Erfahrungsbericht

Leben mit künstlichen Hüften

07:05 Minuten
Ein mit Titan-Nitrit beschichtetes künstliches Hüftgelenk.
Von diesen künstlichen Hüftgelenken hat Elmar Krämer gleich zwei im Körper. © picture-alliance / ZB / Jan Woitas
Von Elmar Krämer · 15.07.2021
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Elmar Krämer ist Ende 40 und Kampfsportler, aber seine Hüftgelenke sind kaputt. So kaputt, dass sie ausgetauscht werden müssen. Normalerweise wird diese Operation vor allem bei älteren Menschen durchgeführt. Unser Autor hat sie trotzdem gemacht.
Alle Versuche, künstlichen Gelenken zu entgehen, sind gescheitert. Ich habe meine Ernährung umgestellt, Nahrungsergänzungsmittel genommen, bin zur Physiotherapie gegangen, habe Akupunkturnadeln in den Körper stechen lassen und eine Operation, eine sogenannte Arthroskopie, durchführen lassen. Alles umsonst. Bei mir sind beide Seiten derart kaputt, dass sie ausgetauscht werden müssen.
"Bei der Operation wird der Oberschenkelkopf abgesägt und ein Titanschaft in den Oberschenkelknochen geschlagen. Darauf kommt der künstliche Gelenkkopf. Dieser ist aus Metall oder Keramik. Das Gegenstück ist die künstliche Hüftpfanne. Sie ist ebenfalls aus Titan und wird in das Becken geschlagen."

Eine OP - zwei neue Gelenke

Zweimal OP, inklusive aller Risiken, zweimal Reha-Maßnahmen? Das will ich nicht. Und Professor Karl Dieter Heller, Leiter des Endoprothetik-Zentrums am Herzogin-Elisabeth-Hospital in Braunschweig, stimmt zu, beide Seiten gleichzeitig zu machen. Ich hoffe, alles gelingt. Ich will endlich wieder schmerzfrei Sport treiben.
"Das ist Elmar Krämer, markiert war er? Ja! Korrekte Lage? Ja! Bilder einsehbar? Ja! Implantate vorhanden? Ja!"
Fünf Stunden dauert der Eingriff. Als ich aufwache, fühle ich mich schrecklich, mir ist schwindelig und ich muss mich übergeben.
"Die OP hat länger gedauert, weil Sie natürlich als sportlich aktiver junger Mann eine extrem ausgeprägte Muskulatur hatten und es ist schwierig, an dieser ausgeprägten Muskulatur vorbei minimalinvasiv eine Prothese einzubauen", erklärt der Arzt.
"Auf der linken Seite war es auch etwas anspruchsvoller, Ihre Pfanne zu verankern. Wenn ich mit der linken begonnen hätte, hätte ich gesagt, ich würde die andere Seite nicht mehr machen. Da wir aber rechts begonnen haben, stellte sich diese Frage natürlich in keiner Weise mehr."

Unter starken Schmerzen geht er die ersten Schritte

Noch am gleichen Tag mache ich unter starken Schmerzen die ersten Schritte, gestützt von drei Physiotherapeutinnen. Sie und andere bestimmen ab jetzt meinen Tagesablauf:
"Fußspitzen ran ziehen, Knie runterdrücken. Spannung halten."
Kräftigungs- und Mobilisationsübungen stehen auf dem Plan: Beinabspreizen im Liegen, Becken anheben – keine komplizierten Bewegungen. Zusätzlich ziehe ich mich an dem Griff über dem Krankenhausbett hoch, um auch den Oberkörper in Schwung zu bringen. Isometrisches Training funktioniert ebenfalls gut im Bett, d.h. Muskeln bewusst anspannen und die Spannung halten. Ich muss Vertrauen in meine künstlichen Körperteile bekommen und laufe an Gehstützen viel durch die Gänge. Mein Zustand wird immer besser. Nur der Blick in den Spiegel ist schrecklich – meine Hüfte ist massiv geschwollen.
"Um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten, werden bei Operationen nach dem aktuellen Wissensstand keine Drainageschläuche mehr für das Abfließen der Wundflüssigkeit gelegt. Für den Abtransport von Schwellungen im OP-Bereich sorgt der Körper des Patienten selbst über das Lypmphsystem."

Die Reha scheint auf Ältere zugeschnitten zu sein

In der Reha dann Enttäuschung: Hier wird nicht tägliches Einzeltraining angeboten, sondern zweimal zwanzig Minuten. In der Woche. Alles ist eher auf Ältere zugeschnitten. Als junger Patient falle ich aus dem Rahmen. Glücklicherweise darf ich selbständig im Sportraum trainieren: Fahrrad fahren, auf einem wackeligen Untergrund stehen, auf einer weichen Hochsprungmatte im Kreis laufen. Das hilft. Erst recht aber meine Physiotherapiepraxis, die ich mir nach der Reha suche. Für mich zuständig ist Manuel Mansour:
"Da habe ich erstmal gedacht: Kniffelige Kiste, beide Hüften gleichzeitig gemacht, hatte ich in der Form auch noch nicht, aber du bist ja hier reinstolziert mit einem vernüpftigen Gangbild. Da dachte ich, okay, mit dem kann man anscheinend arbeiten."

Eine Sehnenreizung ist nichts Ungewöhnliches

Der Sporttherapeut lässt mich Kraftübungen mit dem eigenen Köpergewicht machen, Kniebeugen und Ausfallschritte in unterschiedlichen Variationen, später auch mit Langhantel. Nach acht Monaten habe ich immer noch Schmerzen – aber andere: Durch die zunehmende Beweglichkeit in der Hüfte sind Sehnen gereizt. Nicht ungewöhnlich.
"Das kenne ich schon so. Heutzutage, bei den Total-Endoprothesen in der Hüfte funktioniert das alles meistens sehr gut nach Plan. Da gibt es immer kleinere Schwierigkeiten, wie jetzt bei dir auch. Zieht sich natürlich jetzt schon ganz schön lange. Aber grundsätzlich verläuft das schon immer ähnlich. Gerade so eine entzündliche Geschichte am Sehnenansatz kann sich mal ziehen."

Lockerlassen fällt schwer

Zusätzlich gehe ich zur Osteopathin. Bei ihr geht es ums Lockerlassen – und das fällt mir oft schwer.
"Der eine zieht die Schultern hoch, der andere beißt auf seine Zähne", sagt Julia Pottebaum.
"Viele Leute haben dann ihre Hüften in so einer Innenrotationsstellung, obwohl sie eigentlich in Ruhe nach außen fallen würden. Also es sind so kleine Details, auf die ich total gerne achte, weil man dadurch den Patienten noch ein bisschen mehr runterholt und somit mehr Tonus aus dem gesamten Körper nehmen kann."
Ich werde immer beweglicher, entwickle ein Bewusstsein, locker zu lassen. Rezepte für die Behandlung zu bekommen, wird aber zunehmend schwieriger, ich bin weit außerhalb des Regelfalls. Und dann kommt Corona.

Trainieren unter Corona-Bedingungen

Dennoch höre ich nicht auf zu trainieren – mein Sporttherapeut hat mit mir kurze Handyfilme mit Übungen gemacht. Zu Hause trainiere ich zwei- bis viermal die Woche. Gerne eine Mischung aus Yoga- und Kraftübungen. Heute, gut zwei Jahre nach der OP habe ich fast keine Schmerzen mehr, trotzdem habe ich mich an Kampfsport noch nicht wieder getraut. Wie lange die Prothesen halten, wird die Zukunft zeigen. Sie übermäßig zu schonen, ist für mich keine Option und auch nicht empfehlenswert, wie Karl Dieter Heller betont.
"Es wäre ein fataler Fehler zu sagen, ich belaste mich nicht, damit meine Hüfte nicht lockert. Dann lockert Ihre Hüfte, weil der Knochen abbaut. Denn wenn ich mich nicht belaste, bekomme ich eine Osteoporose oder eine Osteopenie, also einen Knochenschwund, und dann lockert die Prothese erst recht."
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