundlinge, versehen mit Skalierungen in der Vertikalen und in der Horizontalen, wissenschaftliche Hilfsmittel zur Bestimmung der Welt, so wurden sie nach und nach, als ihre eigentliche Bedeutung von den detaillierteren Karten übernommen wurde, zu Gegenständen der Dekoration und Repräsentanz.
Die Musik aus Charlie Chaplins Tanz mit dem Globus: auch diese Szene aus dem Film "Der große Diktator" ist in Mokres Buch dokumentiert. Zuerst sieht man Chaplin als Hitler-Parodie mit dem starren Blick des Größenwahnsinnigen den Globus fixieren – dann blättert man um und sieht das Foto der zerstörten Reichskanzlei im Mai 1945 mit dem zerdellten Globus des untergegangenen Führers.
Globen und die Geschichte, die sie erzählen: das ist das große Thema von Jan Mokres Buch "Rund um den Globus". Mokre schreibt:
"Seit Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Entwicklung eines vollkommen neuen Globustypus – dem virtuellen Globus. Diese, auf digitalen Technologien basierenden 3-D-Modelle können mit zahlreichen interaktiven und multimedialen Nutzungsmöglichkeiten versehen werden. Sie stellen eine qualitativ neue Entwicklungsstufe in der Geschichte der Globenherstellung dar."
Das Buch "Rund um den Globus" ist ein bilderreiches coffee-table-book, man legt es auf den Kaffeetisch, stellt es aufgeschlagen ins Regal – und liest es als eine Geschichte der "Welt-Anschauungen", im wahrsten Sinne des Wortes.
Rezensiert von Paul Stänner
Jan Mokre: Rund um den Globus
Frühwirth Bibliophile Edition, Wien 2008
220 Seiten, 49,50 Euro
Globen aller Art präsentiert der prachtvolle, bilderreiche Band, den der Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek, Jan Mokre, veröffentlicht hat. Mokre ist der Mann mit dem wohl größten Überblick über die runden Erddarstellungen, denn die Wiener Sammlung umfasst 500 Objekte, die Zahl ist steigend. Für Globenenthusiasten bietet Jan Mokres Band unter anderem großartige Fotografien aus den Wiener Hallen mit Vitrinen, die die Menge der Globen kaum noch fassen können.
Der älteste bekannte Atlas aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus ist die marmorne römische Kopie einer griechischen Statue, die den Titanen Atlas zeigt, wie er unter einem Himmelsglobus, der auf seinen Schultern liegt, in die Knie geht. Denn mehr als für das Drumherum interessierten sich die Menschen damals für das Obendrüber. Jan Mokre erläutert:
"Erdgloben hatten in der Antike kaum eine Bedeutung; der Ausschnitt der bewohnbar bekannten Erdoberfläche war im Verhältnis zur gesamten Erdkugel zu gering, sodass sich das Modell Erdglobus nicht durchsetzte. Der überwiegende Teil der Oberfläche wäre frei geblieben."
Das europäische Mittelalter wurde unter dem Einfluss der Kirche von dem Bild der Erde als Scheibe beherrscht, aber das Konzept der Erde als Kugel existierte auch damals. Der älteste erhaltene Erdglobus stammt von Martin Behaim und wurde 1492 in Nürnberg hergestellt. Er zeigt die Welt in der europäischen Vorstellung noch vor den Entdeckungen der Kapitäne Columbus, Cabot und Vespucci. Spätere Zeiten kombinierten den Erd- mit dem Himmelglobus zu einem korrelierenden Globenpaar - die wichtigsten schuf wiederum ein Nürnberger, der Mathematiker und Astronom Johannes Schönherr.
Alte Globen sind heute in erster Linie historische Dokumente, die den Stand des Wissens von der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt anzeigen. Und auch die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft, denn im Grunde sind Himmelsgloben, die die Gestirne über uns anzeigen, eine Illusion, denn sie setzen voraus, dass wir in einer Kugel wohnen und über uns auf der Kugelschale die Gestirne fixiert sind. Mokres Band präsentiert wunderschön kolorierte Stiche, auf denen Sterne zu - im wörtlichen Sinne – Sternbildern miteinander verbunden werden.
Um 1621 malte Willem Janszoon einen Himmelsglobus mit den Sternbildern eines rotschnäbeligen Tuncan, eines Rad schlagenden Pfaus und eines lächelnden Indianers, der ein Bündel Pfeile trägt. Wie Akupunkturpunkte sind die Sterne in die Körper von Tier und Mensch eingetragen. An dieser Stelle ist der Leser fast versucht, das mehrfarbige Blatt aus dem Buch herauszulösen und als Zimmerschmuck unter Glas zu legen.
Spätestens seit dem 20. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung der Globen. Waren in ihren besten Zeiten die Rundlinge, versehen mit Skalierungen in der Vertikalen und in der Horizontalen, wissenschaftliche Hilfsmittel zur Bestimmung der Welt, so wurden sie nach und nach, als ihre eigentliche Bedeutung von den detaillierteren Karten übernommen wurde, zu Gegenständen der Dekoration und Repräsentanz.
Die Musik aus Charlie Chaplins Tanz mit dem Globus: auch diese Szene aus dem Film "Der große Diktator" ist in Mokres Buch dokumentiert. Zuerst sieht man Chaplin als Hitler-Parodie mit dem starren Blick des Größenwahnsinnigen den Globus fixieren – dann blättert man um und sieht das Foto der zerstörten Reichskanzlei im Mai 1945 mit dem zerdellten Globus des untergegangenen Führers.
Globen und die Geschichte, die sie erzählen: das ist das große Thema von Jan Mokres Buch "Rund um den Globus". Mokre schreibt:
"Seit Ende des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Entwicklung eines vollkommen neuen Globustypus – dem virtuellen Globus. Diese, auf digitalen Technologien basierenden 3-D-Modelle können mit zahlreichen interaktiven und multimedialen Nutzungsmöglichkeiten versehen werden. Sie stellen eine qualitativ neue Entwicklungsstufe in der Geschichte der Globenherstellung dar."
Das Buch "Rund um den Globus" ist ein bilderreiches coffee-table-book, man legt es auf den Kaffeetisch, stellt es aufgeschlagen ins Regal – und liest es als eine Geschichte der "Welt-Anschauungen", im wahrsten Sinne des Wortes.
Rezensiert von Paul Stänner
Jan Mokre: Rund um den Globus
Frühwirth Bibliophile Edition, Wien 2008
220 Seiten, 49,50 Euro

Der Globus von Adolf Hitler. Sowjetische Soldaten löschten das Dritte Reich mit einer Kugel aus.© AP