Erhard Eppler

SPD-Urgestein und Vordenker wird 90

Der frühere Bundesminister Erhard Eppler (SPD) nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil.
Der frühere Bundesminister Erhard Eppler (SPD) nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil. © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Erhard Eppler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 09.12.2016
Der SPD-Politiker Erhard Eppler wird am Freitag 90 Jahre alt. Wir gratulieren - und sprachen mit dem früheren Entwicklungsminister über Ideale in der Politik, deren Umsetzung und was Kanzlerin Merkel diesbezüglich lernen musste.
Politik braucht nach Ansicht des langjährigen SPD-Politikers Erhard Eppler klare Ziele und Entwürfe. "Ohne irgendwelche Ziele in der Sache Politik zu machen, ist ein stumpfsinniges Tun", sagte Eppler, der heute 90 wird, im Deutschlandradio Kultur. "Stellen Sie sich mal vor, wenn Willy Brandt sich nicht ein großes Ziel gesetzt hätte, wäre er auch nie ein großer Mann geworden."
Er, Eppler, habe jedoch lernen müssen, dass man nicht nur in gefährliche Gewässer gerate, wenn man mit einem Thema zu spät komme, sondern auch dann, wenn man zu früh sei, so der frühere Entwicklungsminister und langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete, der als einer der ersten in der bundesdeutschen Politik auf die Risiken der Atomkraft hingewiesen hatte. "Zehn oder zwanzig Jahre später sieht das dann wieder anders aus."

Flüchtlingspolitik: Merkel hat sich "ziemlich angepasst"

Eppler äußerte sich auch erneut zur Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die er zunächst begrüßt hatte. "Die meisten, die in der Politik Erfahrung haben", hätten sich auch damals schon überlegt, was geschehe, wenn die Stimmung umschlage, zum Beispiel weil Flüchtlinge Verbrechen begingen, sagte er. "Ich glaube auch, dass Frau Merkel sich inzwischen doch ziemlich angepasst hat. Sie hat eben lernen müssen, dass gerade wenn man etwas Gutes will, man das sehr vorsichtig vorbereiten und abschirmen muss."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute am 9. Dezember wird er 90 Jahre alt, der SPD-Politiker Erhard Eppler. Er ist also Jahrgang 1926. Aufgehört, sich einzumischen, hat er über viele Jahre und bis heute nicht. Er war Bundestagsabgeordneter, Bundesminister, hat die Grundwertekommission seiner Partei geleitet und war Kirchentagspräsident. Eppler ist umwelt- und friedensbewegt, für Humanismus in der Kirche aktiv, werteorientiert und gegen Atomkraft und hat seine Ideale trotz vieler Ämter und Jahre in der Politik nicht verändert. Von wem könnte man also besser lernen, wie man seine Ideal behält und vielleicht auch, welchen Preis man dafür zahlt. Darüber habe ich mit Erhard Eppler gesprochen. Herr Eppler, zuerst alles Gute zum Geburtstag!
Erhard Eppler: Dankeschön!
Billerbeck: Vor gut 55 Jahren kamen Sie in den Bundestag. Wie macht man das, in der Politik seinen Idealen treu bleiben?
Eppler: Ja, ich weiß nicht genau, wie man das macht. Vielleicht muss man manches nicht machen. Man muss vielleicht nicht zu ehrgeizig sein und Niederlagen und Kritik ohne Wehleidigkeit hinnehmen.

"Man braucht Macht"

Billerbeck: Heißt das, wenn man keine Macht möchte, kann man seine Ideale behalten?
Eppler: Nein, das nicht. Man braucht ja die Macht, sie überhaupt zu vertreten. Jede Politik ist auch ein Kampf um Macht, nämlich um die Möglichkeit, so zu wirken, wie man gerne wirken möchte.
Billerbeck: Sie haben es gesagt: Man darf nicht wehleidig sein. Sie sind ja in den vielen Jahren immer wieder mal auch ziemlich hart angegangen worden. Was ist der Preis dafür, wenn man seinen Idealen treu bleibt – dass man sich sehr verletzen lassen muss auch?
Eppler: Ja, aber das muss man sich auch, wenn man seinen Idealen nicht treu bleibt. Politik ist eben ein Gebiet, wo man mit Verletzungen rechnen muss, aber auch damit rechnen muss, dass es immer wieder Leute gibt, die das dann später dann bereuen. Das ist das, was ich jetzt erlebe, dass Leute, die mir nun nicht besonders gewogen waren, sich zu Wort melden und sozusagen Frieden schließen möchten.
Billerbeck: Sind Sie auch deshalb angegangen worden, gerade weil man Sie ernst genommen hat, weil Sie eben auch des Öfteren eine gute Nase für Zukunftsthemen hatten, die ja manchmal auch unbequem sind, weil Sie eben grundlegenden Wandel einfordern?
Eppler: Ich habe gelernt, dass nicht nur, wenn man zu spät kommt, in gefährliche Gewässer kommt, sondern auch wenn man zu früh kommt, und 10 oder 20 Jahre später sieht das dann wieder anders aus.

Ohne Ziele ist Politik stumpfsinnig

Billerbeck: Wenn Sie darüber nachdenken, wie gut gehen Politik und Ideale eigentlich grundsätzlich zusammen?
Eppler: Was heißt Ideale – ich würde sagen Entwürfe und Ziele in der Sache. Ohne irgendwelche Ziele in der Sache, Politik zu machen ist ein stumpfsinniges Tun. Stellen Sie sich mal vor, wenn Willy Brandt nicht sich ein großes Ziel gesetzt hätte, wäre er auch nie ein großer Mann geworden.
Billerbeck: Diese Woche gab es ja eine Entscheidung: In Karlsruhe wurde über die Klage der Atomkonzerne gegen den Atomausstieg geurteilt. Sie als alter Atomkraftgegner, wie fanden Sie das Urteil?
Eppler: Das Urteil war meiner Ansicht nach korrekt. Erstens hat das Verfassungsgericht klargemacht, wenn eine Regierung überzeugt ist, dass die Atomenergie zu gefährlich ist, hat sie das Recht, dem ein Ende zu setzen. Wozu sie kein Recht hat, das ist erst aus den Kartoffeln heraus und dann wieder in die Kartoffeln hinein, wie das damals die schwarzgelbe Regierung unter Angela Merkel getan hat, die erst die Laufzeiten verlängert hat und dann sie verkürzt hat. Das führt natürlich dann zu Forderungen, zu Entschädigungsforderungen.

Gutes tun muss gut vorbereitet werden

Billerbeck: Sie haben vor knapp einem Jahr gesagt, dass Sie Respekt vor Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise gehabt haben. Auch da ist ja immer viel von Werten und Idealen gesprochen wurden. Wie sehen Sie das denn heute: Hat Merkel ihre Ideale in diesem Bereich wieder relativiert?
Eppler: Ich glaube, die meisten, die in der Politik Erfahrung haben, auch diejenigen, die wie ich, zuerst die Merkel für Politik begrüßt haben, aber wir haben natürlich damals auch schon überlegt, was geschieht, wenn die Menschen sich überfordert fühlen, oder zum Beispiel, wenn so etwas geschieht, was ja unvermeidlich ist, dass Flüchtlinge auch Verbrechen begehen und dann die Stimmung umschlägt, ich glaube auch, dass Frau Merkel sich inzwischen doch ziemlich angepasst hat. Sie hat eben lernen müssen, dass gerade wenn man etwas Gutes will, man das sehr vorsichtig vorbereiten und abschirmen muss.
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen.© AFP / Tobias Schwarz
Billerbeck: Mussten Sie das als Politiker, da etwas sehr vorsichtig vorbereiten oder, weil Sie zu forsch waren, Ihre Ideal relativieren?
Eppler: Die SPD hat elf Jahre lang diskutiert über Atomenergie. Es waren welche dafür, und andere waren dagegen, und nach elf Jahren hat die Partei einen Beschluss gefasst. Sie können sich vorstellen, was das für ein Kraftaufwand ist, auf beiden Seiten, bis man da zu einem Ergebnis kommt, aber ich bin ganz sicher, die Frau Merkel hätte das für ihre Partei nicht in einer Woche hingekriegt, wenn wir nicht elf Jahre darüber diskutiert hätten.
Billerbeck: Nun könnte man ja auch sagen, man sollte besser nicht eingreifen, denn wer der Mensch Selbstverantwortung trägt und der Staat ihm nicht alles abnimmt, dann fühlt er sich auch mehr verantwortlich für seine Ideale. Heißt das für Sie also, besser wäre weniger Staat?
Eppler: Nein, ich gehöre ja zu den Leuten, die behaupten, dass unser Staatsverständnis im 21. Jahrhundert sich ändern muss. Ich glaube, die Europäer haben lange Zeit den Staat für etwas Selbstverständliches gehalten. Im 21. Jahrhundert mehren sich die Staaten, meistens vorläufig noch außerhalb von Europa, in denen der Staat zerbröselt und wo dann schließlich ein Gewaltchaos entsteht, dass zäher ist als früher die Kriege waren.

Das schönste Geschenk: der 7. Urenkel

Billerbeck: Wenn einer 90 wird wie Sie heute, was wünscht er sich da?
Eppler: Also ich habe mein wichtigstes Geburtstagsgeschenk bereits bekommen, und ich habe es genauso bekommen, wie ich mir das gewünscht habe, nämlich meine siebten Urenkel, und das Mädchen ist gesund und munter und die Mutter auch. Ja, das ist mein Geburtstagsgeschenk.
Billerbeck: Der SPD-Politiker Erhard Eppler. Vor seinem heutigen 90. Geburtstag habe ich mit ihm in Schwäbisch Hall gesprochen. Wir hoffen auf ein Interview zum 100.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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