Erinnerung an ein dunkles Kapitel
"Basically I don’t but actually I do" - so heißt die erste gemeinsame Produktion der beiden Choreographen Jochen Rolle aus Deutschland und Saar Magal aus Israel. Das Stück auf dem Hamburger Kampnagel dreht sich um das deutsch-jüdische Verhältnis und erinnert an den Holocaust.
In braun und gelb stehen sie auf der Bühne, zwei schmale Gestalten, ohne sichtbare Emotion. Mit sparsamen Gesten gleiten sie von einem Tableau vivant ins nächste – was sie vorführen, haben wir alle schon hundertfach gesehen: ein Pistolenschuss in den Kopf eines Knienden, ein unsicherer Gang mit erhobenen Armen, das Aufschlitzen der Kehle. Bilder allgemeingültiger Grausamkeit – vollzogen ohne innere Bewegung, aber in ihrer bloßen Reduktion auf den äußeren Vorgang umso assoziationsreicher.
An anderen Stellen wird der spezifische Kontext deutlicher: etwa, wenn die beiden im Liegen den Arm zum Hitlergruß erheben und ihn so lange hin und her wippen, bis die immer schneller werdende Bewegung den Körper zu atemloser Erschöpfung treibt. Um eine klare Form für ihre Tanzproduktion "Basically I don’t but actually I do" zu finden, sind die israelische Choreographin Saar Magal und ihr deutscher Kollege Jochen Roller tief in die Geschichte des Holocaust eingestiegen.
Jochen Roller: "Und obwohl es so ein heikles Thema ist, ist eine ganz pragmatische Ästhetik bei raus gekommen ist, nämlich den Körper als Gegenstand zu benutzen – in dem Moment, wo der Körper nur Fracht ist, die bearbeitet werden muss, nummeriert und bearbeitet, ist das etwas, dass du wieder in das choreographische Denken zurück übertragen kannst, wo man sagt, aha, da ist etwas, was ästhetisch sehr interessant ist, den Körper zu entmenschlichen, den Körper zur Maschine zu machen, was ganz viele Bewegungsqualitäten dann hat.
Das ist dann so ein extrem gutes Werkzeug gewesen, um genau diesen Verarbeitungsprozess zu knacken, dass man sagt, o. k., man arbeitet jetzt mit der Objektivierung des Körpers und auf diese Weise kannst du Sachen verarbeiten, die du logisch und inhaltlich nicht verarbeiten kannst."
Das dritte Reich, der Holocaust, das heißt in diesem Fall die gemeinsame Vergangenheit ihrer Großeltern schwingt als Thema mit, seit sich die beiden Choreographen vor vielen Jahren kennen gelernt haben. Ihr freundschaftlich-kollegiales Verhältnis haben Saar Magal und Jochen Roller unabhängig davon entwickelt – und sind doch immer wieder ganz spontan damit konfrontiert worden.
Nicht nur beim gemeinsamen Training, in dem während einer Übung der rechte Arm in die rechte obere Ecke erhoben werden sollte und nur die deutsch-israelischen Freunde sofort den Hitlergruß assoziierten, sondern auch bei den ersten Berlin-Besuchen der jungen Israelin, bei denen für Saar Magal in manchen Momenten selbst unbeabsichtigt zusammenknallende Hacken und brüllende Busfahrer zu Phantomen der Vergangenheit wurden.
Saar Magal: "Für mich ist der Holocaust ein sehr schwieriges Thema, mit dem ich aufgewachsen bin. Meine Großeltern, in deren Nähe ich in Israel groß geworden bin, hatten Auschwitz überlebt - der Holocaust ist Teil meines Lebens, seit ich denken kann. In meiner Familie gab es natürlich immer viele Ressentiments und auch Hass den Deutschen gegenüber und was sie den Juden angetan hatten - nicht nur in physischer Hinsicht, sondern auch die Vertreibung aus Deutschland, sie mussten Europa verlassen, ihren ganzen Besitz zurücklassen. Ihre Vergangenheit war für meine Großeltern wie ein schwarzes Loch und sie sind mit der zionistischen Idee nach Israel gekommen, ein neues Land aufzubauen und einen neuen Juden zu schaffen, der nicht religiös ist, der mehr Israeli als Jude ist. Ich könnte endlos fortfahren, wie tief dieses Thema in mir verwurzelt ist."
Recherche und Proben in Tel Aviv und Hamburg waren nicht immer einfach, begleitet von vielen Fragen, Auseinandersetzungen und auch Momenten der Trauer. Niemals Zynismus, wohl aber schwarzer Humor half den beiden Choreographen bei der notwendigen Distanzierung, die den Weg bereitete zu einem drastischen Umgang mit der Täter-Opfer-Psychologie, die Saar Magal und Jochen Roller versucht haben, nachzuvollziehen.
Jochen Roller: "Also es gibt schon immer dieses Argument, das sollte man nicht machen, das ist krankes Gedankengut – das ist auch alles völlig klar, aber wenn du probierst, das auf irgendeine Weise nachzuvollziehen und dir anguckst, wie die Sprache den Körper behandelt, wie die Körper behandelt wurden, wie Leute ihrer Individualität beraubt wurden, wie ihr Wille gebrochen wurde – dass das, in dem Moment, wo du das nachvollziehst, wird das begreifbar und es passiert was ... dass du einen Prozess vorführst, der auch ein allgemeiner Vorgang ist, also bei jedem anderen Genozid werden ja auch die gleichen Methoden benutzt wie von den Nazis.
Die Idee des Nachvollziehens ist ja, zu gucken, wie man jemanden so denunzieren kann, dass, wenn er als dein Nachbar abgeholt wird aus diesem Haus, dass du denkst, das sei richtig. Und das versuche ich mir beispielhaft vorzustellen, wenn hier die Gestapo rein laufen würde und Saar abholen, ich denken würde: ja logisch, ist zwar schade, weil ich mag sie eigentlich ganz gerne, aber sie ist ja kein Mensch, sie ist eine Ware und die muss mal verarbeitet werden – was in diesem Kontext komplett absurd klingt, aber ich meine, das haben 80 Millionen Menschen während des Krieges gemacht."
Sich gemeinsam auf so schonungslose Weise mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, ist auch für die dritte Generation von Deutschen und Israelis noch ungewöhnlich. Zwei ihrer Vertreter ergreifen nun das Wort – und in diesem Fall auch den Körper – , überlassen die Verarbeitung der Geschichte nicht den anderen, sondern suchen mit emotionaler, geistiger und physischer Intelligenz ihren eigenen Weg in und ihre eigene Sicht auf die Vergangenheit.
Und gerade weil sie dafür eine sehr zeitgenössische Ästhetik sowie eine künstlerische Verarbeitung wählen, die so wenig auf theatralische Effekte und billige Schauermomente setzt, kann sich eine eigene Emotionalität entfalten, in der sich Erfahrungen und Gefühle der Protagonisten auf subtile Weise spiegeln.
Saar Magal: "Natürlich spielen persönliche Erfahrungen in diesem Stück eine Rolle. Einerseits muss ich mich immer wieder innerlich von dem Thema distanzieren, von all den Bildern und Geschichten, die ich von meinen Großeltern kenne. Andererseits habe ich während der Proben oft gedacht, dass sie mir gerade sehr nah sind.
Ich will jetzt nicht zu pathetisch klingen, aber diese Produktion ist einfach etwas, was ich ihnen zurückgeben möchte von dem, was sie mir gegeben haben. Dieses Stück zu machen – und es hier in Deutschland zu machen - ist für mich auch emotional sehr wichtig."
An anderen Stellen wird der spezifische Kontext deutlicher: etwa, wenn die beiden im Liegen den Arm zum Hitlergruß erheben und ihn so lange hin und her wippen, bis die immer schneller werdende Bewegung den Körper zu atemloser Erschöpfung treibt. Um eine klare Form für ihre Tanzproduktion "Basically I don’t but actually I do" zu finden, sind die israelische Choreographin Saar Magal und ihr deutscher Kollege Jochen Roller tief in die Geschichte des Holocaust eingestiegen.
Jochen Roller: "Und obwohl es so ein heikles Thema ist, ist eine ganz pragmatische Ästhetik bei raus gekommen ist, nämlich den Körper als Gegenstand zu benutzen – in dem Moment, wo der Körper nur Fracht ist, die bearbeitet werden muss, nummeriert und bearbeitet, ist das etwas, dass du wieder in das choreographische Denken zurück übertragen kannst, wo man sagt, aha, da ist etwas, was ästhetisch sehr interessant ist, den Körper zu entmenschlichen, den Körper zur Maschine zu machen, was ganz viele Bewegungsqualitäten dann hat.
Das ist dann so ein extrem gutes Werkzeug gewesen, um genau diesen Verarbeitungsprozess zu knacken, dass man sagt, o. k., man arbeitet jetzt mit der Objektivierung des Körpers und auf diese Weise kannst du Sachen verarbeiten, die du logisch und inhaltlich nicht verarbeiten kannst."
Das dritte Reich, der Holocaust, das heißt in diesem Fall die gemeinsame Vergangenheit ihrer Großeltern schwingt als Thema mit, seit sich die beiden Choreographen vor vielen Jahren kennen gelernt haben. Ihr freundschaftlich-kollegiales Verhältnis haben Saar Magal und Jochen Roller unabhängig davon entwickelt – und sind doch immer wieder ganz spontan damit konfrontiert worden.
Nicht nur beim gemeinsamen Training, in dem während einer Übung der rechte Arm in die rechte obere Ecke erhoben werden sollte und nur die deutsch-israelischen Freunde sofort den Hitlergruß assoziierten, sondern auch bei den ersten Berlin-Besuchen der jungen Israelin, bei denen für Saar Magal in manchen Momenten selbst unbeabsichtigt zusammenknallende Hacken und brüllende Busfahrer zu Phantomen der Vergangenheit wurden.
Saar Magal: "Für mich ist der Holocaust ein sehr schwieriges Thema, mit dem ich aufgewachsen bin. Meine Großeltern, in deren Nähe ich in Israel groß geworden bin, hatten Auschwitz überlebt - der Holocaust ist Teil meines Lebens, seit ich denken kann. In meiner Familie gab es natürlich immer viele Ressentiments und auch Hass den Deutschen gegenüber und was sie den Juden angetan hatten - nicht nur in physischer Hinsicht, sondern auch die Vertreibung aus Deutschland, sie mussten Europa verlassen, ihren ganzen Besitz zurücklassen. Ihre Vergangenheit war für meine Großeltern wie ein schwarzes Loch und sie sind mit der zionistischen Idee nach Israel gekommen, ein neues Land aufzubauen und einen neuen Juden zu schaffen, der nicht religiös ist, der mehr Israeli als Jude ist. Ich könnte endlos fortfahren, wie tief dieses Thema in mir verwurzelt ist."
Recherche und Proben in Tel Aviv und Hamburg waren nicht immer einfach, begleitet von vielen Fragen, Auseinandersetzungen und auch Momenten der Trauer. Niemals Zynismus, wohl aber schwarzer Humor half den beiden Choreographen bei der notwendigen Distanzierung, die den Weg bereitete zu einem drastischen Umgang mit der Täter-Opfer-Psychologie, die Saar Magal und Jochen Roller versucht haben, nachzuvollziehen.
Jochen Roller: "Also es gibt schon immer dieses Argument, das sollte man nicht machen, das ist krankes Gedankengut – das ist auch alles völlig klar, aber wenn du probierst, das auf irgendeine Weise nachzuvollziehen und dir anguckst, wie die Sprache den Körper behandelt, wie die Körper behandelt wurden, wie Leute ihrer Individualität beraubt wurden, wie ihr Wille gebrochen wurde – dass das, in dem Moment, wo du das nachvollziehst, wird das begreifbar und es passiert was ... dass du einen Prozess vorführst, der auch ein allgemeiner Vorgang ist, also bei jedem anderen Genozid werden ja auch die gleichen Methoden benutzt wie von den Nazis.
Die Idee des Nachvollziehens ist ja, zu gucken, wie man jemanden so denunzieren kann, dass, wenn er als dein Nachbar abgeholt wird aus diesem Haus, dass du denkst, das sei richtig. Und das versuche ich mir beispielhaft vorzustellen, wenn hier die Gestapo rein laufen würde und Saar abholen, ich denken würde: ja logisch, ist zwar schade, weil ich mag sie eigentlich ganz gerne, aber sie ist ja kein Mensch, sie ist eine Ware und die muss mal verarbeitet werden – was in diesem Kontext komplett absurd klingt, aber ich meine, das haben 80 Millionen Menschen während des Krieges gemacht."
Sich gemeinsam auf so schonungslose Weise mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, ist auch für die dritte Generation von Deutschen und Israelis noch ungewöhnlich. Zwei ihrer Vertreter ergreifen nun das Wort – und in diesem Fall auch den Körper – , überlassen die Verarbeitung der Geschichte nicht den anderen, sondern suchen mit emotionaler, geistiger und physischer Intelligenz ihren eigenen Weg in und ihre eigene Sicht auf die Vergangenheit.
Und gerade weil sie dafür eine sehr zeitgenössische Ästhetik sowie eine künstlerische Verarbeitung wählen, die so wenig auf theatralische Effekte und billige Schauermomente setzt, kann sich eine eigene Emotionalität entfalten, in der sich Erfahrungen und Gefühle der Protagonisten auf subtile Weise spiegeln.
Saar Magal: "Natürlich spielen persönliche Erfahrungen in diesem Stück eine Rolle. Einerseits muss ich mich immer wieder innerlich von dem Thema distanzieren, von all den Bildern und Geschichten, die ich von meinen Großeltern kenne. Andererseits habe ich während der Proben oft gedacht, dass sie mir gerade sehr nah sind.
Ich will jetzt nicht zu pathetisch klingen, aber diese Produktion ist einfach etwas, was ich ihnen zurückgeben möchte von dem, was sie mir gegeben haben. Dieses Stück zu machen – und es hier in Deutschland zu machen - ist für mich auch emotional sehr wichtig."