Erinnerungen an die Kindheit
Der holländische Schriftsteller Maarten ´T Hart hat in seinem neunten Roman dem Ort seiner Kindheit ein Denkmal gesetzt. "Unter dem Deich" nennt sich das Buch, das bereits 1988 erstmals publiziert wurde: Ein kleines Werk voll menschlicher Größe, das es jetzt in einer neuen deutschen Ausgabe gibt.
Ein Ort, der nicht mehr existiert, Erinnerungen an eine Kindheit in Armut, an erste Zweifel an Glaubenswahrheiten, an die Schönheit der verschwundenen Natur.
Der holländische Schriftsteller hat in seinem neunten, 1988 erstmals publizierten Buch wie schon in seinen vorherigen Romanen dem Ort seiner Kindheit ein wehmütiges Denkmal gesetzt. "Unter dem Deich" nennt sich zwar Roman, ist aber eher ein Band mit zwei Erzählungen, die sich stark voneinander unterscheiden.
Die erste, "Paradies" überschrieben, beschreibt autobiografisch gefärbt den Alltag in jenem kleinen Elendsviertel von Maassluis, in dem Maarten`t Hart in den 50er-Jahren aufgewachsen ist. Das ewige Sanierungsgebiet bestand aus schmalen Gassen, alten baufälligen Häuschen mit winzigen Räumen, Kohleöfen, ohne Badezimmer.
Er erzählt von der großen Sturmflut, die die halbe Stadt unter Wasser setzt, während das Armenviertel verschont bleibt. Dass dabei eine wertvolle Bibelsammlung untergeht, nutzt der Autor zu einem seiner typischen ironischen Seitenhiebe auf die Bibelgläubigkeit. Der Autor kennt sie und ihre Widersprüche in- und auswendig.
Ausführlich beschreibt er die Lebensverhältnisse der Bewohner, die jeden Cent in der Tasche umdrehen mussten, lässt uns aus der Perspektive des Heranwachsenden in die Wohnstuben und Suppentöpfe schauen, den Gesprächen der Erwachsenen lauschen. Entlarvt wird ein betrügerischer Bestatter, bewundert ein cleverer Trödler, der den Leuten vermeintlich alten Plunder, in Wirklichkeit wertvolle Antiquitäten abluchst, gefeiert die prächtige Natur am Deich und im Kanal.
Es ist die Erzählkunst des Autors, sein Humor und Sinn für Skurrilitäten, die eine untergegangene Welt wieder zum Leben erwecken. Man folgt gerne seinem gradlinigen, schnörkellosen Stil, den witzigen Dialogen, den Einsichten in die menschliche Natur.
Erst die zweite Erzählung "Der Kreisel" ist eine rein fiktive Geschichte. Auch sie spielt im Armenviertel. Ein junges Mädchen, hochintelligent, wird gezwungen, statt die Oberschule zu besuchen, eine Lehre zu absolvieren. Sie überflügelt alle, lässt sich dann allerdings auf eine Heirat mit einem Mann ein, der ihr nicht das Wasser reichen kann.
Unzufrieden mit der Situation bricht sie aus dem Ehegefängnis aus, verliebt sich in einen Lehrer, zieht mit ihm zusammen und will ihn auch heiraten. Doch ihr Mann lässt sich nicht scheiden, selbst als sie ein Kind von dem neuen Mann bekommt. Trotz der Ächtung ihrer Glaubensgemeinschaft schafft sie es durch einen Trick, ihr Kind taufen zu lassen.
Als sie sich mit der emanzipierten Ehefrau des neuen Pastors anfreundet, eröffnet sich ihr eine neue Welt: die des Bildungsbürgertums. Doch schon bald begreift sie, dass sie immer ein Kind aus dem Armenviertel unter dem Deich bleiben wird. So heißt es am Ende der Geschichte denn auch: "Man ist für immer verdammt, zwischen allen Stühlen zu sitzen."
Maarten `t Harts Roman ist ein kleines Werk voll menschlicher Größe.
Besprochen von Johannes Kaiser
Maarten`T Hart: Unter dem Deich
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens
Piper Verlag, München 2013
270 Seiten, 19,99 Euro
Der holländische Schriftsteller hat in seinem neunten, 1988 erstmals publizierten Buch wie schon in seinen vorherigen Romanen dem Ort seiner Kindheit ein wehmütiges Denkmal gesetzt. "Unter dem Deich" nennt sich zwar Roman, ist aber eher ein Band mit zwei Erzählungen, die sich stark voneinander unterscheiden.
Die erste, "Paradies" überschrieben, beschreibt autobiografisch gefärbt den Alltag in jenem kleinen Elendsviertel von Maassluis, in dem Maarten`t Hart in den 50er-Jahren aufgewachsen ist. Das ewige Sanierungsgebiet bestand aus schmalen Gassen, alten baufälligen Häuschen mit winzigen Räumen, Kohleöfen, ohne Badezimmer.
Er erzählt von der großen Sturmflut, die die halbe Stadt unter Wasser setzt, während das Armenviertel verschont bleibt. Dass dabei eine wertvolle Bibelsammlung untergeht, nutzt der Autor zu einem seiner typischen ironischen Seitenhiebe auf die Bibelgläubigkeit. Der Autor kennt sie und ihre Widersprüche in- und auswendig.
Ausführlich beschreibt er die Lebensverhältnisse der Bewohner, die jeden Cent in der Tasche umdrehen mussten, lässt uns aus der Perspektive des Heranwachsenden in die Wohnstuben und Suppentöpfe schauen, den Gesprächen der Erwachsenen lauschen. Entlarvt wird ein betrügerischer Bestatter, bewundert ein cleverer Trödler, der den Leuten vermeintlich alten Plunder, in Wirklichkeit wertvolle Antiquitäten abluchst, gefeiert die prächtige Natur am Deich und im Kanal.
Es ist die Erzählkunst des Autors, sein Humor und Sinn für Skurrilitäten, die eine untergegangene Welt wieder zum Leben erwecken. Man folgt gerne seinem gradlinigen, schnörkellosen Stil, den witzigen Dialogen, den Einsichten in die menschliche Natur.
Erst die zweite Erzählung "Der Kreisel" ist eine rein fiktive Geschichte. Auch sie spielt im Armenviertel. Ein junges Mädchen, hochintelligent, wird gezwungen, statt die Oberschule zu besuchen, eine Lehre zu absolvieren. Sie überflügelt alle, lässt sich dann allerdings auf eine Heirat mit einem Mann ein, der ihr nicht das Wasser reichen kann.
Unzufrieden mit der Situation bricht sie aus dem Ehegefängnis aus, verliebt sich in einen Lehrer, zieht mit ihm zusammen und will ihn auch heiraten. Doch ihr Mann lässt sich nicht scheiden, selbst als sie ein Kind von dem neuen Mann bekommt. Trotz der Ächtung ihrer Glaubensgemeinschaft schafft sie es durch einen Trick, ihr Kind taufen zu lassen.
Als sie sich mit der emanzipierten Ehefrau des neuen Pastors anfreundet, eröffnet sich ihr eine neue Welt: die des Bildungsbürgertums. Doch schon bald begreift sie, dass sie immer ein Kind aus dem Armenviertel unter dem Deich bleiben wird. So heißt es am Ende der Geschichte denn auch: "Man ist für immer verdammt, zwischen allen Stühlen zu sitzen."
Maarten `t Harts Roman ist ein kleines Werk voll menschlicher Größe.
Besprochen von Johannes Kaiser
Maarten`T Hart: Unter dem Deich
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferens
Piper Verlag, München 2013
270 Seiten, 19,99 Euro