Erinnerungen an die erste Friedensweihnacht 1945

Von Winfried Sträter · 24.12.2005
Wenn wir heute Weihnachten feiern, ist dies ein Fest im Überfluss. Selbst wer arm ist, hat mehr als die Menschen vor 60 Jahren. 1945, beim ersten Weihnachtsfest nach dem Krieg, lagen die Städte in Trümmern, und es fehlte am Notwendigsten: Nahrung und Heizung. Trauer um die Toten mischte sich mit der Erleichterung, dass endlich keine Bomben mehr fielen und der Ungewissheit über die Zukunft.
Weihnachten 1945.

"In Königsberg 1945/46 herrschte der Tod, halbverhungerte Kinder betteln um ein Stück Brot. Der Schrei vergewaltigter Frauen und Mädchen hallte durch die Nacht, mein Gott, wer hat da an Weihnachten gedacht. "

Weihnachten ohne Schnee. Weihnachten 1945 war das Wetter nasskalt, doch, wie die Meteorologen sagen: "für die Jahreszeit zu mild". Es war stark bewölkt, diesig und in weiten Teilen des Landes fast windstill. Die Windstille war jedoch die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Vom Atlantik her nahte ein Unwetter mit orkanartigen Böen, die vor allem in Westdeutschland verheerende Folgen haben sollten: Viele Menschen, die jetzt die erste friedliche Weihnacht erlebten, sollten in diesem Unwetter zwischen den Feiertagen den Tod finden.

Helga Hesse aus Berlin, eine junge Frau, die im Herbst 1945 von Thüringen nach Berlin zurückgekehrt war:

"Das war sicherlich ein stilles Fest. Aber kein sentimentales Fest, nein. Die Mahlzeiten waren ja viel schlechter als noch Weihnachten '44, als wir noch auf dem Dorf waren. Ja, wir haben ja nur von den Karten gelebt, und die waren ja, weiß Gott, nicht sehr üppig. "

Eine andere Berlinerin, die 1945 16 Jahre alt war:

"Ich war mit meiner Mutter zusammen. Unser einziger Raum - ein großes Zimmer - hatte eine Temperatur zwischen plus ein bis drei Grad Celsius. Die Fenster waren mit Pappe vernagelt. Wir hielten uns meistens im Bett auf. Das war aber auch nicht warm. Daher lagen wir meistens angezogen im Bett. Wir waren nicht in der Kirche, denn dort war es auch kalt, und warme Sachen hatten wir nicht. "

Das Weihnachtsfest 1945 konnte ein deutscher Emigrant wieder daheim feiern. Aufzeichnungen von Rut Brandt, der damaligen Ehefrau des späteren Bundeskanzlers Willy Brandt:

"Willy machte viele verschiedene Vorschläge, wie wir Weihnachten zusammen sein könnten. Ursprünglich hatte er gemeint, wir sollten uns in Olso treffen. Nach und nach kam er zu der Auffassung, dass er Heiligabend bei seiner Mutter in Lübeck verbringen sollte - zum ersten Mal seit 1932 - und dass es am besten wäre, wenn ich ebenfalls nach Lübeck käme. "Es wird ein kümmerliches Weihnachten in Lübeck werden", schrieb er, "aber was spielt das für eine Rolle, wenn wir nur zusammen sein können?" "

Rut Brandt hatte jedoch keinen Urlaub für die Zeit, und das hieß:

"Jeder von uns würde Weihnachten bei seiner Mutter verbringen - Willy in Lübeck und ich in Hamar -, um uns gleich danach in Kopenhagen zu treffen und nach Stockholm weiterzufahren: eine Woche ganz für uns. "

Brigitta Masopust, bei Kriegsende 16 Jahre alt, erlebte Weihnachten 1945 mit ihrer Mutter und ihren drei Geschwistern auf Rügen.

"Und zwar als abgebrannter, verlauster, verdreckter Flüchtling. Und da sind meine Mutter, mein Bruder und ich zu Fuß von Ralswiek zur katholischen Kirche nach Bergen gewandert und haben dort um Hilfe gebeten und wurden dort, haben dort ein Weihnachten erlebt, wie es unbeschreiblicher für uns, die wir seit August 44 heimatlos waren, nicht wieder erlebt haben. Es war unsagbar schön. Und wir waren wahnsinnig dankbar. "