Erinnerungen eines Wanderers

Rezensiert von Gregor Ziolkowski |
Seinen Namen Rosenblatt hat er in Bezug auf die Sagengestalt des zu dauernder Unrast verurteilten Ewigen Juden Ahasver in Wander geändert. Da lagen Jahre des Wanderns und der Deportation hinter ihm. Weitere Stationen, die der inzwischen 89-jährige Autor in seinen Erinnerungen beschreibt, waren die Ehe mit Maxie Wander und die gemeinsamen Jahre in der DDR.
"Es gibt keine Worte, das zu beschreiben.", steht in jenem Teil von Fred Wanders Erinnerungen, der sich auf seine Erfahrungen als Deportierter und Häftling der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald bezieht. Das Unsagbare irgendwie dann doch zu benennen, das ist die Substanz eines Schreibens, dem sich große Texte verdanken: von Primo Levi über Boris Pahor und Imre Kertesz bis Jorge Semprún. Und auch Fred Wander hat mit seinem Roman "Der siebente Brunnen" ein wesentliches Stück literarischer Verarbeitung des Holocaust vorgelegt.

In den Erinnerungen des 1917 in Wien unter dem Namen Fritz Rosenblatt geborenen Juden, die jetzt – nach 1996 – in erweiterter Fassung erschienen sind, findet sich der Wandersche Ton – unprätentiös, aber mit einem genauen Gespür für die viel sagenden Details von Menschen und Situationen – wieder.

Seinen Namen hat er geändert mit Bezug auf die Sagengestalt des zu dauernder Unrast verurteilten Ewigen Juden Ahasver. Da lagen lange Jahre des Wanderns – und Fliehens! – und der Deportation hinter ihm. Aber die Namensänderung war auch ein Reflex auf den Antisemitismus, dem er schon als Kind in Wien begegnet war: "Saujud, Dreckjud – das hast du den ganzen Tag gehört." Und als der Heimkehrer 1945 während eines Arztbesuchs aufgerufen wird, richten sich die Blicke der Mitwartenden auf ihn: "Ich konnte den Gesichtern der Leute ansehen, was sie gedacht haben: ´Was? Herr Rosenblatt? Ein Jud´? (...) Den haben sie nicht vergast?´"

Nur glückliche Umstände hätten sein Überleben bewirkt, schreibt Wander, und in gewisser Weise sei auch er in den Konzentrationslagern gestorben. Allerdings spielte für dieses Überleben wohl auch viel Gespür eine Rolle: Unter dem Eindruck der Hitler zujubelnden Bevölkerung Wiens war er aus Österreich geflohen, zunächst in die Schweiz, dann weiter nach Frankreich. Wander verlebte eine ärmliche, dabei doch glückliche Zeit:

"Meine Ankunft in Frankreich war für mich gleichbedeutend mit der Wahrnehmung, ohne ständige Beschimpfung und Entwürdigung zu leben. Und vielleicht ist mir diese Leichtigkeit des Daseins erst später bewußt geworden. Paris hatte mein Leben verändert und die Demütigungen geheilt, die ich als jüdisches Kind in Wien erfahren hatte."

Es sollte nur eine kurze Zeit des relativen Glücks bleiben. Als Hitler Frankreich überfiel, versuchte Wander erneut die Flucht: in die USA, was nicht gelang, erneut in die Schweiz, von wo er in ein Deportationslager in Südfrankreich ausgeliefert wurde, Ausgangspunkt seiner Verschickung in deutsche Konzentrationslager.

Die Fragen, wie es dazu kommen konnte, dass sich Millionen Menschen widerstandslos in die Vernichtung treiben ließen, und wie wohl Menschen beschaffen sein müssen, die derartiges mit kalter bürokratischer Akuratesse ausführen, beschäftigen auch ihn, freilich kann auch er eine letzte Erklärung für das Ungeheuerliche nicht finden.

Wander tritt 1947 der Kommunistischen Partei Österreichs bei, arbeitet als Fotograf und Journalist und geht 1955 mit seiner Frau Maxie in die DDR, wo er ein Stipendium für das Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig erhält. Waren es anfangs – von vielen geteilte – politische Illusionen, die ihn und seine Frau in der DDR hielten, mischte sich in die Enttäuschung über die Entwicklung des Landes auch so etwas wie Solidarität mit den Freunden und Bekannten, die etwa das Privileg der Wanders, ungehindert reisen zu können, nicht nutzen konnten und die DDR "pur" hinzunehmen hatten.

Nicht unwesentlich war allerdings bei der Entscheidung, die DDR nicht zu verlassen, auch der Umstand, dass beide Erfolg als Schriftsteller hatten: Maxie Wander – ihrer Person sind große Teile der Erinnerungen gewidmet – hatte es mit ihren protokollartigen Frauenmonologen "Guten Morgen, du Schöne" zu regelrechtem Ruhm gebracht, Fred Wanders Roman "Der siebente Brunnen" (1972) war ein vielbeachtetes Buch, andere wie "Ein Zimmer in Paris" (1975) wurden ebenfalls ohne Probleme veröffentlicht.

Einige Jahre, nachdem Maxie Wander an einer Krebserkrankung gestorben war, verließ Wander die DDR und lebt seit 1983 wieder in Wien. In den letzten Jahren hat sich auch das gespannte Verhältnis Wanders zu seinem Geburtsland deutlich gebessert: Literaturpreise zeugen davon, und der milde Ton, den Wander aufgrund seiner Wahrnehmung in Österreich dem Land und seinen Bewohnern gegenüber anschlägt, zeugt von einer späten Wiederannäherung.

Aber die Erinnerung bleibt auch diesem Verhältnis eingeschrieben: "Die Vergangenheit ist nicht vergangen. Auf dem Hintergrund meines Bewusstseins spiegeln sich die Bilder der Wanderschaft und des Schreckens, wie auf einer Leinwand. Im Traum ziehe ich immer noch untröstlich durch fremde, endlose Straßen."

Fred Wander: Das gute Leben oder Von der Fröhlichkeit im Schrecken. Erinnerungen. WallsteinVerlag, Göttingen 2006. 400 Seiten, 24,00 Euro.