Erinnerung an eine nicht mehr existenten Welt
Zygmunt Haupt (geboren 1907 in Galizien, gestorben 1975 in den USA) ist eine späte Entdeckung für des deutsche Lesepublikum gewesen – und nicht nur für das deutsche. Auch auf Polnisch erschien nur ein einziges Buch zu seinen Lebzeiten ("Ein Ring aus Papier", deutsch 2003) Der vorliegende Band nun enthält Texte, die der mittlerweile als Journalist der Voice of America in den USA lebende Haupt eher sporadisch in der renommierten Pariser Exilzeitung Kultura publizierte.
Es war der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk, diesen Autor wieder entdeckte und herausgab. Und da Stasiuk in Deutschland bei Suhrkamp erscheint, eröffnete sich für diese feine, zauberhafte und raffinierte auch Prosa der Weg zu uns.
Zygmunt Haupt gehört, ohne jeden Zweifel, zu den wenigen, die das Instrumentarium der literarischen Moderne mit trügerischer Leichtigkeit, Experimentierfreude und bürgerlicher Eleganz zu handhaben wussten. Kühn sind seine Gedankenschleifen, traditionell aber Sprachrhythmus und Wortwahl. Deshalb sind seine Texte weniger verstörend als eher eindrucksvoll - und sehr lesbar. Sie fordern große Aufmerksamkeit.
Wer sie ihnen widmet, betritt mit ihnen eine Welt, die nicht mehr existiert. Eine Welt, deren Bevölkerung zum großen Teil ermordet oder vertrieben wurde und deren Kultur, mit ihren spezifischen Denkweisen, ihren Ritualen, ihren Feinheiten und ihrer multiethnischen Vielfalt nur in Erinnerungen und Literatur überlebt hat. Auch Paul Celan, Elias Canetti, Joseph Roth, Bruno Schulz, ungefähr Zeitgenossen Haupts, stammen aus dieser Welt.
So ist Erinnerung ist der Kern dieser Texte, egal ob es ums Erzählen oder essayistische Reflektieren geht. Aber ihr Fleisch, ihre Frucht sind Abschweifungen - Abschweifungen in alle Richtungen, in alle Zeiten, alle Genres. Es sind Texte, die, getreu den Absichten der Moderne, in vielerlei Hinsicht dem Denken, dem Erinnern nachgebildet sind, die die Haken und Ösen des Bewusstseins sichtbar, respektive lesbar machen. Eins verbindet sich mit dem anderen nur über die höchst individuellen gedanklichen Verknüpfungen des Autors.
Der Blick auf eine Landschaft wird zum Bild, das Bild löst sich auf in Erinnerungen an Krieg und Gewalt, die reflektorisch eingreifende Gegenwart erzeugt einen Kommentar, oder eine Formulierung von allgemeiner Gültigkeit, wodurch wieder ein neues Bild ausgelöst wird, das sich wie von selbst in die Erinnerung blendet – und dann sind wir wieder da, in der weiten und stillen Landschaft Galiziens. Oder am bürgerlichen Kaffeetisch einer sommermüden nachmittäglichen Kleinstadt.
Ein Kleinstadtpoträt beispielsweise formt sich bei Haupt zum Beispiel unter anderem über die Nachnamen die Bewohner welcher Stadtteile haben, und was dort auf der Straße so herumsteht. Überhaupt liebt er Aufzählungen, manchmal ganz abstruse – um dann den Blick des Lesers auf ein Glas mit gärenden Kirschen zu richten.
Diese Rhythmuswechsel und pointierten Erzählbewegungen hat Esther Kinsky großartig ins Deutsche übertragen: Dieses Buch ist ein hoher und sehr besonderer Lesegenuss.
Rezensiert von Katharina Döbler
Zygmunt Haupt: Vorhut. Erzählungen, Skizzen, Fragmente
Aus dem Polnischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 233 Seiten, 15,80 Euro
Zygmunt Haupt gehört, ohne jeden Zweifel, zu den wenigen, die das Instrumentarium der literarischen Moderne mit trügerischer Leichtigkeit, Experimentierfreude und bürgerlicher Eleganz zu handhaben wussten. Kühn sind seine Gedankenschleifen, traditionell aber Sprachrhythmus und Wortwahl. Deshalb sind seine Texte weniger verstörend als eher eindrucksvoll - und sehr lesbar. Sie fordern große Aufmerksamkeit.
Wer sie ihnen widmet, betritt mit ihnen eine Welt, die nicht mehr existiert. Eine Welt, deren Bevölkerung zum großen Teil ermordet oder vertrieben wurde und deren Kultur, mit ihren spezifischen Denkweisen, ihren Ritualen, ihren Feinheiten und ihrer multiethnischen Vielfalt nur in Erinnerungen und Literatur überlebt hat. Auch Paul Celan, Elias Canetti, Joseph Roth, Bruno Schulz, ungefähr Zeitgenossen Haupts, stammen aus dieser Welt.
So ist Erinnerung ist der Kern dieser Texte, egal ob es ums Erzählen oder essayistische Reflektieren geht. Aber ihr Fleisch, ihre Frucht sind Abschweifungen - Abschweifungen in alle Richtungen, in alle Zeiten, alle Genres. Es sind Texte, die, getreu den Absichten der Moderne, in vielerlei Hinsicht dem Denken, dem Erinnern nachgebildet sind, die die Haken und Ösen des Bewusstseins sichtbar, respektive lesbar machen. Eins verbindet sich mit dem anderen nur über die höchst individuellen gedanklichen Verknüpfungen des Autors.
Der Blick auf eine Landschaft wird zum Bild, das Bild löst sich auf in Erinnerungen an Krieg und Gewalt, die reflektorisch eingreifende Gegenwart erzeugt einen Kommentar, oder eine Formulierung von allgemeiner Gültigkeit, wodurch wieder ein neues Bild ausgelöst wird, das sich wie von selbst in die Erinnerung blendet – und dann sind wir wieder da, in der weiten und stillen Landschaft Galiziens. Oder am bürgerlichen Kaffeetisch einer sommermüden nachmittäglichen Kleinstadt.
Ein Kleinstadtpoträt beispielsweise formt sich bei Haupt zum Beispiel unter anderem über die Nachnamen die Bewohner welcher Stadtteile haben, und was dort auf der Straße so herumsteht. Überhaupt liebt er Aufzählungen, manchmal ganz abstruse – um dann den Blick des Lesers auf ein Glas mit gärenden Kirschen zu richten.
Diese Rhythmuswechsel und pointierten Erzählbewegungen hat Esther Kinsky großartig ins Deutsche übertragen: Dieses Buch ist ein hoher und sehr besonderer Lesegenuss.
Rezensiert von Katharina Döbler
Zygmunt Haupt: Vorhut. Erzählungen, Skizzen, Fragmente
Aus dem Polnischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Esther Kinsky. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, 233 Seiten, 15,80 Euro