Eine Mischung aus DDR, Schweiz und Sowjetunion
Willkürliche Tötungen, Verhaftungen, Folter: Laut UNO verletzt Eritrea massiv Menschenrechte. Unser Reporter war in dem Land unterwegs, um mehr zu erfahren über die Fluchtgründe junger Menschen, den Nationalen Dienst, die angebliche Überwachung des Landes - und über die Politik.
Ein Straßencafé in Asmara, der Hauptstadt Eritreas. Auf dem Tisch steht ein Glas Schwarztee. Daneben liegt ein Passierschein der Tourismus–Behörde. Die Reise nach Massawa ans Rote Meer ist bestätigt. Durch einen Stempel mit der kryptischen Buchstabenkombination KAB-M7-B. Der Reiseantrag in der Zeile darüber, nach Adi Keyh, ist nicht genehmigt. Der Stempel fehlt.
Beide Fahrten hat die Behörde als Vacation - als Urlaub – deklariert. Nicht als journalistische Recherche, wie es vorher besprochen war. Warum nur die Fahrt ans Rote Meer genehmigt ist? Ich weiß es nicht! Wahrscheinlich, weil die andere Reise nach Adi Keyh in die Nähe der eritreisch-äthiopischen Grenze führt.
Seit über 15 Jahren streiten sich die ehemaligen Bruderstaaten um den Grenzverlauf. Bei Adi Keyh liegt das Dorf, aus dem Zenagabriel stammt. Den 28-jährigen Flüchtling habe ich zuvor in Köln kennengelernt. Gerne hätte ich seine Eltern besucht und ihnen von ihrem Sohn erzählt. Aber das wurde untersagt. Einer der vielen Riegel in dem Kontrollstaat Eritrea.
Mangelhafte medizinische Ausbildung
Ein paar Tage zuvor, das Krankenhaus von Keren. Keren ist ein heißes Provinznest. Männer mit Turban, Frauen mit Schleier. Als Lasttiere dienen Kamele und Esel. Drei Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von der Hauptstadt Asmara nach Keren. Zahllose Serpentinen und noch mehr Schlaglöcher im Asphalt. Schroffe Berge und Täler, dazwischen vorindustrielle Landwirtschaft mit Hacke und Ochsenpflug.
Das Krankenhaus ist trostlos. Über die Gänge läuft auch die deutsche Kinderkrankenschwester Birgitt Hennig. Sie ist zum sechsten Mal hier. Immer für zwei Wochen. In der kurzen Zeit lernt sie das eritreische Personal an.
Schwester Birgitt: "Die Ausbildung ist nicht gut, wenn es überhaupt eine Ausbildung gibt. Und was für uns schwierig und schade ist, ist die Tatsache, dass die Schwestern die wir hier einarbeiten, häufig wechseln. Also wenn ich im November wieder komme gehe ich davon aus, dass drei Schwestern nicht mehr da sind."
Wo gehen die denn hin?
"Die werden teilweise in der Klinik umgesetzt. Aber es gibt auch Personal, welches flieht. 700 - das ist für uns total frustrierend."
Die Schwestern und Pfleger hier im staatlichen Krankenhaus von Keren leisten ihren Nationalen Dienst ab. Dieser "National Service" gilt als Hauptfluchtursache für junge Eritreer.
Der Dienst ist für Männer und Frauen eigentlich auf 18 Monate begrenzt, wird aber oft willkürlich verlängert von den Vorgesetzten. Und der Sold liegt je nach Beruf zwischen umgerechnet 50 und 100 Euro im Monat. Wenig in einem Land, in dem ein Liter Benzin drei Euro und das Pfund Nudeln sechs Euro kosten.
Im Krankenhaus lerne ich einen Pfleger kennen. Sein Name soll nicht genannt werden. Wir sind alleine in einem Behandlungsraum und sprechen über seinen Dienst hier im Krankenhaus.
Pfleger: "Die Regierung hat angedeutet, den National Service zu beschränken. Wir erhoffen uns da Veränderungen. Und sie haben mehr Sold versprochen. Wir wünschen uns wirklich bald Lösungen von unserer Regierung."
Der Pfleger deutet an, dass die Situation im Land nicht einfach sei. Als wir auf das Thema Flucht zu sprechen kommen, wird seine Stimme merklich leiser.
"Es ist gerade nicht einfach in unserm Land"
"Ähh! Ich möchte mein Leben verändern, aber ich will auch in meiner Heimat bleiben. 50/50 sage ich mal."
Und fügt hinzu:
"Es ist gerade nicht einfach in unserm Land. Wir haben den Grenzkonflikt mit Äthiopien. Wir haben 30 Jahre gekämpft. Und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Probleme lassen uns fliehen. Aber wir hassen unsere Regierung nicht."
Diese Regierung verantwortet den "National Service", verantwortet die schwere wirtschaftliche Dauerkrise, aber sie wird dafür nicht verdammt. Diesem Kadavergehorsam begegne ich immer wieder in Eritrea.
Alte wie Junge erkennen Diktator Isayas Afewerki als Garant für Frieden und Stabilität an. Und die Regierung gilt in der Bevölkerung als wenig korrupt. Sie bevorzuge lieber die Isolation als ausländische Hilfe und internationale Gelder.
Dass die Krankenschwester Birgitt Hennig von der kleinen deutschen Hilfsorganisation Archemed überhaupt hier ausbilden kann, ist ungewöhnlich. Große Nichtregierungsorganisationen - die sonst überall in Afrika vertreten sind - werden wegen vermeidlicher Einflussnahme in Eritrea nicht zugelassen.
Krankenschwester: "Ich habe das Gefühl, wo ich jetzt um sechsten Mal hier bin, dass wir herzlich willkommen sind. Die ersten zwei Male wurde man schon kritisch beäugt. Die dachten wahrscheinlich jetzt kommt jedes Jahr ein neues Gesicht aus Deutschland und die Schauen was wir hier machen."
Zurück in Asmara, der Hauptstadt. Ich sitze im Auto von John, den ich vor ein paar Tagen gelernt habe. Wir drehen ein paar Runden. Viel italienische Kolonialarchitektur gibt es hier. Die breiten Boulevards sind gefegt. Kein Abfall, keine Plastiktüten am Bordstein, nicht einmal Zigarettenstummel. Und auch keine Staatspropaganda: Plakatwände mit Präsident mit visionärem Blick – Fehlanzeige.
John heißt in Wahrheit nicht John. Auch wird seine Stimme verfälscht. Zu seinem Schutz. John ist Unternehmer. Er dreht allerlei schwarze Geschäfte. Devisentausch zum Beispiel. Der steht unter Gefängnisstrafe. In einem Land, das nach internationalen Devisen lechzt.
John: "Wir fahren zu der Piccini Baustelle. Die fingen da schon 2013 an zu bauen."
Ein leeres Gelände, ein paar Fußballfelder groß. Ein paar Betonskelette – Säulen und Deckenböden stehen verwaist herum. Nur wenige Bauarbeiter sind zu sehen. Keine Baukräne. Hier sollen einmal Wohnungen entstehen. In Asmara, in ganz Eritrea gibt es nur sehr wenige Bauprojekte.
"Entwicklung? Entwicklung würde ich das nicht nenne. Es geht hier nicht voran sondern eher rückwärts."
John hat studiert, war dann über Jahre im National Service. Auf sein Diplom wartet er heute noch. Es wird ihm nicht ausgehändigt. Damit er nichts in der Hand hat, sollte er fliehen, meint er.
"Die meisten leben von Geldüberweisungen aus Übersee"
Wie kommt man bei diesen niedrigen Gehältern und den hohen Kosten über die Runden?
"Die meisten hier leben von Geldüberweisungen aus Übersee. Die meisten haben Familie im Ausland. In Europa, in Amerika. Ohne Überweisungen geht hier gar nichts."
Eritrea ist ein kleines Land mit gerade einmal sechs Millionen Einwohnern. Regelmäßig fliehen die Menschen. Etwa jeder fünfte Eritreer soll inzwischen im Ausland leben – also gut anderthalb Million. Und die, die im Ausland Fuß gefasst haben, müssen eine Zwangssteuer für den Staat entrichten.
Zwei Prozent des Nettoeinkommens – jeden Monat. Sonst werden Papiere wie Pässe oder Urkunden durch die eritreischen Botschaften nicht ausgestellt. Angeblich zahlen einige in der Diaspora gerne diese Gebühr. Für einen Aufbau, der kaum zu sehen ist.
Sonntagnachmittag. Das verwaiste Gebäude der PFDJ. Ein schmuckloser dreistöckiger Kasten. Auf dem Dachvorsprung über der Eingangstür steht auch auf englisch: Sieg den Massen.
Die PFDJ, die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit, ist die einzige Partei in Eritrea. Heute ist hier niemand, außer eine Wächterin und ein paar Webervögel, die aufgeregt an ihren Nestern bauen.
Ich bin mit Yemane Gebreab verabredet. Er ist der wichtigste Berater von Diktator Isayas Afewerki. Um Punkt 16 Uhr betritt ein älterer, hagerer Mann mit Anzug und weißem Hemd die Einfahrt.
Er kommt alleine! Keine Bodyguards, keine Dienstkarosse. Gebreab wirkt wie ein Buchhalter und nicht wie der zweitwichtigste Mann des Landes. Der 62-Jährige wird während unseres anderthalbstündigen Gesprächs in seinem Büro keine vernehmbare Regung zeigen.
"Dies ist eines der besten Länder in ganz Afrika wenn es um den Schutz von Menschenrechten und Menschenwürde geht. So einfach ist das."
Zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Die Weltgemeinschaft hat da eine andere Auffassung. Ein UNO-Report aus dem letzten Jahr listet zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Es gäbe politische Gefangene und Menschen müssten in einen Zwangsdienst - den National Service.
"Die letzten 18 Jahre waren Jahre des Kriegs, mit den Folgen des Krieges und die stetigen Anfeindungen der USA. Außerdem missverstehen uns viele europäischer Staaten, um was es uns in Eritrea wirklich geht."
Eritrea fühlt sich also missverstanden. Einem internationalen Komplott ausgesetzt. Dabei verzieht Gebreab keine Mine. Selbst den National Service verteidigt der 62-jährige als Dienst, der die Einheit unter den unterschiedlichen Stämmen und Glaubensrichtungen in Eritrea fördern soll.
De facto fördert er aber nicht die Einheit, sondern die Flucht. Viele junge Eritreer wollen nicht, dass der Staat ihr berufliches Leben festlegt. Der oberste Regierungsberater erkennt da kein Problem. Und, wieso wird der National Service nicht wie vorgesehen auf 18 Monate befristet, sondern willkürlich verlängert?
"Es gibt Leute, die für eine längere Zeit im Nationalen Dienst waren. Sie hatten Arbeit. Es wundert mich nicht, dass sie Leute finden, die sich beklagen. Sie finden aber auch andere. Leute die nicht im National Dienst sind. Und wenn doch, dann machen sie eine Arbeit, die sie mögen. Denken sie an die Ärzte, die hier sieben Jahre studiert haben an unserer Hochschule.
Ärzte, die jetzt in einem Staatskrankenhaus arbeiten im Nationalen Dienst. Eritrea ist ein Entwicklungsland. Und es stellt jegliche Ausbildung – sei es in de Schule bis hin zu den Hochschulen - gratis zur Verfügung. Das Land kann doch dann erwarten, dass die Jungen eine Zeit lang dem Staat dienen. Ich sehe darin kein Unglück."
Eine offene Diskussion, in welche Richtung Eritrea steuern soll, gibt es nicht. Viele Gesprächspartner teilen mir ihre Ansichten nur hinter vorgehaltener Hand mit. John, der Schwarzhändler, gehört zu den wenigen Ausnahmen.
Eritrea hat seit seiner Unabhängigkeit 1993 nie eine demokratische Wahl erlebt. Eritrea ist ein Land, dessen Verfassung nie in Kraft getreten ist. Ein Land ohne freie Presse. Ein Land, dass mit eiserner Faust von einem Präsidenten geführt wird, der gleichzeitig als Bote der Unabhängigkeit gepriesen wird.
Die Regierung, der Präsident höchst persönlich, tuen auch Gutes. Wer übers Land fährt, wird die guten Taten sehen: Die hageren Männer in ihrer bunten Rennfahrermontur mit Sturzhelm und Sonnenbrille.
"Die Regierung, ja der Präsident persönlich, besorgen wunderschöne Räder. Für jeden von uns. Als Preis oder als Unterstützung für die Sportkommission. Der Präsident organisiert uns alles. Vom Trikot, Schuhe, Räder und Helme. Er besorgt alles."
Spitzensportler als Privilegierte
Radrennsport ist neben Fußball und Leichtathletik die beliebteste Sportart in Eritrea. Die Italiener, die ehemaligen Kolonialherren, haben den Rennradvirus eingeschleppt.
Zum Nationalteam gehört der 29-jährige Bereket Yemane. Dass im letzten Jahr die gesamte eritreische Fußballnationalmannschaft ein Auswärtsspiel dazu genutzt hat, Asyl im Gastland Botswana zu beantragen – dafür hat Radsportler Yemane kein Verständnis.
Bereket Yemane: "Die haben eine andere Auffassung. Ich kann das nicht nachvollziehen ... Ich liebe mein Land. Eritrea ist Frieden, nur Frieden. Man kann hier Radfahren, hier ist die Familie. Ich komme, nachdem ich im Ausland war, immer gerne wieder."
Spitzensportler sind Privilegierte in einem Land, das international um Anerkennung ringt.
Ich bin nach Massawa gefahren. Diese Reise wurde mir gestattet. Eine spektakuläre Fahrt aus dem über 2000 Meter hohen Gebirge in dem Asmara liegt hinunter ans Rote Meer. Hunderte Serpentinen durch eine teilweise fruchtbare, fast dschungelhafte Landschaft.
Viel Ackerbau und ein bisschen Viehzucht. Nichts im großen Stil. Große Industrieprojekte, Zeichen des Fortschritts, auch hier nicht zu sehen. Eher die Blicke in die Vergangenheit. Die alte, ausgediente Bahnstrecke der Italiener vom Meer hinauf in das Gebirge verrottet in der gleißenden Sonne.
In der Hafenstadt Massawa hat Zena – der eritreische Flüchtling aus Köln - bis zu seiner Flucht bei einer Baufirma gearbeitet. Über Jahre hat er dort Reifen montiert und geflickt. Ein Job im Nationalen Dienst und ohne Perspektive. Die Firma habe ich gefunden. Ein großes, umzäuntes Gelände, darauf eine gewölbte Lagerhalle. Wie ein halbiertes Ölfass. Mit dem ehemaligen Chef über Zena und seine Flucht zu reden sei Unsinn, meint mein Taxifahrer.
Erstens würde er nichts sagen und zweitens das Autokennzeichen des Taxis aufschreiben. Das gebe nur Ärger für ihn - also erspare ich dem Fahrer das und gehe nicht in die Firma. Ich schaue einfach auf das Rote Meer. Hinter mir liegt ein Land, in dem viele Angst vor ihrer Regierung haben, gleichzeitig aber stolz auf den Frieden sind. Fast Schizophren.
150 Kilometer weiter über das Rote Meer liegen Saudi Arabien und der Jemen. Der Jemen zerfällt in einem Bürgerkrieg. Saudi Arabien beteiligt sich daran. Dort gibt es keinen Frieden.