Erinnerungen an die Wiege unserer Kultur
Unser Verständnis von Politik, Kunst und Wissenschaft wurde maßgeblich durch das antike Griechenland geprägt - nicht zuletzt, weil hier die Demokratie erfunden wurde. Da scheint es angesichts des schwindenden Vertrauens in unsere Regierungsform angebracht, sich mit Konrad Adam auf eine Bildungsreise zurück in das alte Athen zu begeben.
Wer nichts weiß vom klassischen Griechenland, weiß wenig von seiner eigenen Kultur. Das gilt zumindest für Bürger der westlichen Welt, denn deren Verständnis von Politik, von Kunst, von Wissenschaft hat altgriechische Wurzeln. Immerhin hat das antike Griechenland die Demokratie erfunden - und voller Enthusiasmus auch gelebt: zwischen 800 bis 400 vor Christus in Korinth, in Sparta, in Athen.
Allerdings: das Interesse an der Antike verblasst hierzulande mehr und mehr, stellt Konrad Adam fest. Und darum will er uns erinnern an die griechische Polis als Wiege unserer Kultur. Das hier ist ein Buch zum Zwecke staatsbürgerlicher Besinnung: Was an unserer Kultur ist klassisch-griechisch? Aber auch: Was ist völlig ungriechisch, wo sind die Griechen uns fremd? Oder fremd geworden – zu unserem Vorteil oder auch zu unserem Nachteil.
Das haben wir alle schon mal gehört: die griechische Polis ist die Mutter der Demokratie. Die Griechen haben die Bürgerversammlung erfunden: Freiheit und Gleichheit, jeder Bürger hatte eine Stimme, die Mehrheit entschied, wo’s lang geht. Das sind die demokratischen Spielregeln bis heute. Und dann wissen wir noch, dass eine Menge Leute damals ausgeschlossen waren von der Demokratie (Frauen, Sklaven, Barbaren…). Ergo, meinen viele, die Demokratie von heute sei besser, fortschrittlicher, "höher entwickelt" als die im alten Griechenland.
Das ist richtig, wenn man die Zahl der Beteiligten betrachtet, meint Konrad Adam. Was allerdings die Qualität der Demokratie betrifft: uns sind inzwischen ein paar Einrichtungen (und vor allem Einstellungen) abhanden gekommen, die den Griechen völlig selbstverständlich waren: Die Griechen haben von ihren Bürgern nämlich weit mehr verlangt als alle paar Jahre zur Wahl zu gehen.
Das Athen das Perikles zählte rund 20.000 Bürger. Staatsämter (über 1000) wurden grundsätzlich durch das Los vergeben, nur Heerführer wurden gewählt, und auch die waren Amateure. Das heißt, jeder Bürger musste jedem Amt im Staat gewachsen sein: ob Finanzen, Kultur oder Militär, und im Laufe seines Lebens war jeder irgendwann auch dran. In der griechischen Polis ging Gemeinnutz ganz klar vor Eigennutz. Für Bürger ohne Interesse an Politik, am Wohl der Gemeinschaft, haben die Griechen ein Wort erfunden: "Idiot". Unter Perikles wurden alle "Idioten" aus Athen verbannt.
Die Vermögenssteuer, hierzulande heftig umstritten, galt im alten Athen als Selbstverständlichkeit. Die alten Griechen waren also Sklavenhalter und Gleichheitsfanatiker. Wer als vermögend bekannt war, wurde – neben der normalen Steuer - dauernd zu Sondersteuern verpflichtet: Sponsoring war nicht etwa freiwillig, sondern Staatsbürgerpflicht. Man hatte zum Beispiel ein Kriegsschiff auszurüsten, ein Theaterfestival zu finanzieren oder einen neuen Götter-Tempel zu bezahlen. Das hat so manchen wohlhabenden Mann in den Ruin getrieben. - Bürger zu sein im alten Griechenland, das hieß, da zu sein für das Gemeinwesen. Jederzeit. Mit vollem Einsatz. Unter allen Umständen. Auf eigene Rechnung und auf eigene Gefahr.
Ein Kapitel heißt " Panorama des Lebens. Die griechische Kunst." Da geht es ums Theater, um Bildhauerei, um Musik, um Architektur. Ein anderes handelt von der griechischen Philosophie, ein drittes beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Griechen zur Natur… - Insgesamt versucht Konrad Adam, seinem Leser ein Bild zu verschaffen: Was war klassisch- griechische Lebensart?
Konrad Adam versteht, uns zu belehren. Zwar beruft sich unsere Kultur oft auf die antike Tradition, aber sie vermeidet es, genauer hinzusehen. Im Grunde, so Adam, ist die antike Lebensart uns ziemlich fremd.
Dafür gibt es viele Beispiele: Noch heute schwören junge Ärzte den Eid des Hippokrates, stellen sich in die Tradition der antiken Heilkunst. Man bedenke aber: Hippokrates’ oberster Behandlungsgrundsatz lautete:
"Zunächst einmal: Nicht schaden! Experimente und Risiken aller Art soll ein Arzt unbedingt vermeiden." Hippokrates, so Konrad Adam, das war Minimal-Medizin zum Wohle des Patienten. Ein chirurgischer Eingriff war für ihn so etwas wie das letzte Mittel. - Der Autor dazu wörtlich: " Das ist fast schon das Gegenteil von der Behandlungs- und Eingriffswut, mit der die heutige Medizin ans Werk zu gehen pflegt."
Das Buch ist gut und fesselnd geschrieben. Konrad Adam ist ein Mann vom Fach, der hat alte Sprachen studiert und Geschichte dazu – und er hat jahrzehntelang als Journalist gearbeitet. Das alles merkt man diesem Buch auch an. Ein lehrreiches Lesevergnügen.
Der Leser sollte aber wissen: Das Verhältnis des Autors zum Griechentum erinnert sehr an Friedrich Nietzsche. Da schwingt viel Bewunderung mit für das schöne, das pralle, das starke Leben im alten Griechenland – und ein wenig Verachtung für die christliche Kultur, die später kam und die griechische verschüttet hat. Überall, wo in diesem Buch vom Christentum die Rede ist, da kommt das Christentum schlecht weg.
Diesen Hymnus auf die vorchristliche Antike kann man goutieren oder auch nicht. – Aber selbst wenn einem Konrad Adams Geringschätzung des Christentums nicht behagt (Immerhin hat das Christentum solche "ungriechischen Tugenden" wie Mitleid und Vergebung "erfunden"): das hier bleibt eine spannende Bildungsreise zurück in das alte Athen.
Rezensiert von Susanne Mack
Konrad Adam: Die alten Griechen
Rowohlt Verlag, Berlin 2006
192 Seiten, 16,90 Euro
Allerdings: das Interesse an der Antike verblasst hierzulande mehr und mehr, stellt Konrad Adam fest. Und darum will er uns erinnern an die griechische Polis als Wiege unserer Kultur. Das hier ist ein Buch zum Zwecke staatsbürgerlicher Besinnung: Was an unserer Kultur ist klassisch-griechisch? Aber auch: Was ist völlig ungriechisch, wo sind die Griechen uns fremd? Oder fremd geworden – zu unserem Vorteil oder auch zu unserem Nachteil.
Das haben wir alle schon mal gehört: die griechische Polis ist die Mutter der Demokratie. Die Griechen haben die Bürgerversammlung erfunden: Freiheit und Gleichheit, jeder Bürger hatte eine Stimme, die Mehrheit entschied, wo’s lang geht. Das sind die demokratischen Spielregeln bis heute. Und dann wissen wir noch, dass eine Menge Leute damals ausgeschlossen waren von der Demokratie (Frauen, Sklaven, Barbaren…). Ergo, meinen viele, die Demokratie von heute sei besser, fortschrittlicher, "höher entwickelt" als die im alten Griechenland.
Das ist richtig, wenn man die Zahl der Beteiligten betrachtet, meint Konrad Adam. Was allerdings die Qualität der Demokratie betrifft: uns sind inzwischen ein paar Einrichtungen (und vor allem Einstellungen) abhanden gekommen, die den Griechen völlig selbstverständlich waren: Die Griechen haben von ihren Bürgern nämlich weit mehr verlangt als alle paar Jahre zur Wahl zu gehen.
Das Athen das Perikles zählte rund 20.000 Bürger. Staatsämter (über 1000) wurden grundsätzlich durch das Los vergeben, nur Heerführer wurden gewählt, und auch die waren Amateure. Das heißt, jeder Bürger musste jedem Amt im Staat gewachsen sein: ob Finanzen, Kultur oder Militär, und im Laufe seines Lebens war jeder irgendwann auch dran. In der griechischen Polis ging Gemeinnutz ganz klar vor Eigennutz. Für Bürger ohne Interesse an Politik, am Wohl der Gemeinschaft, haben die Griechen ein Wort erfunden: "Idiot". Unter Perikles wurden alle "Idioten" aus Athen verbannt.
Die Vermögenssteuer, hierzulande heftig umstritten, galt im alten Athen als Selbstverständlichkeit. Die alten Griechen waren also Sklavenhalter und Gleichheitsfanatiker. Wer als vermögend bekannt war, wurde – neben der normalen Steuer - dauernd zu Sondersteuern verpflichtet: Sponsoring war nicht etwa freiwillig, sondern Staatsbürgerpflicht. Man hatte zum Beispiel ein Kriegsschiff auszurüsten, ein Theaterfestival zu finanzieren oder einen neuen Götter-Tempel zu bezahlen. Das hat so manchen wohlhabenden Mann in den Ruin getrieben. - Bürger zu sein im alten Griechenland, das hieß, da zu sein für das Gemeinwesen. Jederzeit. Mit vollem Einsatz. Unter allen Umständen. Auf eigene Rechnung und auf eigene Gefahr.
Ein Kapitel heißt " Panorama des Lebens. Die griechische Kunst." Da geht es ums Theater, um Bildhauerei, um Musik, um Architektur. Ein anderes handelt von der griechischen Philosophie, ein drittes beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Griechen zur Natur… - Insgesamt versucht Konrad Adam, seinem Leser ein Bild zu verschaffen: Was war klassisch- griechische Lebensart?
Konrad Adam versteht, uns zu belehren. Zwar beruft sich unsere Kultur oft auf die antike Tradition, aber sie vermeidet es, genauer hinzusehen. Im Grunde, so Adam, ist die antike Lebensart uns ziemlich fremd.
Dafür gibt es viele Beispiele: Noch heute schwören junge Ärzte den Eid des Hippokrates, stellen sich in die Tradition der antiken Heilkunst. Man bedenke aber: Hippokrates’ oberster Behandlungsgrundsatz lautete:
"Zunächst einmal: Nicht schaden! Experimente und Risiken aller Art soll ein Arzt unbedingt vermeiden." Hippokrates, so Konrad Adam, das war Minimal-Medizin zum Wohle des Patienten. Ein chirurgischer Eingriff war für ihn so etwas wie das letzte Mittel. - Der Autor dazu wörtlich: " Das ist fast schon das Gegenteil von der Behandlungs- und Eingriffswut, mit der die heutige Medizin ans Werk zu gehen pflegt."
Das Buch ist gut und fesselnd geschrieben. Konrad Adam ist ein Mann vom Fach, der hat alte Sprachen studiert und Geschichte dazu – und er hat jahrzehntelang als Journalist gearbeitet. Das alles merkt man diesem Buch auch an. Ein lehrreiches Lesevergnügen.
Der Leser sollte aber wissen: Das Verhältnis des Autors zum Griechentum erinnert sehr an Friedrich Nietzsche. Da schwingt viel Bewunderung mit für das schöne, das pralle, das starke Leben im alten Griechenland – und ein wenig Verachtung für die christliche Kultur, die später kam und die griechische verschüttet hat. Überall, wo in diesem Buch vom Christentum die Rede ist, da kommt das Christentum schlecht weg.
Diesen Hymnus auf die vorchristliche Antike kann man goutieren oder auch nicht. – Aber selbst wenn einem Konrad Adams Geringschätzung des Christentums nicht behagt (Immerhin hat das Christentum solche "ungriechischen Tugenden" wie Mitleid und Vergebung "erfunden"): das hier bleibt eine spannende Bildungsreise zurück in das alte Athen.
Rezensiert von Susanne Mack
Konrad Adam: Die alten Griechen
Rowohlt Verlag, Berlin 2006
192 Seiten, 16,90 Euro