Erinnerungskultur

Souvenirs können mehr als Selfies

Werden unter anderem am Checkpoint Charlie verkauft: Souvenirs sind bei Berlin-Touristen immer noch populär
Werden unter anderem am Checkpoint Charlie verkauft: Souvenirs sind bei Berlin-Touristen immer noch populär © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Wolfgang Kaschuba im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 14.11.2018
Die Berliner Weltzeituhr gibt es jetzt auch als Souvenir. Was die Frage aufwirft: Lohnt sich das in Selfie-Zeiten überhaupt noch? Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba hat daran wenig Zweifel.
Stephan Karkowsky: Bei den wirklich wichtigen Dingen sind wir nur ganz selten Zeitzeuge: Bei der Mondlandung vielleicht, beim Mauerfall, neulich hat ein Astronom sogar die Geburt eines Sterns beobachten können. Aber dass wir Zeuge werden bei der Geburt eines neuen Souvenirs, wow! Das ist schon was ganz Besonderes.
Diese Woche war‘s so weit, da verkündete ein Berliner Privatmuseumsbetreiber, dass sich künftig zu Plastikfernsehtürmen und Trabbis an Berliner Souvenirständen etwas Neues hinzugesellt: Die weltberühmte Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz wird künftig ebenfalls als Souvenir zu kaufen sein.
Geht das Souvenirgeschäft in Zeiten von Instagram wirklich so gut, dass sich da eine Expansion lohnt? Das fragen wir den Berliner Ethnologen Professor Wolfgang Kaschuba. Herr Kaschuba, guten Morgen!
Wolfgang Kaschuba: Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Für alle Nicht-Berliner, die sich noch nie verabredet haben an der Weltzeituhr am Alex – was ist das für ein Ding, wie sieht das aus?

Verabredungen an der Zylinderskulptur

Kaschuba: Das ist wahrscheinlich ein Generationsding. Für meine Generation war das klar, man verabredete sich dort. Das war ein großer Zylinder. Viele waren ja zunächst mal überrascht, dass das keine Uhr war einfach, mit Zeigern und einem Ziffernblatt, sondern eine Skulptur im Grunde genommen, eine sehr große Zylinderskulptur.
Die Weltzeituhr am Alex: Treffpunkt für Einheimische und Touristen gleichermaßen
Die Weltzeituhr am Alex: Treffpunkt für Einheimische und Touristen gleichermaßen© picture alliance / Arco Images
Und dort hat man sich in meiner Generation verabredet, wenn man Freunde in der DDR, in Ostberlin hatte, und, weil sich alle dort trafen, man sich unauffällig treffen wollte.
Karkowsky: Kaum zu glauben, dass das bislang noch niemand vermarktet hat. Aber wie man lesen konnte, was das keine böse Absicht. Der Designer, Erich John, wurde vielleicht jetzt erst gefragt. Aber was sagen Sie denn als Experte? Sind Souvenirs denn wirklich noch gefragt im Jahr 2018? Ist nicht das Selfie vor der Goldelse das neue Mitbringsel?
Kaschuba: Souvenirs haben natürlich schon ein bisschen mehr Retrocharakter. Sie verweisen zurück auf Traditionen des Urlaubs, in dem man bestimmte Dinge dann mitgebracht hat und erinnert hat.

Haptisch und physisch vorhanden

Aber sie haben gegenüber dem Selfie natürlich mindestens zwei andere Eigenschaften: Sie sind haptisch und physisch vorhanden, es ist also ein Gegenstand und nicht nur ein Bild. Und sie adressieren klarer und genauer.
Man kann immer behaupten, die Weltzeituhr, da habe ich an dich gedacht, dann habe ich das gekauft, und ich bringe dir das jetzt mit. Das Selfie setzt mich ja eher in Bezug zur Welt, nicht zu einem Adressaten.
Karl Marx als Souvenir in Trier.
Auch Karl Marx gibt es natürlich als Souvenir - hier in Trier.© dpa/picture alliance/Martin Weiser
Wenn ich mich vor dem Brandenburger Tor oder dem Eifelturm selfie, dann bin ich das ja. Also, diese beiden Aspekte, eine Adresse – das ist auch ein Geschenk für dich sozusagen, das Mitbringsel –, und das Haptische, das kann man anfassen, das kann man hinstellen. Die beiden Dinge machen das Souvenir zwar vielleicht ein bisschen altmodisch, aber dem Selfie jedenfalls funktional überlegen.
Karkowsky: Mich stört an Souvenirs ja immer, dass sie extra hergestellt werden, damit ich sie dann in anderen Städten kaufe. Wie hat das eigentlich mal angefangen? Denn die industrielle Massenherstellung von Souvenirs, das war ja nicht der Anfang – das war das Ende.
Braune Tassen mit dem Aufdruck des brühmten Schlosses und dem Namen Neuschwanstein
Ein schickes Neuschwanstein-Bild auf die Tasse gedruckt - gleich wird sie ein bisschen teurer.© dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Kaschuba: Nein. Natürlich braucht es dazu eine Erinnerungskultur. Es muss in einer Gesellschaft eben wert sein, dass man sich an etwas erinnert, an bestimmte Orte, Situationen, Personen. Und das entsteht in der Moderne vor allem dann im 19. Jahrhundert und dann ganz stark im 20. Jahrhundert, eben im Umfeld von Reise und Urlaub.

Eckermann brachte Goethe einen Napoleon-Flakon mit

Dort weiß man etwa, dass Goethe von seinem Freund Eckermann einen Napoleon-Flakon mitgebracht bekam aus Paris, also der Kopf des Napoleon auf einem Fläschchen. Das sind so die Anfänge im Grunde genommen der Massenproduktion.
Napoleon war damals ein Schlager. Den Eifelturm gab es ja noch nicht. Und Napoleon ist eine der sozusagen Karrieren so eines Souvenirs. Da konnte man sich eben ein kleines Flakon kaufen oder eben auch ein Bildchen. Oder es gab damals auch schon halbzentnerschwere Napoleon-Büsten aus Gips.
Buddha Figuren als Souvenir an einem Verkaufsstand in Chiang Mai, Thailand, aufgenommen am 28.02.2005.
Buddha-Figuren als Souvenir an einem Verkaufsstand in Chiang Mai, Thailand.© Andreas Lander / dpa-Zentralbild
Karkowsky: Heute muss natürlich niemand mehr in die Ferne reisen, um Dinge aus fernen Ländern zu kaufen, weshalb ich zum Beispiel im Urlaub immer ganz normale Supermärkte besuche, auf der Suche nach Dingen, die noch nicht globalisiert sind. Entwertet es eigentlich die Souvenirs, dass es die chinesische Teedose in jedem Asia-Shop gibt in Deutschland?

Mozart-Kugeln am Flughafen Tegel gekauft

Kaschuba: Ich meine, viele Leute, die viel unterwegs sind, machen es ja so. Ich muss auch gestehen, dass ich Sekretärinnen an der Universität manchmal die versprochenen Mozart-Kugeln in Tegel gekauft habe, obwohl ich in Wien war, weil ich nicht wusste, ob ich es in Wien schaffe.
Also, da gibt es natürlich so eine Art Inflation. Und deswegen, wie Sie auch, konterkarieren wir dies gern, und wenn dann die Käsereibe oder der Kartoffelschäler eine bestimmte Form hat, möglicherweise gar nicht als Souvenir produziert, sondern eben in der Tat in einem Haushaltsgeschäft, dann gibt das dem eben auch eine besondere Note.
Zwei russische Matrjoschka-Puppen in einem Moskauer Souvenir-Laden sind mit den Gesichtern von Donald Trump und Wladimir Putin bemalt.
Was man nicht alles in Souvenirläden kaufen kann: zwei russische Matrjoschka-Puppen mit den Gesichtern von Donald Trump und Wladimir Putin© picture alliance / dpa / Mikhail Pochuyev
Aber es sind eben immer noch diese kleinen Dinge, die eine große Rolle spielen. Und das Mitbringsel hat ja viel mit dem Souvenir auch zu tun.
Karkowsky: Die Berliner Weltzeituhr wird jetzt auch ein Souvenir. Man kann sie kaufen in Souvenirläden. Wir fragten dazu den Berliner Ethnologen Professor Wolfgang Kaschuba. Ihnen herzlichen Dank!
Kaschuba: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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