Erich Mühsam

"Sich fügen heißt lügen"

Der1878 in Berlin geborene Schriftsteller und Politiker Erich Mühsam
Der 1878 in Berlin geborene Schriftsteller und Politiker Erich Mühsam. © picture alliance / dpa
Von Christian Linder · 10.07.2014
Erich Mühsam war Anarchist, engagierte sich gegen den Militarismus, rebellierte gegen Formen und Zwänge – nur seine Ehe war ihm heilig. Vor 80 Jahren wurde er im Konzentrationslager Oranienburg getötet.
Die schwarze Fahne der Anarchie, die der am 6. April 1878 in Berlin geborene und in Lübeck aufgewachsene Schriftsteller Erich Mühsam in seinen Texten hisste, signalisierte die Leidenschaft und den Ernst seines politisch ganz linksaußen angesiedelten Engagements. Manches Gedicht besaß aber auch hohen Unterhaltungswert, sodass in den 1920er-Jahren etliche Mühsam-Chansons wie das vom "Revoluzzer" zum Standard-Repertoire in den Kabaretts gehörten:
"War einmal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit. Und er schrie: ‚Ich revolüzze!'
Und die Revolüzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor."
Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der Autor den Aufstand nur spielte. Welcher in seinem Engagement gegen Militarismus oder seinem Eintreten für politische Verfolgte gefährliche Feind ihnen da gegenüberstand, wussten die Nationalsozialisten schon vor ihrem Machtantritt, sodass sie kurz darauf, am 28. Februar 1933, auch im Zusammenhang des Reichstagsbrands, Mühsam als "politisch verdächtige Person" verhafteten und im Konzentrationslager Oranienburg internierten. Knapp eineinhalb Jahre später kam seine Frau Kreszencia von ihrer Arbeit nach Hause und fand die Nachricht vor, sofort bei der Polizei vorzusprechen.
"Auf dem Zimmer 29 sagte ein Kommissar zu mir: ‚Frau Mühsam, ich habe die Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Mann gestorben ist. Sie können nach Oranienburg fahren und die Leiche holen.'"
"Dass ich Dich lieb habe, ist keine Neuigkeit," hatte Erich Mühsam seiner Frau aus dem Konzentrationslager in einem seiner letzten Briefe geschrieben. Die Ehe mit Kreszentia betrachtete dieser gänzlich unbürgerliche Mann fast als Heiligtum seines Lebens. Ansonsten rebellierte er in seinem Leben gegen alle Zwänge und Formen. Von seinem Vater, einem Apotheker, mit dem Rohrstock erzogen, hat er später jede Gewalt abgelehnt. Seine frech-unbotmäßige Aufsässigkeit, wegen der man ihn schon in Lübeck vom Gymnasium wies, war in ihrer radikal-anarchistischen Art deshalb zugleich immer auch sanft und fein, verfehlte aber auch als leicht hingeschriebener Bänkelgesang zum Beispiel über "Revoluzzer", die die Revolution nur spielen, nicht die Wirkung. Die "deutsche Sozialdemokratie", der das Lied gewidmet war, nahm den Angriff sehr übel.
Meist schwarz gekleidet, mit wallenden Haaren und langem Bart, repräsentierte Mühsam als Autor und Redner seine nonkonformistische Lebenshaltung allein durch seine äußere Erscheinung - wenn mancher dahinter mitunter auch fast bohèmehafte Züge zu erkennen meinte. Kurzzeitig zu Beginn des vorigen Jahrhunderts tatsächlich ins Münchner Bohème-Leben eingetaucht, hatte er sich aber bald wieder auf und davon gemacht:
"Das expressionistische Gelall dient allenfalls dem Modernitätsbedürfnis der Bourgeoisie."
Für die Münchner Räterepublik kämpfte Erich Mühsam an vorderster Front, wurde nach ihrem Scheitern 1919 wegen "Hochverrats" zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt und nach fünf Jahren auf Bewährung entlassen. In der Haft führte er Tagebuch, schrieb auch das Drama "Judas" und den Gedichtband "Brennende Erde".
"Ich hab's mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt.
Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!"
Sich nicht beugen zu lassen, blieb sein Lebensmotto. Zum zweiten Mal in Haft, im Konzentrationslager Oranienburg, sagte ihm ein SS-Mann:
"Bis morgen haben Sie sich aufzuhängen ... Wenn Sie diesen Befehl nicht ausführen, erledigen wir das selbst."
Niemals werde er sich selbst töten, hat Erich Mühsam anschließend einem Mithäftling gesagt. Das Ende in der Nacht des 10. Juli 1934 hat seine Frau Kreszentia erzählt:
"Der Sarg wurde geöffnet. Vor mir lag mein Mann. Das Gesicht war bleich, aber ganz, ganz ruhig. Ein Streifen am Hals zeigte mir die Spuren des Strickes. ... Mein Schwager Hans sagte: ‚Entschuldige, mein Bruder, ich bin ein alter Arzt', zog ihm das Hemd aus, der Rücken war vollkommen verprügelt, und getötet war er durch eine Giftinjektion und tot aufgehängt im Abort."
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