Erinnerungen an einen Literaten
Vor rund zehn Jahren starb der Dichter Clemens Eich an den Folgen eines Unfalls. Die "Gesammelten Werke I und II" sollen an den Literaten erinnern. Darin enthalten ist das bisher unveröffentlichte Theaterstück "So".
"Alles spricht für die Annahme", schreibt Ulrich Greiner in seinem Nachwort zur Ausgabe der "Gesammelten Werke" von Clemens Eich, "dass die Literaturkritik und die Leser in Clemens Eich, hätte er hinreichend Zeit gehabt, einen der wichtigsten Autoren deutscher Sprache erblickt hätten." Die Tragik verbirgt sich hinter dem Konjunktiv.
Dem 1954 geborenen Clemens Eich, Sohn von Ilse Aichinger und Günter Eich, war es zu Lebzeiten offensichtlich nicht vergönnt, jenen vorderen Platz in der deutschsprachigen Literatur einzunehmen, den Greiner ihm gern gegönnt hätte. Mit seinem frühen Tod, Clemens Eich starb 1998 an den Folgen eines Autounfalls in Wien, fand abrupt ein Werk seinen Abschluss, dem nun im günstigsten Falle Nachruhm beschieden sein kann. Was Clemens Eich noch hätte schreiben können, bleibt ebenso Spekulation wie ein möglicher Durchbruch, der ihm die Gunst der Kritik und der Leser hätte einbringen können. Wichtiger aber ist, und dafür muss man den Herausgebern Elisabeth Eich und Ulrich Greiner danken, dass sie mit der nun vorliegenden Werkausgabe einen Autor in Erinnerung rufen. Im Vergessen-Werden bestünde die über den Tod hinausgehende eigentliche Tragik.
Die beiden Bände der Ausgabe versammeln einmal, was zu Lebzeiten von Clemens Eich erschienen ist. Er debütierte 1980 mit dem Gedichtband "Aufstehn und gehn", veröffentlichte 1987 den Erzählungsband "Zwanzig nach drei" und publizierte 1995 den Roman "Das steinerne Meer". Die "Aufzeichnungen aus Georgien", sein "Beutebuch", das ein Buch des Fragens werden sollte, konnte er nicht mehr vollenden – postum erschien es 1999 im S. Fischer Verlag. Darüber hinaus enthält die Werkausgabe neben den bereits publizierten Texten das 1984 entstandene und bisher unveröffentlichte Theaterstück "So", Gedichte aus dem Nachlass, die in der Zeit von 1977 bis 1996 entstandenen sind sowie "Sechs Gedichte für Papa" - die Clemens Eich als 13-Jähriger für seinen Vater Günter Eich schrieb - und das Gedicht "Schreibübung" des 14-Jährigen.
Ein 12-Jähriger, der in wenigen Monaten 13 wird, steht im Zentrum von Eichs Roman "Das steinerne Meer". Valentin liebte die "wahren Begebenheiten", denn sie "waren nüchterner und sachlicher, obwohl sie an Unwahrscheinlichem das Erfundene oft bei weitem übertrafen." Dieser Satz ist für das Schreiben von Clemens Eich von geradezu programmatischer Bedeutung, denn seine surrealistischen Erzählungen, die der Band "Zwanzig nach drei" vereint, handeln von seltsamen, absurd anmutenden Ereignissen, die dem Reich der Phantasie geschuldet zu sein scheinen. Doch die wahnhaften Vorstellungen, von denen die Protagonisten heimgesucht werden und die Angstzustände, die sie überfallen, haben einen realen Hintergrund. In der Erzählung "Geher an der Bahnlinie" trifft ein Geher auf einen Maler, der auf der Suche nach "Trauer-, Angst- und Wahrheitsfarben für eine bestimmte Höllenszene" ist. Der Vorgang mutet mehr als seltsam an, denn der Geher sieht in der sehr realen Welt bereits jene Farben, die der Maler zu finden hofft.
Nach wahrhaftigen Farben sucht Clemens Eich auch in seinen Gedichten. Es kann ihn nicht kümmern, ob sich daraus eine Höllenszene ergibt – entscheidend ist, dass die Farben stimmen. Eich scheut nicht die dunklen Pfade, ihn ängstigen nicht "Fallen und Schlingen", von denen im Gedicht "Kein Winter in Landshut" die Rede ist. Das schwierige Unterwegssein findet sich häufig in den Texten von Clemens Eich. Er stößt so auf Themen, die "alle Themen der Welt" und dennoch nicht alles sind.
"Nichts / zugrund / gehen lassen / außer / sich selbst", heißt es in dem Gedicht "Leben lernen". Clemens Eichs Texte handeln vom Erinnern, Bewahren und Wachhalten. Eich ist kein Beutemacher, sondern ein Grenzgänger – selten gibt er Antworten. Wie ein Getriebener – "Weiter" heißt eines seiner Gedichte – schaut er sich in jenen Zwischenbereichen um, in denen Finden das eigene "Ich" kosten kann.
Rezensiert von Michael Opitz
Clemens Eich: Gesammelte Werke I und II. Herausgegeben von Elisabeth Eich und Ulrich Greiner.
Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2008. 396 und 358 Seiten. 29,90 Euro.
Dem 1954 geborenen Clemens Eich, Sohn von Ilse Aichinger und Günter Eich, war es zu Lebzeiten offensichtlich nicht vergönnt, jenen vorderen Platz in der deutschsprachigen Literatur einzunehmen, den Greiner ihm gern gegönnt hätte. Mit seinem frühen Tod, Clemens Eich starb 1998 an den Folgen eines Autounfalls in Wien, fand abrupt ein Werk seinen Abschluss, dem nun im günstigsten Falle Nachruhm beschieden sein kann. Was Clemens Eich noch hätte schreiben können, bleibt ebenso Spekulation wie ein möglicher Durchbruch, der ihm die Gunst der Kritik und der Leser hätte einbringen können. Wichtiger aber ist, und dafür muss man den Herausgebern Elisabeth Eich und Ulrich Greiner danken, dass sie mit der nun vorliegenden Werkausgabe einen Autor in Erinnerung rufen. Im Vergessen-Werden bestünde die über den Tod hinausgehende eigentliche Tragik.
Die beiden Bände der Ausgabe versammeln einmal, was zu Lebzeiten von Clemens Eich erschienen ist. Er debütierte 1980 mit dem Gedichtband "Aufstehn und gehn", veröffentlichte 1987 den Erzählungsband "Zwanzig nach drei" und publizierte 1995 den Roman "Das steinerne Meer". Die "Aufzeichnungen aus Georgien", sein "Beutebuch", das ein Buch des Fragens werden sollte, konnte er nicht mehr vollenden – postum erschien es 1999 im S. Fischer Verlag. Darüber hinaus enthält die Werkausgabe neben den bereits publizierten Texten das 1984 entstandene und bisher unveröffentlichte Theaterstück "So", Gedichte aus dem Nachlass, die in der Zeit von 1977 bis 1996 entstandenen sind sowie "Sechs Gedichte für Papa" - die Clemens Eich als 13-Jähriger für seinen Vater Günter Eich schrieb - und das Gedicht "Schreibübung" des 14-Jährigen.
Ein 12-Jähriger, der in wenigen Monaten 13 wird, steht im Zentrum von Eichs Roman "Das steinerne Meer". Valentin liebte die "wahren Begebenheiten", denn sie "waren nüchterner und sachlicher, obwohl sie an Unwahrscheinlichem das Erfundene oft bei weitem übertrafen." Dieser Satz ist für das Schreiben von Clemens Eich von geradezu programmatischer Bedeutung, denn seine surrealistischen Erzählungen, die der Band "Zwanzig nach drei" vereint, handeln von seltsamen, absurd anmutenden Ereignissen, die dem Reich der Phantasie geschuldet zu sein scheinen. Doch die wahnhaften Vorstellungen, von denen die Protagonisten heimgesucht werden und die Angstzustände, die sie überfallen, haben einen realen Hintergrund. In der Erzählung "Geher an der Bahnlinie" trifft ein Geher auf einen Maler, der auf der Suche nach "Trauer-, Angst- und Wahrheitsfarben für eine bestimmte Höllenszene" ist. Der Vorgang mutet mehr als seltsam an, denn der Geher sieht in der sehr realen Welt bereits jene Farben, die der Maler zu finden hofft.
Nach wahrhaftigen Farben sucht Clemens Eich auch in seinen Gedichten. Es kann ihn nicht kümmern, ob sich daraus eine Höllenszene ergibt – entscheidend ist, dass die Farben stimmen. Eich scheut nicht die dunklen Pfade, ihn ängstigen nicht "Fallen und Schlingen", von denen im Gedicht "Kein Winter in Landshut" die Rede ist. Das schwierige Unterwegssein findet sich häufig in den Texten von Clemens Eich. Er stößt so auf Themen, die "alle Themen der Welt" und dennoch nicht alles sind.
"Nichts / zugrund / gehen lassen / außer / sich selbst", heißt es in dem Gedicht "Leben lernen". Clemens Eichs Texte handeln vom Erinnern, Bewahren und Wachhalten. Eich ist kein Beutemacher, sondern ein Grenzgänger – selten gibt er Antworten. Wie ein Getriebener – "Weiter" heißt eines seiner Gedichte – schaut er sich in jenen Zwischenbereichen um, in denen Finden das eigene "Ich" kosten kann.
Rezensiert von Michael Opitz
Clemens Eich: Gesammelte Werke I und II. Herausgegeben von Elisabeth Eich und Ulrich Greiner.
Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2008. 396 und 358 Seiten. 29,90 Euro.