Erfrischende Polemik und beißender Sarkasmus

Vorgestellt von Ulrike Ackermann · 03.09.2006
Henryk Broders jüngstes Essay kommt gerade zur rechten Zeit. In gewohnt scharfsinniger und scharfzüngiger Manier geißelt er darin die erschreckend weit verbreitete Appeasementhaltung gegenüber dem Islam und dem totalitären Islamismus, wie sie auch jetzt wieder angesichts der jüngsten Auseinandersetzung zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel allseits zu hören und zu lesen ist: In seltsamer Verkehrung von Ursache und Wirkung wird Israel für seine "Überreaktion" auf die militärische Provokation der islamistischen Hisbollah kritisiert, die mit tatkräftiger Unterstützung des Irans und Syriens weiterhin ihr Ziel verfolgt, den Staat Israel auslöschen zu wollen.
Täglich werden in deutschen Nachrichten die israelischen Angriffe alarmistisch hervorgehoben und die libanesischen Zivilopfer beklagt. Israel als Staat der Juden gilt nicht nur in seiner arabischen Nachbarschaft als der Urheber des Übels in Nahost, der mit seiner baren Existenz den Weltfrieden gefährden würde. So mischen sich hier auf denkwürdige Weise ein ‚Euro-Antisemitismus’, wie ihn der ungarische Schriftsteller Imre Kertesz beschrieben hat, mit einem tiefsitzenden islamischen Antisemitismus, der Israel zugunsten der Herrschaft eines globalen Kalifats von der Landkarte auslöschen will.

In erfrischender Polemik und mit beißendem Sarkasmus entblößt Broder in seinem Buch dieses Phänomen der vorauseilenden Kapitulation des Westens angesichts dieser Androhung, wie sie sich im Streit um die Mohammed-Karikaturen, in der Weichzeichnung des iranischen Holocaust-Leugners Ahmadinedschad oder der Sympathie für den sog. "palästinenschen Befreiungskampf" offenbart. Aus der defensiven Haltung Europas im Karikaturenstreit und den daraus folgenden Beschwichtigungsappellen folgert Broder:

"Die Moslems haben bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können. Und der freie Westen, der sonst bei jedem Hakenkreuz auf einer Hauswand ‚Wehret den Anfängen‘ ruft, hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat - außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz."

Man hätte sich auch eine ganz andere Reaktion deutscher und europäischer Zeitungen vorstellen können, nicht nur den Nachdruck der Mohammed-Zeichnungen als Solidaritätsbekundung gegenüber der unter Beschuss geratenen dänischen Zeitung Jyllands-Posten und damit eine eindeutige Verteidigung der westlichen Meinungs- und Pressefreiheit. Es hätte auch eine Warnung an den losgebrochenen islamistischen Volkssturm sein können: Ihr könnt so viel toben wie ihr wollt, aber wir lassen uns nicht erpressen. Denn, so Broder:

"Jede Konzession, jeder Artikel, in dem davor gewarnt wurde, Öl ins Feuer zu gießen, jede Entschuldigung eines Politikers oder Firmenmanagers, die sich um einbrechende Umsätze und Gewinne sorgten, war eine Aufforderung an den rasenden Mob, weiter zu machen."

Das eilig bekundete Verständnis für die Verletzung der religiösen Gefühle hat jedoch bekanntermaßen keineswegs die Muslime beschwichtigen können. Den Hauptgrund für diese westliche Appeasementhaltung sieht Broder in der nackten Angst vor der großen Zahl der Muslime: weltweit sind es 1,5 Milliarden. Die Angst vor ihrer hemmungslosen Kraft verwandeln die europäischen Gutmenschen in Verständnis und Mitgefühl für die underdogs der Geschichte, für die Opfer der Globalisierung und die Invaliden des Fortschritts - nach dem Motto: ‚Du hast keine Chance, aber nutze sie!‘

Der Versuch, diese Angst zu bannen, spiegelt sich nicht zuletzt in der Verharmlosung des Islamismus und seines Terrors wider. Weit verbreitet bis hinein in erzpazifistische und christliche Kreise ist denn auch die Denkfigur, der Terror sei eine - möglicherweise sogar legitime - Waffe der Schwachen und Entrechteten. Doch der Westen beginnt zu ahnen, dass er in der Bredouille sitzt. Deshalb sagt Broder:

"Wissend, dass es ein Problem gibt, dem man nicht gewachsen ist, entscheidet man sich für aktive Ignoranz, organisiert Straßenfeste, gemeinsame Gottesdienste zu Mohammeds Geburtstag, Konferenzen zum Dialog der Kulturen, kurzum, man agiert wie der Kapitän der Titanic, der das Bordorchester aufspielen lässt, um den Passagieren den Untergang so angenehm wie möglich zu gestalten."

Broder bringt in seinem Essay eine Vielzahl von Beispielen dieser beängstigenden Kapitulationshaltung und zeichnet die Strategien der Verharmlosung und Beschönigung nach. Die türkisch-deutsche "Dissidentin" Necla Kelek hat dies zu spüren bekommen, als sie es wagte, in ihren Büchern den Islam zu kritisieren und seinen "Verlorenen Söhnen" attestierte, sich nicht vom archaisch-patriarchalischen Herdentrieb emanzipieren und Individuum im westlichen Verständnis werden zu können. Ausgerechnet deutsche Migrationsforscher warfen ihr daraufhin vor, den ‚Kampf der Kulturen‘ zu schüren.

Aber eine Gesellschaft, die Appeasement als Integrationspolitik versteht und keinesfalls die Gegenseite provozieren will, lädt gerade dazu ein, sich erpressen zu lassen. So jedoch werden wir der totalitären Bewegung des Islamismus kaum begegnen können. Broders Essay ‚Hurra, wir kapitulieren‘ ist ein wunderbarer Aufruf, unsere Freiheiten und die Errungenschaften der westlichen Aufklärung gegenüber dieser Bedrohung zu verteidigen.


Henryk M. Broder:
Hurra, wir kapitulieren.
Von der Lust am Einknicken.

WJS Verlag, Berlin 2006.