Erinnerungen eines großen Historikers
Fritz Stern, einer der bedeutendsten Historiker des 20. Jahrhunderts, hat Bilanz gezogen. "Fünf Deutschland und ein Leben" hat er seine lebendig und geistreich geschriebene Autobiografie genannt, die jetzt auch als Hörbuch vorliegt.
"Ich habe zwar nur fünf Jahre im nationalsozialistischen Deutschland gelebt, doch diese kurze Zeit genügte, um in mir die brennende Frage aufzuwerfen, deren Beantwortung mich während meine gesamten akademischen Tätigkeit umtrieb: Warum und auf welche Weise ist das universelle Potenzial der Menschheit zum Bösen in Deutschland Wirklichkeit geworden?"
1938 emigrierte die Familie wegen ihrer jüdischen Abstammung nach Amerika. Wie schwer die Entwurzelung ihn getroffen hat, sei ihm erst nach Jahrzehnten ganz klar geworden, schreibt Stern in seinen Erinnerungen "Fünf Deutschland und ein Leben", die dem gleichnamigen Hörbuch zu Grunde liegen.
"Als das Schiff auslief, empfand ich nichts als Erleichterung. Ich verließ voller Abscheu dieses jubelnde, Hitler vernarrte Deutschland. Erst später begriff ich, dass die Jahre im ‚Dritten Reich’ mir meine erste und gründlichste Lektion in politischer Bildung erteilt hatten."
Als Sprecher für die Gedanken des heute 82-jährigen Fritz Stern dient der Schauspieler Sylvester Groth. Eine ältere Stimme wäre vielleicht besser gewesen. Den besonderen Reiz dieses Hörbuchs bieten die Interviewpassagen mit Fritz Stern, deren kluge Auswahl den Text gut ergänzt.
"Ich empfinde es als sowohl Glück wie Verpflichtung, dass ich in zwei Welten leben kann. In Amerika lehre und in Amerika meine Familie hab. Dass da die Loyalität und das Bewusstsein amerikanisch ist, ist gar keine Frage. Dass ich mich für deutsche Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, sehr sehr engagiere, ist auch wahr und ich bedanke mich, dass ich eigentlich eine sehr freundliche, wenn auch oft und (sic!) kritische Resonanz in Deutschland habe."
Stern war bis zu seiner Emeritierung 1997 Professor an der Columbia University in New York, wo er in den vierziger Jahren auch studiert hatte. Offen spricht er über das tiefe Misstrauen, mit dem er Nachkriegsdeutschland anfänglich betrachtete. Über eine erste Reise in die junge Bundesrepublik 1954 schreibt Stern:
"Der tiefe Opportunismus, der im ‚Dritten Reich’ die Regel gewesen war, schien unter den Deutschen, mit denen ich sprach, noch immer weit verbreitet zu sein."
Doch seine Einstellung wandelt sich. Auch, weil Stern 1979 Marion Gräfin Dönhoff kennenlernt, damals Chefredakteurin der ZEIT. Eine lebenslange, tiefe Freundschaft wird die beiden verbinden.
Sterns Autobiographie geht über bloße Erinnerungen hinaus. Getreu seiner Devise, dass der Historiker zugleich ein Schriftsteller sein muss, ist es eine ebenso gelehrte wie leidenschaftliche Betrachtung des deutschen Sonderwegs. Seit Mitte der achtziger Jahre beobachtet Stern die deutschen Politiker nicht nur, sondern berät sie auch. 1987 hält er als erster ausländischer Staatsbürger im Bundestag die Rede zum 17. Juni und sorgt für eine heftige Debatte.
"Der damalige Aufstand muss in die deutsche Geschichte eingereiht werden, als einer jener großen Momente, an denen Menschen sich gegen Gewalt und Unmenschlichkeit gewehrt haben. Es war kein Aufstand für die Wiedervereinigung."
Nur zwei Jahre später lag sie in greifbarer Nähe: Die Berliner Mauer war offen, Europa wandelte sich – wieder einmal. Die britische Premierministerin Thatcher ist skeptisch, lädt ein halbes Dutzend namhafte Historiker zu Beratungen. Der Deutschland-Experte Stern ist einer von ihnen.
"Und hier muss ich nur sagen, wir haben glaube ich alle versucht, sie etwas zu beruhigen, dass das jetzige Deutschland ein wirklich anderes ist, als das, was sie in Erinnerung hat. Sie hat ja schließlich und endlich zur (sic!) Wiedervereinigung zugestimmt. Und ich will nicht sagen, dass wir das gemacht haben, aber möglicher Weise haben wir fünf Prozent dazu, in der Änderung ihrer Meinung, beigetragen."
Der Historiker Stern hat Teil am politischen Leben, er ist ein wichtiger Vermittler zwischen Amerika und Deutschland: Dafür erhielt Fritz Stern, vertrieben aus Breslau, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Und auch er kann – bei einem Spaziergang am Rheinufer - seinen Frieden machen, mit diesem Land. Eine Lebensgeschichte als Mahnmal.
"Dies war eine jener friedlichen und schönen deutschen Landschaften, an denen meine Eltern so hingen. Wie wohl nie zuvor empfand ich, was sie zuinnerst verloren hatten. Ich erkannte, dass es mit diesem Aufenthalt, ich als Amerikaner in Deutschland, eine eigene Bewandtnis hatte. Dass hier die zwei Teile meines Lebens zusammen gekommen waren. Damit trat die Versöhnung, die äußere und die innere, in eine neue Phase."
"Fünf Deutschland und ein Leben" mit Ausschnitten aus der gleichnamigen Biografie des Historikers Fritz Stern
Aus dem Englischen von Friedrich Griese
Das Hörbuch ist erschienen bei Hoffman und Campe, die drei CDs kosten 29,95 Euro.
1938 emigrierte die Familie wegen ihrer jüdischen Abstammung nach Amerika. Wie schwer die Entwurzelung ihn getroffen hat, sei ihm erst nach Jahrzehnten ganz klar geworden, schreibt Stern in seinen Erinnerungen "Fünf Deutschland und ein Leben", die dem gleichnamigen Hörbuch zu Grunde liegen.
"Als das Schiff auslief, empfand ich nichts als Erleichterung. Ich verließ voller Abscheu dieses jubelnde, Hitler vernarrte Deutschland. Erst später begriff ich, dass die Jahre im ‚Dritten Reich’ mir meine erste und gründlichste Lektion in politischer Bildung erteilt hatten."
Als Sprecher für die Gedanken des heute 82-jährigen Fritz Stern dient der Schauspieler Sylvester Groth. Eine ältere Stimme wäre vielleicht besser gewesen. Den besonderen Reiz dieses Hörbuchs bieten die Interviewpassagen mit Fritz Stern, deren kluge Auswahl den Text gut ergänzt.
"Ich empfinde es als sowohl Glück wie Verpflichtung, dass ich in zwei Welten leben kann. In Amerika lehre und in Amerika meine Familie hab. Dass da die Loyalität und das Bewusstsein amerikanisch ist, ist gar keine Frage. Dass ich mich für deutsche Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, sehr sehr engagiere, ist auch wahr und ich bedanke mich, dass ich eigentlich eine sehr freundliche, wenn auch oft und (sic!) kritische Resonanz in Deutschland habe."
Stern war bis zu seiner Emeritierung 1997 Professor an der Columbia University in New York, wo er in den vierziger Jahren auch studiert hatte. Offen spricht er über das tiefe Misstrauen, mit dem er Nachkriegsdeutschland anfänglich betrachtete. Über eine erste Reise in die junge Bundesrepublik 1954 schreibt Stern:
"Der tiefe Opportunismus, der im ‚Dritten Reich’ die Regel gewesen war, schien unter den Deutschen, mit denen ich sprach, noch immer weit verbreitet zu sein."
Doch seine Einstellung wandelt sich. Auch, weil Stern 1979 Marion Gräfin Dönhoff kennenlernt, damals Chefredakteurin der ZEIT. Eine lebenslange, tiefe Freundschaft wird die beiden verbinden.
Sterns Autobiographie geht über bloße Erinnerungen hinaus. Getreu seiner Devise, dass der Historiker zugleich ein Schriftsteller sein muss, ist es eine ebenso gelehrte wie leidenschaftliche Betrachtung des deutschen Sonderwegs. Seit Mitte der achtziger Jahre beobachtet Stern die deutschen Politiker nicht nur, sondern berät sie auch. 1987 hält er als erster ausländischer Staatsbürger im Bundestag die Rede zum 17. Juni und sorgt für eine heftige Debatte.
"Der damalige Aufstand muss in die deutsche Geschichte eingereiht werden, als einer jener großen Momente, an denen Menschen sich gegen Gewalt und Unmenschlichkeit gewehrt haben. Es war kein Aufstand für die Wiedervereinigung."
Nur zwei Jahre später lag sie in greifbarer Nähe: Die Berliner Mauer war offen, Europa wandelte sich – wieder einmal. Die britische Premierministerin Thatcher ist skeptisch, lädt ein halbes Dutzend namhafte Historiker zu Beratungen. Der Deutschland-Experte Stern ist einer von ihnen.
"Und hier muss ich nur sagen, wir haben glaube ich alle versucht, sie etwas zu beruhigen, dass das jetzige Deutschland ein wirklich anderes ist, als das, was sie in Erinnerung hat. Sie hat ja schließlich und endlich zur (sic!) Wiedervereinigung zugestimmt. Und ich will nicht sagen, dass wir das gemacht haben, aber möglicher Weise haben wir fünf Prozent dazu, in der Änderung ihrer Meinung, beigetragen."
Der Historiker Stern hat Teil am politischen Leben, er ist ein wichtiger Vermittler zwischen Amerika und Deutschland: Dafür erhielt Fritz Stern, vertrieben aus Breslau, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Und auch er kann – bei einem Spaziergang am Rheinufer - seinen Frieden machen, mit diesem Land. Eine Lebensgeschichte als Mahnmal.
"Dies war eine jener friedlichen und schönen deutschen Landschaften, an denen meine Eltern so hingen. Wie wohl nie zuvor empfand ich, was sie zuinnerst verloren hatten. Ich erkannte, dass es mit diesem Aufenthalt, ich als Amerikaner in Deutschland, eine eigene Bewandtnis hatte. Dass hier die zwei Teile meines Lebens zusammen gekommen waren. Damit trat die Versöhnung, die äußere und die innere, in eine neue Phase."
"Fünf Deutschland und ein Leben" mit Ausschnitten aus der gleichnamigen Biografie des Historikers Fritz Stern
Aus dem Englischen von Friedrich Griese
Das Hörbuch ist erschienen bei Hoffman und Campe, die drei CDs kosten 29,95 Euro.