Erinnerung an geliebte Landschaften

Dem Weltenbummler Cees Nooteboom liefert das Inselreich Tonga die Idee zu einer Erzählung, die in seinem jüngsten Buch "Roter Regen" unter dem Titel "Paradies am Rand der Zeit" zu finden ist. In den Begriffen "Paradies" und "Zeit" schlummert eine metaphorische Kraft, die sich Nooteboom zunutze macht, um ein literarisches Universum zu entfalten, das in allen Geschichten des Bandes aufscheint.
Das Inselreich Tonga, so lautet eine Legende, sei von dem Halbgott Maui aus dem Meer gefischt worden. Seitdem brilliert zwischen Wasser und Himmel eine Inselwelt von einzigartiger Schönheit.

Dem Weltenbummler Cees Nooteboom liefert das Königreich die Idee zu einer Erzählung, die in seiner jüngsten Publikation "Roter Regen" unter dem Titel "Paradies am Rand der Zeit" zu finden ist. In den Begriffen "Paradies" und "Zeit" schlummert eine metaphorische Kraft, die sich Nooteboom zunutze macht, um ein literarisches Universum zu entfalten, das in allen Geschichten des Bandes aufscheint.

Dieses Universum besitzt eine eigenwillige Topographie. Neben Amsterdam liegt Los Angeles und die Provence befindet sich unweit von Kioto. Indem Nooteboom über Räume und Orte nachdenkt, die er auf Reisen kennen gelernt hat, entsteht ein Netz, das aus realen Erlebnissen besteht, aber mit der geheimnisvollen Magie der Fiktionalität geknüpft ist.

Tonga wird dabei zum zentralen Prinzip des Erinnerns. Denn fliegt man von der Insel Fidschi nachmittags um vier nach Tonga, landet man zwei Stunden später unverhofft im Gestern.

"Tonga liegt nämlich exakt auf dieser völlig imaginären Trennungslinie, mit der die Menschheit versucht hat, die unsichtbare Zeit zu zähmen."

Das Gedächtnis des Ich-Erzählers scheint ähnliche Wege zu gehen, wobei an den Kreuzungen stets die Biographie des Autors aufscheint.

Cees Nooteboom ist ein bekannter und bekennender Reisender. Bei seiner literarischen Arbeit hat er sich stets von der Architektur fremder Städte, von Sprachen und deren Kultur sowie durch Landschaften inspirieren lassen. Wie nebenbei fallen ihm die Ereignisse zu und werden gespeichert.

Die Sehnsucht des Fernsüchtigen nach Wiederholung kann im Prozess des Schreibens genussvoll gestillt werden. Fakten und Daten unterliegen dabei der Veränderung, sie schrumpfen oder erreichen gigantische Dimensionen. Diese Schieflage macht den Reiz der Geschichten aus.

Nootebooms Buch weist eine kompositorische Struktur auf, die den Leser je nach Belieben den Zugriff auf die einzelnen Texte ermöglicht. "Eine Erinnerung als Vorspiel", die als Ouvertüre gelesen werden kann, leitet zum Thema hin, das in vier Abschnitten und zwei Intermezzi entwickelt wird.

In der Titelgeschichte "Roter Regen" wird das Dilemma des Erinnerns deutlich. Auf einer Baleareninsel erwartet der Erzähler zusammen mit Ortansässigen den erlösenden Sommerregen. Die Wartezeit füllt sich derweil mit Erinnerungen an, die vom Ort wegführen. Sie gehen weit in die Vergangenheit zurück, wobei die Zeiten durcheinander geraten. Der Homer lesende Gymnasiast erlebt plötzlich den Sturm bei Kap Hoorn, Freunde, die längst tot sind, werden zum Dialogpartner. Am Ende ist der Regen ausgeblieben.

Die Erinnerung an geliebte Landschaften bedeutet auch, sich an einen anderen Ort und nach einer anderen Zeit zu sehnen. In "Der Gärtner ohne Garten" wird ein Wintertag in Amsterdam von der Erinnerung an die Blütenpracht des mediterranen Gartens auf Menorca vergessen gemacht. Indem sich das Ich seiner Doppelexistenz besinnt, verlässt es den realen Ort und wird sich selbst fremd.

Cees Nooteboom verweist in diesen Geschichten auch auf die Entstehung seines literarischen Werks und wird dadurch zum Fremdenführer in eigener Sache.


Rezensiert von Carola Wiemers


Cees Nooteboom: Roter Regen. Leichte Geschichten
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Mit Zeichnungen von Jan Vanriet.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 244 Seiten, 19,80 Euro