Ergründung des Ulysses
Im Ulysses erzählt James Joyce einen Tag im Leben des Annoncen-Akquisiteurs Leopold Blum - unterwegs auf einer Irrfahrt durch die Kneipen und Restaurants Dublins. Joyce-Expertin Katharina Hagena will mit ihrem Buch den Ulysses ergründen. Es ist ein "must" für verrückte Joyceans - und ein "should" für alle anderen.
Der "Ulysses" von James Joyce ist nicht gerade ein Geheimtipp, sondern vermutlich das meistsezierte Stück Literatur des vergangenen Jahrhunderts. Weniger rätselhaft ist er dadurch glücklicherweise nicht geworden. Diese moderne Odyssee der Irrungen, Abschweifungen, Kreuz- und Querfahrten, Strudel und Wellenlinien durch einen einzigen Tag, den 16. Juni 1904, und eine einzige Stadt, Dublin, scheint jeder neuen Generation Abenteuerlust einzuflößen und jedem neuen Blick erregende neue Horizonte zu öffnen.
"Der Roman ist meerdurchrauscht und fischdurchwimmelt, und ihm ist ebenso wenig zu trauen wie dem Meer selbst." Wer solche Sätze schreiben kann, hat keinen x-te akademisch-drögen Traktat für Eingeweihte im Sinn. Dröge wäre allemal der blödsinnigste Ansatz für den Versuch, dem Meerischen, Wässrigen, Flüssigen im "Ulysses" nachzuspüren. Und wer wie Katharina Hagena durch die Zürcher Schule von Fritz, "dem Großen" Senn gegangen ist - was in ein Forschungsstipendium der dortigen James Joyce Stiftung mündete -, ist ohnehin verloren für alles Unsinnlich-Belehrende.
Ihr - wie es im Untertitel heißt - "Seeweg durch den Ulysses" geht vielmehr mit wunderbarer eigener Sprachmacht und Spielfreude der Frage nach, die Lidwell, ein Bargast im Ormond-Hotel, Lydia Douce, einer der beiden giggelnden Barfrauen, stellt: "Was sagen denn die wilden Wellen?" Lydia gibt keine Antwort. Aber Katharina Hagena präpariert mäandernd, mit allen Sinnen nachspürend, mit so poetischem wie empathischem Skalpell heraus, was an Joyces Jahrhundertroman vor allem unterschwellig liquide ist. Und was all das für heimliche Verbindungen zu Leben, Liebe, Tod und Eros hat. Denn das Meer selbst kommt vergleichsweise kurz.
"Doch [es] muss nicht dinglich in Erscheinung treten, um omnipräsent zu sein: Von der ersten Seite an ist das Meer im Ulysses mehr. Es ist natürlich-geographisches Phänomen, mythologisches Zitat, Katalysator dichterischer Prozesse und philosophischer Reflexionen, Metapher, Gleichnis, Topos; sichtbar, hörbar, schmeckbar, riechbar, lesbar! Es ist Mutter und Vater, Geliebte und Vampir, rotzgrün und weindunkel. Es rauscht in den Köpfen und nimmt von dort aus weniger Einfluss auf die Handlung als auf den Klang und die Struktur der Sprache selbst."
Darum geht es - die Beziehung von Wasser und Sprache, Wasser und Kunst, Wasser und Menschsein. Davon sprechen die wilden Wellen. Stetig, never-ending. Vielleicht ist erst heute die Zeit gekommen, dem Wasser soviel literarische Aufmerksamkeit zu widmen. Heute, im nächsten Jahrhundert mit seinen globalen Abhängigkeiten und Wahrnehmungen, scheint uns zu dämmern, dass es nicht einmal kunstlosestes Leben ohne Wasser gibt, befürchten Umweltpolitiker sogar Kriege um die kostbarste aller Ressourcen, suchen Weltraumforscher auf fernen Planeten danach.
Katharina Hagenas schöner, kluger Essay ist deshalb nicht nur ein must für uns bekanntermaßen verrückte Joyceans. Er ist mindestens ein should für alle andern: Er handelt von einem Roman, der vom Leben handelt - von nichts weniger.
Katharina Hagena:
Was die wilden Wellen sagen -
Der Seeweg durch den Ulysses
Mit einem Vorwort von Fritz Senn,
Marebuchverlag, Hamburg 2006,
173 Seiten, gebunden, 18 Euro.
"Der Roman ist meerdurchrauscht und fischdurchwimmelt, und ihm ist ebenso wenig zu trauen wie dem Meer selbst." Wer solche Sätze schreiben kann, hat keinen x-te akademisch-drögen Traktat für Eingeweihte im Sinn. Dröge wäre allemal der blödsinnigste Ansatz für den Versuch, dem Meerischen, Wässrigen, Flüssigen im "Ulysses" nachzuspüren. Und wer wie Katharina Hagena durch die Zürcher Schule von Fritz, "dem Großen" Senn gegangen ist - was in ein Forschungsstipendium der dortigen James Joyce Stiftung mündete -, ist ohnehin verloren für alles Unsinnlich-Belehrende.
Ihr - wie es im Untertitel heißt - "Seeweg durch den Ulysses" geht vielmehr mit wunderbarer eigener Sprachmacht und Spielfreude der Frage nach, die Lidwell, ein Bargast im Ormond-Hotel, Lydia Douce, einer der beiden giggelnden Barfrauen, stellt: "Was sagen denn die wilden Wellen?" Lydia gibt keine Antwort. Aber Katharina Hagena präpariert mäandernd, mit allen Sinnen nachspürend, mit so poetischem wie empathischem Skalpell heraus, was an Joyces Jahrhundertroman vor allem unterschwellig liquide ist. Und was all das für heimliche Verbindungen zu Leben, Liebe, Tod und Eros hat. Denn das Meer selbst kommt vergleichsweise kurz.
"Doch [es] muss nicht dinglich in Erscheinung treten, um omnipräsent zu sein: Von der ersten Seite an ist das Meer im Ulysses mehr. Es ist natürlich-geographisches Phänomen, mythologisches Zitat, Katalysator dichterischer Prozesse und philosophischer Reflexionen, Metapher, Gleichnis, Topos; sichtbar, hörbar, schmeckbar, riechbar, lesbar! Es ist Mutter und Vater, Geliebte und Vampir, rotzgrün und weindunkel. Es rauscht in den Köpfen und nimmt von dort aus weniger Einfluss auf die Handlung als auf den Klang und die Struktur der Sprache selbst."
Darum geht es - die Beziehung von Wasser und Sprache, Wasser und Kunst, Wasser und Menschsein. Davon sprechen die wilden Wellen. Stetig, never-ending. Vielleicht ist erst heute die Zeit gekommen, dem Wasser soviel literarische Aufmerksamkeit zu widmen. Heute, im nächsten Jahrhundert mit seinen globalen Abhängigkeiten und Wahrnehmungen, scheint uns zu dämmern, dass es nicht einmal kunstlosestes Leben ohne Wasser gibt, befürchten Umweltpolitiker sogar Kriege um die kostbarste aller Ressourcen, suchen Weltraumforscher auf fernen Planeten danach.
Katharina Hagenas schöner, kluger Essay ist deshalb nicht nur ein must für uns bekanntermaßen verrückte Joyceans. Er ist mindestens ein should für alle andern: Er handelt von einem Roman, der vom Leben handelt - von nichts weniger.
Katharina Hagena:
Was die wilden Wellen sagen -
Der Seeweg durch den Ulysses
Mit einem Vorwort von Fritz Senn,
Marebuchverlag, Hamburg 2006,
173 Seiten, gebunden, 18 Euro.