Erinnerungen einer Kämpferin

29.01.2010
In ihrer Autobiografie beschreibt die Autorin Benoîte Groult, was es in den 50er-Jahren bedeutete, Kinder aufzuziehen - ohne Wegwerfwindeln und Waschmaschine - und dennoch einem Beruf nachzugehen. Und sie zeigt, wie selbst in unserer Zeit Frauen mit anderen Maßstäben gemessen werden als Männer.
Als Benoîte Groult 1988 "Salz auf unserer Haut" veröffentlichte, sorgte das Buch in Frankreich für einen Skandal, in Deutschland hingegen führte es fast ein Jahr lang die Bestseller-Listen an und wurde bereits im Hardcover eine Millionen Mal verkauft. Den ungeheuren Erfolg des Romans hierzulande sowie in ganz Nordeuropa erklärt die Autorin jetzt in ihrer Autobiografie "Meine Befreiung". In diesem Roman "leuchtet ein Bild der Freiheit auf, und das brachte die Leserin zum Träumen, zumal in einem puritanischen Land."

Der Skandal in ihrer Heimat hatte mehrere Gründe: Zum einen war Groult dort als Feministin bekannt, die diverse Essays gegen die Unterdrückung der Frauen publiziert hatte, die zwar ins Deutsche übersetzt, aber bei uns wenig wahrgenommen wurden; zum anderen war sie seit langem – in 4. Ehe – mit dem Schriftsteller und Mittérand-Berater Paul Guimard verheiratet, sodass der Roman, der offenkundig eigene Erlebnisse der Pariser Intellektuellen wiedergibt, schockierte.

Erst mit 68 Jahren hat Groult diese Geschichte ihrer Jahrzehnte währenden Leidenschaft als Roman publiziert, die sie nicht mit einem bretonischen Fischer erlebte, sondern – wie wir jetzt erfahren – mit einem amerikanische Piloten, dem sie nach der Befreiung von Paris begegnet war, aber nicht in den mittleren Westen folgen wollte. So ist das entsprechende Kapitel erst das vorletzte ihrer Autobiografie. Zuvor erfahren wir die Geschichte von Benoîtes mühsamer Emanzipation, von ihren drei ersten Ehen, von denen die erste und zweite jeweils nach kurzer Zeit tragisch mit dem Tod des Ehemanns endete, die dritte hingegen letztlich ein großes Missverständnis war.

Dabei zeichnet die Autorin ihren Weg hin zum Feminismus absolut überzeugend auf, da er nicht auf Ideologie basiert, sondern sich geradezu als Notwendigkeit ergeben hat. Die nunmehr 90-Jährige – sie feiert ihren runden Geburtstag am 31. Januar – erinnert uns Nachgeborene nicht nur an den langen Weg zur Gleichberechtigung, den die Frauen, denen in Frankreich erst 1945 das Wahlrecht zugestanden wurde, im 20. Jahrhundert zurückgelegt haben.

Sie beschreibt auch konkret, was es in den 50er-Jahren bedeutete, Kinder aufzuziehen – ohne Wegwerfwindeln, Fertigkost und Waschmaschine – und dennoch einem Beruf nachzugehen. Und sie zeigt, wie selbst in unserer Zeit Frauen noch immer mit anderen Maßstäben gemessen werden als Männer: So wurde sie im Fernsehen von einer Herrenrunde gefragt, was denn der werte Gatte zu "Salz auf unserer Haut" sage. "Hat man Philippe Sollers jemals danach gefragt, was seine Frau Julia Kristeva von seinem Roman "Femmes" hält?"

So verbindet Benoîte Groult in ihrer Autobiografie Privates mit Politischem, die Beschreibung ihrer persönlichen Entwicklung mit ihrer Karriere als Schriftstellerin. Wir erfahren von ihrer Liebe zum Meer, die sie über Jahrzehnte mit Paul Guimard verband, aber auch von den Schwierigkeiten, einen Vortrag zu schreiben, wenn die Töchter zwei der Enkelinnen bei der Großmutter einquartiert haben. Dieses Panorama weiblicher Existenz im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert ist reich genug, um über die recht heterogene Form des Buches hinwegzusehen – eine Mischung aus Bericht, Reflexion, Erzählung, mit eingestreuten Interviews, bunt wie das Leben selbst.

Besprochen von Carolin Fischer

Benoîte Groult: Meine Befreiung. Autobiografie.
Deutsch von Barbara Scriba-Sethe und Irène Kuhn
Bloomsbury, Berlin 2008
272 Seiten, 19,90 Euro