Erfurt und das jüdische Erbe

Von Blanka Weber · 25.02.2011
Wenn es um die mittelalterliche Geschichte der Stadt Erfurt ging, so stand das Wirken Martin Luthers meist im Vordergrund. Seit den Ausgrabungen jüdischer Gebäude vor zwei Jahrzehnten, dem Entdecken einer alten Synagoge, einer Mikwe und weiteren Vermutungen jüdischer Architektur - ist klar, die Stadt hatte vor allem im Mittelalter eine starke jüdische Gemeinde. Nun soll die Historie erforscht werden. Denn Erfurt will sich mit seinem jüdischen Erbe für einen Platz auf der UNESCO-Liste bewerben.
"Das war das jüdische Quartier, also hier auf der Seite des Wassers."

Maria Stürzebecher führt oft Gäste durch das ehemalige jüdische Quartier der Erfurter Innenstadt.

"Und das es heute so eine Brache ist, wo sich jetzt die Mikwe befindet und der Neubau drum herum, diese Brache ist dem Krieg geschuldet. Hier war einer der wenigen Bombentreffer im 2.Weltkrieg und es war im Grunde eine Ruinenlandschaft."

Die junge Wissenschaftlerin mit den auffallend roten Haaren steht hinter der Krämerbrücke auf einem kleinen Stück Wiese.

"In den Fünfziger- und Sechzigerjahren sind hier die letzten Gebäude abgerissen worden. Das, was wir kennen, diese Grünanlage hinter der Krämerbrücke ist nicht authentisch. Das war hier ganz eng und dicht bebaut, war ein ganz kleinteiliges Viertel und mittendrin befand sich die Mikwe."

Diese wird gerade restauriert und soll noch in diesem Jahr für Besucher zugänglich sein. Erst vor wenigen Jahren war sie entdeckt worden.

"Die Mikwe ist jetzt, neben der Synagoge, der zweite Punkt als Ort, den wir vom mittelalterlichen jüdischen Erbe ansehen können. Die beiden Orte sind natürlich nicht losgelöst gewesen, die waren immer eingebettet in ein jüdisches Quartier, ein Quartier, wo Christen und Juden nebeneinander gelebt haben. Trotzdem war hier so eine Kernzone, hier haben die Juden gesiedelt."

Wie waren die Gemeinden miteinander vernetzt? – in Thüringen aber auch darüber hinaus?, das gilt es nun zu entdecken, sagt die Wissenschaftlerin. Indizien gibt es in Erfurt genug. Die mittelalterliche Stadt, gekreuzt von Handelswegen, hatte ein reiches jüdisches Leben.
Wenn es nach den Wissenschaftlern geht, sollen weitere Mauerreste erforscht werden.

"Also wir wollen, dass sowohl Erfurter als auch Besucher dieses erleben können, dass gerade hier im Stadtzentrum das jüdische Quartier war."

Heute zählt die Landesgemeinde etwa 800 Mitglieder, sagt Wolfgang Nossen, der Vorsitzende. 400 davon leben in Erfurt, verteilt quer in der Stadt. Es sind meist Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

"Aus diesem Grunde haben wir einen russisch- und deutschsprachigen Rabbiner engagiert, der uns Kopfzerbrechen bereitet mit der Bezahlung. Aber ich hab’ Hoffnung, dass wir das irgendwie schaffen werden mit Hilfe der Landesregierung."

Auch das jüdische Kulturzentrum in einem Plattenbau am Rande der inneren Altstadt war kurzzeitig von der Schließung bedroht. Die Miete kann wieder bezahlt werden, zumindest in den nächsten Monaten.

"Die Zuwanderer aus der ehemaligen SU sind religiös entwurzelt, außer die uralten, und haben sich zum großen Teil noch nicht in der Synagoge eingefunden. Wie sind eine Religionsgemeinschaft, kein Kulturverein."

Vielleicht gelingt der Brückenschlag mit dem neuen Rabbiner Konstantin Pal. Denn was wäre all’ das jüdische Erbe an Architektur und die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für die Geschichte einer Gemeinde, wenn die heutige keine Traditionen pflegt?
Maria Stürzebecher, die junge Wissenschaftlerin, ist sich sicher: Erfurt war im Mittelalter ein bedeutender Ort für das jüdische Leben im aschkenasischen Raum:

"Es gibt ja grundsätzlich in Europa nicht so viele Städte, die über altes jüdisches Erbe verfügen. Es gibt wenige Orte, die mittelalterliche Synagogen haben, mittelalterliche Mikwen. Und mit den Kollegen in diesen Orten haben wir schon lange Kontakt."

Speyer, Mainz, Worms und Erfurt - das sind die Orte, die künftig, wenn es um jüdisch-mittelalterliches Leben geht - zusammen arbeiten wollen, vielleicht auch mit Blick auf eine gemeinsame Bewerbung als Unesco-Welterbe. Das sei noch offen, sagt Maria Stürzebecher. In Erfurt muss zunächst viel wissenschaftliche Arbeit nachgeholt werden:

"Gerade im Verhältnis zu Speyer, Mainz, Worms, die im Mittelalter schon einen Städtebund bildeten und seitdem besondere Bedeutung haben auch für die Forschung, ist das in Erfurt nicht passiert. Zu DDR-Zeiten war das jüdische Erbe kein Thema."

Heute gibt es umso mehr Aufmerksamkeit, vor allem von Passanten die interessiert zur noch umzäunten Baustelle der alten Mikwe hinter der Krämerbrücke schauen:

"Ich finde das wichtig, dass das alles wieder ausgegraben wird, wieder `rausgeholt wird. Die jüdische Kultur die war schon immer da, auch in anderen Städten."

Geht es nach Maria Stürzebecher, die maßgeblich an der Unesco-Bewerbung beteiligt sein wird, so möchte sie eines:

"Wir wünschen uns hier sehr, dass dieses jüdische Erbe als Teil der Stadtgeschichte wahrgenommen wird, als etwas, worauf die Erfurter stolz sind. Ohne den Rückhalt in der Bevölkerung ist eine Bewerbung sinnlos."

Im kommenden Jahr können die Kultusminister entscheiden, ob Erfurt - vielleicht mit anderen gemeinsam - für das jüdische Erbe auf die Unesco-Liste als Anwärter gesetzt werden soll.