Ergebnis der Ignoranz

Von Alexander Göbel · 28.07.2010
Der trockene Sahelstaat kann seine Bevölkerung nicht ernähren, weil er mit landwirtschaftlichen Methoden "wie im Mittelalter" arbeitet, klagen Experten. Daher hängt Niger weiterhin am Tropf der Nothilfe.
Tillabéri, ein Lehmhüttendorf im Nordosten des Niger. Normalerweise stampfen die Frauen hier Hirse, für die Mahlzeiten des Tages. Doch schon seit ein paar Wochen gibt es keine Hirse mehr, die letzten Reserven sind aufgebraucht, und deswegen müssen sich die Menschen von den bitteren Blättern des Doubagara-Baumes ernähren. Auch wenn sie die eigentlich nur an ihr Vieh verfüttern:

"Die Blätter müssen wir erst kochen, dann mischen wir sie mit Weizenkleie, so lange es noch welche gibt. Und von diesem Brei versuchen wir dann, irgendwie satt zu werden. Aber hier haben wir alle Hunger!"

Die Lage spitzt sich immer weiter zu: Im Niger trifft der Hunger derzeit fast jeden zweiten der rund 14 Millionen Menschen. Die Internationale Hilfe ist inzwischen in einigen Landesteilen mit mehreren Tonnen Getreide angelaufen, aber Fatouma Said von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schlägt trotzdem Alarm. Die drohende Krise könne noch schlimmere Folgen haben als die letzte große Hungersnot vor fünf Jahren:

"Wir konnten zwar schon vielen Menschen helfen, aber das Geld, das die Internationale Gemeinschaft uns bisher zur Verfügung gestellt hat, reicht hinten und vorne nicht. Nicht einmal die Hälfte der Betroffenen können derzeit mit Nahrungsmitteln versorgt werden."

Jahrzehntelang war das Thema Hunger im Niger absolut tabu. Für den mittlerweile von einer Militärjunta weggeputschten Dauerpräsidenten Tandja war es etwas Ehrenrühriges, Nahrungsmittelkrisen in seinem Land zugeben zu müssen - für Tandja fand Hunger einfach nicht statt. Nigers neue Führung dagegen nennt das Problem beim Namen. Und der neue Premierminister Danda bittet die Weltgemeinschaft sogar offen und ganz konkret um Hilfe - in Höhe von mehr als 120 Millionen Dollar.

Natürlich kann Nigers neue Regierung keine Wunder vollbringen und aus dem trockenen Sahelstaat ein grünes Paradies machen. Aber sie steht unter massivem Druck, politisch kämpft sie ums Überleben. Sie wird daran gemessen, wie sie mit der drohenden Hungersnot umgeht. Doch Harouna Sidiku, Soziologe an der Universität von Niamey, gefällt es gar nicht, dass der neue Premier sich bei der Weltgemeinschaft gleich zum Bettler macht. Dass sein Land sich weiter von einer Hungerkrise zur nächsten schleppt - und am Tropf der Nothilfe auch noch sein trübes Image als Katastrophenland pflegt. Der Wissenschaftler fürchtet, dass die vielen Hilfsmillionen buchstäblich verdampfen, weil wieder nur die Symptome des Hungers bekämpft würden, nicht aber die Ursachen:

"Immer die gleichen landwirtschaftlichen Methoden - wie im Mittelalter! Dazu das Bevölkerungswachstum, die Wüstenbildung wegen der massenhaft abgeholzten Bäume ... Dieses Land hätte die Chance und auch die Mittel, etwas zu ändern. Und das ist es, was mich so ärgert: Es geht alle Jahre wieder von vorne los, und dabei müsste man doch langsam mal die Konsequenzen aus einer so dramatischen wie bekannten Situation ziehen!"

Im Niger, einem der unwirtlichsten Länder der Welt, müsse man eben alle fünf Jahre mit einer Nahrungsmittelkrise rechnen - alle wüssten das, nur hätten sich bisher weder die Politik noch die Hilfsorganisationen noch die Bevölkerung darauf eingestellt. Noch immer gebe es keine echte Landwirtschaftspolitik, keine Investitionen in Agrartechnik, in erneuerbare Energien, in die Ausbildung von Ingenieuren. Dabei seien das die wahren strategischen Waffen im Kampf gegen den Hunger. Und eben nicht die Scheckbücher.
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