Erinnerungen an eine Liebe

10.09.2009
Wie und woran erinnert man sich - und kann man sich auf das Gedächtnis verlassen? Diese Fragen beschäftigen nicht allein Hirnforscher, sondern stehen immer wieder auch im Zentrum der Literatur. In dem einzigen (1995 erschienen) Roman der amerikanischen Schriftstellerin geht es um die Erinnerung an das Ende einer Liebe.
Warum war der Schmerz so groß, warum verfolgte die Frau den Geliebten nach der Trennung mit ihren Anrufen und Vorwürfen, obwohl sie ihn doch auf Distanz gehalten hatte, so lange die Beziehung noch dauerte? Und wie hatte die Geschichte überhaupt angefangen?

Eine 35-jährige Schriftstellerin und Universitätsdozentin verliebt sich in einen zwölf Jahre jüngeren Mann, der sie bewundert und begehrt. Viele Jahre später schreibt sie einen Roman über diesen Liebeswahn, spürt der Geschichte nach, entwirft das genaue Psychogramm ihrer Heldin, die sich eingesteht "Es war für mich nie leicht, einen anderen Menschen zu lieben, obwohl ich darin Fortschritte mache."

Während sie sich mit der Aufarbeitung dieser alten Liebesgeschichte beschäftigt, stellt sie sich immer wieder die Frage, ob die eigenen Erinnerungen und Erklärungen überhaupt zuverlässige Zeugnisse darstellen. Lydia Davis schreibt über die Untiefen des Schreibens, die Fallstricke des Gedächtnisses, die Irrationalität von Liebeswunsch und Begehren und die dauernden Verletzungen der Zurückweisung.

Von den Empfindungen bei der Auflösung der Beziehung und den Gedanken bei der Verfertigung des Romans wird parallel erzählt. Vergangenheit und Gegenwart gehen ineinander über und die Seelenlandschaft kontrastiert mit genauen Beschreibungen äußerer Landschaften an der amerikanischen West- und Ostküste.

Die Autorin setzt auf faszinierende Weise die Mosaiksteine verschiedener Zeitebenen zusammen: Sie sitzt am Schreibtisch, redet mit ihrem Mann über die Arbeit an ihrem Roman, kümmert sich um dessen demenzkranken Vater, sie sinnt der eigenen Liebesfähigkeit und Erfahrung nach und dem Grund für die Notwendigkeit, diesen Roman zu schreiben. Einen Roman, der beides mit gleicher Intensität und Genauigkeit ins Zentrum rückt: Den Wahnsinn der Liebe und den des Schreibens.

Besprochen von Manuela Reichart

Lydia Davis: Das Ende der Geschichte,
aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer, Literaturverlag Droschl,
Graz /Wien 2009, 256 Seiten, 21,00 Euro