Erinnerung an ärmere Zeiten
Irland galt in den letzten 10 bis 15 Jahren als Wirtschaftswunderland, das vor allem Arbeitskräfte aus Osteuropa anzog. Im Zuge der globalen Wirtschaftskrise droht dem Staat nun ein Haushaltsdefizit von 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Problematisch sei dabei, dass die Regierung in den guten Zeiten nur wenig in öffentliche Infrastruktur und Bildung gesteckt habe, sagt der in Irland lebende Journalist Martin Alioth.
Katrin Heise: Die Wirtschaftskrise hat Irland voll erwischt, das irische Wirtschaftswunder ist perdu. Die meisten Investitionen kamen aus dem Ausland, jetzt hat der steuergünstige Produktionsstandort seine Zugkraft natürlich verloren, es investiert ja niemand mehr. Pleiten, Zusammenbrüche, steigende Arbeitslosigkeit sind das Ergebnis. Vom keltischen Tiger ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Alle stellen jetzt die Frage, wer soll das eigentlich bezahlen? Denn wenn der irische Finanzminister nichts unternimmt, dann wird das irische Haushaltsdefizit 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Maastricht, nur als Beispiel, erlaubt 3 Prozent. Zuvor hatten die Iren immer einen Überschuss. Wie reagieren sie nun eigentlich darauf? Das will ich von dem Journalisten Martin Alioth wissen, er lebt seit 25 Jahren in Irland. Schönen guten Morgen, Herr Alioth!
Martin Alioth: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Was beobachten Sie eigentlich in Ihrer Nachbarschaft momentan?
Alioth: Was auffällig ist, ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Generationen reagieren auf letztlich den Einbruch. Die etwas ältere Generation, und damit würde ich sagen, jene, die über 35 sind, nehmen das eigentlich sehr stoisch zur Kenntnis. Es bestätigt ihre nie ganz verdrängte Befürchtung, dass der keltische Tiger, also die Wirtschaftsblüte der letzten, ich sag mal zehn, zwölf Jahre eigentlich eine Abirrung war, ein Ausreißer, der gar nicht so zu Irland passt und den man nie wiederholen wird und es unvermeidlich wieder zurückgeht in die Armut und die Auswanderung und dergleichen.
Die jüngere Generation, also eben die unter 35-, unter 30-Jährigen, die sind eine Art wie vom Donner gerührt. Sie sind aufgewachsen mit dem Überfluss, sie sind aufgewachsen damit, dass man, wenn man die Ausbildung fertig hat, kriegt man am nächsten Tag eine Stelle, meistens wurde man schon vor dem Abschluss angeworben. Und das ist alles nicht mehr so.
Ich glaube, der große Unterschied zu den 80er Jahren, wo es Irland wirklich schlecht ging - und das ist immer so quasi die Folie im Hintergrund, die dunkle: müssen wir jetzt wieder zurück in die 80er Jahre? - der Unterschied diesmal ist, dass sehr viele, gerade junge Leute ein Häuslein gekauft haben zu einem Zeitpunkt, wo die Preise absolut absurd hoch waren, und die haben diese Hypotheken am Hals, womöglich haben sie sich auch noch ein neues Auto zum Abstottern angeschafft. Und das heißt, die gehen nicht mehr so unbeschwert in eine einkommenslose Zeit oder eine Zeit mit sehr viel geringeren Einkommen.
Heise: Das heißt, die haben so viele Schulden auf den Schultern, dass das, was ihre Eltern ihnen vielleicht vorgelebt haben und hätten, den Gürtel einfach mal enger schnallen, das nützt ja gar nichts mehr, so viel ist das.
Alioth: Genau. Und dazu - ich sage es jetzt mal etwas abschätzig - leben sie in der Pampa und arbeiteten aber bis jetzt in Dublin. Sie müssen sich vorstellen, Frau Heise, dass der Pendlergürtel um Dublin hat zeitweise einen Radius von bis zu 100 Kilometern erreicht. Dublin liegt ja dummerweise exzentrisch, also an einem Rand von Irland.
Und die Häuschen in Dublin waren sowieso bald mal unerschwinglich, also haben sich die Kaufwilligen immer weiter ins Land rausdrängen lassen und pendeln eben morgens und abends über weite Strecken. Was auch heißt, sie brauchen zwei Autos, was wiederum die Schuldenlast erhöht, und, und, und, und ...
Und jetzt, wenn sie die Stelle verlieren, sitzen sie irgendwo in Carlow oder Mullingar, so weit von Dublin weg. Was sollen die da machen?
Heise: Am vergangenen Wochenende, da haben 120.000 Iren was gemacht, die sind nämlich auf die Straße gegangen. Bei einer Bevölkerung von vier Millionen ist das eine ziemlich große Zahl. Was überwiegt da eigentlich, Angst oder Wut?
Alioth: Wut. Ganz klar. Im Moment würde ich zwei Gründe nennen für diese Wut: Der eine Grund ist, dass die Regierung, die einen etwas tollpatschigen und unempfindlichen und ratlosen Eindruck macht, was sich auch in ihren Meinungsumfragewerten deutlich spiegelt, dass die als ersten Schritt jetzt mal als Sofortmaßnahme dem öffentlichen Dienst eine Lohnkürzung verordnet haben. Sie nennen das zwar Rentenbeitrag, aber de facto ist es eine Lohnkürzung. Und diese Lohnkürzung betrifft alle Einkommmensbezüge im öffentlichen Dienst, bis runter auf den Minimallohn.
Und im privaten Sektor, natürlich, da werden Leute entlassen, das ist natürlich wesentlich schlimmer als eine Einkommenseinbuße, aber wenn sie nicht entlassen werden, sind sie vorläufig noch nicht gebeten worden, zum Fiskus etwas mehr beizutragen. Diese Ungerechtigkeit und dieses Gesetz soll übrigens heute Abend im Parlament verabschiedet werden.
Wichtiger für die Wut allerdings scheint mir das Gebaren, das frühere, bisherige Gebaren der irischen Banken. Und da kriegen wir fast täglich neue Informationen darüber, dass namentlich eine Bank, Anglo Irish Bank, die vor ein paar Wochen verstaatlicht werden musste, das war reiner Casino-Kapitalismus, das war ein Monopolyspiel mit Regeln, die einem ganz kleinen Kreis von Immobilienspekulanten dienten und niemandem anderen. Das war Bilanzmanipulation, das war - Sie können fast jedes Wort aus dem börsenkriminellen Jargon sich ausdenken, und wir werden ein Beispiel in der Anglo Irish Bank finden, das das belegt.
Gestern - und das ist heute Anlass für etwas gute Laune hier in Irland - gestern führte die Polizei eine Razzia auf das Hauptquartier von Anglo Irish Bank am Stevens Green, das ist der schönste, größte Platz in Dublin, durch. Und da tut sich erstens eine klammheimliche Schadenfreude macht sich breit, und zum anderen hat man schon ganz kleine Hoffnungen, ob Irland mit diesem Schritt ...
Heise: Sich vielleicht ja auch befreien kann von dem, was man da abwerfen müsste. Vom Tiger zum Schlusslicht, Irland in der Rezession - wie gehen die Iren damit um? Das ist unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit Martin Alioth. Herr Alioth, mich würde noch mal interessieren, jetzt war Irland eine ganze Weile doch führend, alle haben hingeguckt, was da an Wirtschaft sich so zusammenbraut, was da an Reichtum auch kommt. Was hat Irland mit diesem Reichtum eigentlich gemacht fürs Gemeinwohl? Auf was kann man jetzt bauen?
Alioth: Das ist eine empfindliche Frage, Frau Heise. Irland hat viel von diesem Wohlstand dazu benutzt, einen schlanken Staat zu kreieren, der seine Finger möglichst in den eigenen Taschen behält, auch was Regeln und Vorschriften und Kontrollen betrifft. Wir hatten eine Diskussion hier so Mitte der 90er Jahre, ist es eher Boston oder eher Berlin? Was damit gemeint war, war das Staatsmodell, das Sozialmodell, ist es ein fürsorgliches, soziale Marktwirtschaft, oder ist es - ich sag's jetzt mal polemisch - Raubkapitalismus? Und dass sich Irland viel stärker für das amerikanische Modell, eben des schlanken Staates, entschieden hat, liegt auf der Hand. Damit ist eine Antwort auf Ihre Frage, der Reichtum wurde den Bürgern wieder zurückgegeben, also gar nicht einkassiert.
Heise: Das heißt aber auch, man hat jetzt keine Netze gespannt.
Alioth: Genau, das ist das schwierige daran, dass wenn wir Krankenhäuser anschauen, da liegen Notfallpatienten jede Nacht noch auf diesen fahrbaren Schragen, man nennt die hier Trolleys, weil es keine Betten hat für sie. Wenn wir Volksschulen, Primarschulen anschauen, da gehen die Kinder, viele Kinder immer noch in sogenannte Porter Cabins, das sind diese transportablen Bauhütten statt Klassenzimmer. Das heißt, da bestand ein großer Nachholbedarf. Natürlich, man muss auch fair sein, Irlands Bevölkerung ist in diesen guten Zeiten sprunghaft gewachsen, erstens, weil so viele irische Emigranten freudig nach Hause kamen, und zweitens, weil Irland grob eine halbe Million Gastarbeiter anlockte, vor allem aus Mittel- und Osteuropa.
Heise: Wie wird man eigentlich mit denen jetzt umgehen, wo kein Kuchen mehr zu verteilen ist und die Arbeitslosigkeit steigen wird?
Alioth: Das ist die große Frage, Frau Heise, das wissen wir nicht. Es gibt natürlich einen Teil dieser Gastarbeiter, die kamen ohnehin nur, um Geld zu verdienen. Wenn das jetzt wieder schwieriger wird, wenn es auch den eigenen Wirtschaften hoffentlich ein bisschen besser geht, dann gehen sie wieder zurück. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, dass man das einfach so als Überflussventil benutzen kann, diese Leute.
Viele sagen einem, wenn man sie fragt, nein, wir bleiben, wir sind nach Irland eingewandert, das ist jetzt unsere neue Heimat, wir wollen uns hier auch integrieren. Und die Iren selbst schmeicheln sich ja, sie seien so gastfreundlich und nicht fremdenfeindlich gewesen. Das war eben, wie Sie sagten, solange der Kuchen wuchs, nicht so schwierig. Was wir nicht wissen, ist, ob sich das jetzt etwas vergiftet zum Schaden dieser Gastarbeiter, wenn es etwas prekärer wird und es einen Wettbewerb gibt.
Heise: Martin Alioth über Irland in der Krise. Vielen Dank, Herr Alioth, für dieses Gespräch!
Alle stellen jetzt die Frage, wer soll das eigentlich bezahlen? Denn wenn der irische Finanzminister nichts unternimmt, dann wird das irische Haushaltsdefizit 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Maastricht, nur als Beispiel, erlaubt 3 Prozent. Zuvor hatten die Iren immer einen Überschuss. Wie reagieren sie nun eigentlich darauf? Das will ich von dem Journalisten Martin Alioth wissen, er lebt seit 25 Jahren in Irland. Schönen guten Morgen, Herr Alioth!
Martin Alioth: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Was beobachten Sie eigentlich in Ihrer Nachbarschaft momentan?
Alioth: Was auffällig ist, ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Generationen reagieren auf letztlich den Einbruch. Die etwas ältere Generation, und damit würde ich sagen, jene, die über 35 sind, nehmen das eigentlich sehr stoisch zur Kenntnis. Es bestätigt ihre nie ganz verdrängte Befürchtung, dass der keltische Tiger, also die Wirtschaftsblüte der letzten, ich sag mal zehn, zwölf Jahre eigentlich eine Abirrung war, ein Ausreißer, der gar nicht so zu Irland passt und den man nie wiederholen wird und es unvermeidlich wieder zurückgeht in die Armut und die Auswanderung und dergleichen.
Die jüngere Generation, also eben die unter 35-, unter 30-Jährigen, die sind eine Art wie vom Donner gerührt. Sie sind aufgewachsen mit dem Überfluss, sie sind aufgewachsen damit, dass man, wenn man die Ausbildung fertig hat, kriegt man am nächsten Tag eine Stelle, meistens wurde man schon vor dem Abschluss angeworben. Und das ist alles nicht mehr so.
Ich glaube, der große Unterschied zu den 80er Jahren, wo es Irland wirklich schlecht ging - und das ist immer so quasi die Folie im Hintergrund, die dunkle: müssen wir jetzt wieder zurück in die 80er Jahre? - der Unterschied diesmal ist, dass sehr viele, gerade junge Leute ein Häuslein gekauft haben zu einem Zeitpunkt, wo die Preise absolut absurd hoch waren, und die haben diese Hypotheken am Hals, womöglich haben sie sich auch noch ein neues Auto zum Abstottern angeschafft. Und das heißt, die gehen nicht mehr so unbeschwert in eine einkommenslose Zeit oder eine Zeit mit sehr viel geringeren Einkommen.
Heise: Das heißt, die haben so viele Schulden auf den Schultern, dass das, was ihre Eltern ihnen vielleicht vorgelebt haben und hätten, den Gürtel einfach mal enger schnallen, das nützt ja gar nichts mehr, so viel ist das.
Alioth: Genau. Und dazu - ich sage es jetzt mal etwas abschätzig - leben sie in der Pampa und arbeiteten aber bis jetzt in Dublin. Sie müssen sich vorstellen, Frau Heise, dass der Pendlergürtel um Dublin hat zeitweise einen Radius von bis zu 100 Kilometern erreicht. Dublin liegt ja dummerweise exzentrisch, also an einem Rand von Irland.
Und die Häuschen in Dublin waren sowieso bald mal unerschwinglich, also haben sich die Kaufwilligen immer weiter ins Land rausdrängen lassen und pendeln eben morgens und abends über weite Strecken. Was auch heißt, sie brauchen zwei Autos, was wiederum die Schuldenlast erhöht, und, und, und, und ...
Und jetzt, wenn sie die Stelle verlieren, sitzen sie irgendwo in Carlow oder Mullingar, so weit von Dublin weg. Was sollen die da machen?
Heise: Am vergangenen Wochenende, da haben 120.000 Iren was gemacht, die sind nämlich auf die Straße gegangen. Bei einer Bevölkerung von vier Millionen ist das eine ziemlich große Zahl. Was überwiegt da eigentlich, Angst oder Wut?
Alioth: Wut. Ganz klar. Im Moment würde ich zwei Gründe nennen für diese Wut: Der eine Grund ist, dass die Regierung, die einen etwas tollpatschigen und unempfindlichen und ratlosen Eindruck macht, was sich auch in ihren Meinungsumfragewerten deutlich spiegelt, dass die als ersten Schritt jetzt mal als Sofortmaßnahme dem öffentlichen Dienst eine Lohnkürzung verordnet haben. Sie nennen das zwar Rentenbeitrag, aber de facto ist es eine Lohnkürzung. Und diese Lohnkürzung betrifft alle Einkommmensbezüge im öffentlichen Dienst, bis runter auf den Minimallohn.
Und im privaten Sektor, natürlich, da werden Leute entlassen, das ist natürlich wesentlich schlimmer als eine Einkommenseinbuße, aber wenn sie nicht entlassen werden, sind sie vorläufig noch nicht gebeten worden, zum Fiskus etwas mehr beizutragen. Diese Ungerechtigkeit und dieses Gesetz soll übrigens heute Abend im Parlament verabschiedet werden.
Wichtiger für die Wut allerdings scheint mir das Gebaren, das frühere, bisherige Gebaren der irischen Banken. Und da kriegen wir fast täglich neue Informationen darüber, dass namentlich eine Bank, Anglo Irish Bank, die vor ein paar Wochen verstaatlicht werden musste, das war reiner Casino-Kapitalismus, das war ein Monopolyspiel mit Regeln, die einem ganz kleinen Kreis von Immobilienspekulanten dienten und niemandem anderen. Das war Bilanzmanipulation, das war - Sie können fast jedes Wort aus dem börsenkriminellen Jargon sich ausdenken, und wir werden ein Beispiel in der Anglo Irish Bank finden, das das belegt.
Gestern - und das ist heute Anlass für etwas gute Laune hier in Irland - gestern führte die Polizei eine Razzia auf das Hauptquartier von Anglo Irish Bank am Stevens Green, das ist der schönste, größte Platz in Dublin, durch. Und da tut sich erstens eine klammheimliche Schadenfreude macht sich breit, und zum anderen hat man schon ganz kleine Hoffnungen, ob Irland mit diesem Schritt ...
Heise: Sich vielleicht ja auch befreien kann von dem, was man da abwerfen müsste. Vom Tiger zum Schlusslicht, Irland in der Rezession - wie gehen die Iren damit um? Das ist unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit Martin Alioth. Herr Alioth, mich würde noch mal interessieren, jetzt war Irland eine ganze Weile doch führend, alle haben hingeguckt, was da an Wirtschaft sich so zusammenbraut, was da an Reichtum auch kommt. Was hat Irland mit diesem Reichtum eigentlich gemacht fürs Gemeinwohl? Auf was kann man jetzt bauen?
Alioth: Das ist eine empfindliche Frage, Frau Heise. Irland hat viel von diesem Wohlstand dazu benutzt, einen schlanken Staat zu kreieren, der seine Finger möglichst in den eigenen Taschen behält, auch was Regeln und Vorschriften und Kontrollen betrifft. Wir hatten eine Diskussion hier so Mitte der 90er Jahre, ist es eher Boston oder eher Berlin? Was damit gemeint war, war das Staatsmodell, das Sozialmodell, ist es ein fürsorgliches, soziale Marktwirtschaft, oder ist es - ich sag's jetzt mal polemisch - Raubkapitalismus? Und dass sich Irland viel stärker für das amerikanische Modell, eben des schlanken Staates, entschieden hat, liegt auf der Hand. Damit ist eine Antwort auf Ihre Frage, der Reichtum wurde den Bürgern wieder zurückgegeben, also gar nicht einkassiert.
Heise: Das heißt aber auch, man hat jetzt keine Netze gespannt.
Alioth: Genau, das ist das schwierige daran, dass wenn wir Krankenhäuser anschauen, da liegen Notfallpatienten jede Nacht noch auf diesen fahrbaren Schragen, man nennt die hier Trolleys, weil es keine Betten hat für sie. Wenn wir Volksschulen, Primarschulen anschauen, da gehen die Kinder, viele Kinder immer noch in sogenannte Porter Cabins, das sind diese transportablen Bauhütten statt Klassenzimmer. Das heißt, da bestand ein großer Nachholbedarf. Natürlich, man muss auch fair sein, Irlands Bevölkerung ist in diesen guten Zeiten sprunghaft gewachsen, erstens, weil so viele irische Emigranten freudig nach Hause kamen, und zweitens, weil Irland grob eine halbe Million Gastarbeiter anlockte, vor allem aus Mittel- und Osteuropa.
Heise: Wie wird man eigentlich mit denen jetzt umgehen, wo kein Kuchen mehr zu verteilen ist und die Arbeitslosigkeit steigen wird?
Alioth: Das ist die große Frage, Frau Heise, das wissen wir nicht. Es gibt natürlich einen Teil dieser Gastarbeiter, die kamen ohnehin nur, um Geld zu verdienen. Wenn das jetzt wieder schwieriger wird, wenn es auch den eigenen Wirtschaften hoffentlich ein bisschen besser geht, dann gehen sie wieder zurück. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, dass man das einfach so als Überflussventil benutzen kann, diese Leute.
Viele sagen einem, wenn man sie fragt, nein, wir bleiben, wir sind nach Irland eingewandert, das ist jetzt unsere neue Heimat, wir wollen uns hier auch integrieren. Und die Iren selbst schmeicheln sich ja, sie seien so gastfreundlich und nicht fremdenfeindlich gewesen. Das war eben, wie Sie sagten, solange der Kuchen wuchs, nicht so schwierig. Was wir nicht wissen, ist, ob sich das jetzt etwas vergiftet zum Schaden dieser Gastarbeiter, wenn es etwas prekärer wird und es einen Wettbewerb gibt.
Heise: Martin Alioth über Irland in der Krise. Vielen Dank, Herr Alioth, für dieses Gespräch!