Erdogan will in Nordafrika "Bündnisse schmieden"

Michael Meier im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der türkische Regierungschef Erdogan wolle nach den politischen Umbrüchen in Nordafrika seinen Einfluss in der arabischen Welt ausweiten, meint Michael Meier, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. Die neuen außenpolitischen Beziehungen der Türkei zur palästinensischen Hamas hält er für bedenklich.
Jörg Degenhardt: Sie waren mal so was wie Freunde, aber mittlerweile sind sie sich nicht mehr richtig grün: die Türkei und Israel. Hintergrund ist der Tod von neun Türken, die im vergangenen Jahr eine Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen wollten. Auch nach einem UN-Bericht soll Israel dabei mit überzogener Gewalt vorgegangen sein, aber die Regierung in Jerusalem verweigert eine Entschuldigung. Ankara reagierte darauf mit der Ausweisung des israelischen Botschafters. Mehr noch: Der türkische Regierungschef Erdogan hat angekündigt, Lieferungen in den Gazastreifen künftig von Kriegsschiffen begleiten zu lassen. Erdogan reist heute nach Kairo. Auch der dortige Botschafter Israels musste das Land verlassen, musste vor einem gewalttätigen Mob fliehen. Israel scheint wichtige Partner im Nahen Osten zu verlieren. Andere nutzen die Entwicklung in der Region, um Stärke zu demonstrieren. Fragen an Michael Meier von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. Guten Morgen, Herr Meier!

Michael Meier: Einen schönen guten Morgen aus Istanbul!

Degenhardt: Die Türkei an der Seite der Hamas und auf Distanz zu Israel – was verspricht sich Ankara davon?

Meier: Ankara verspricht sich sicherlich, aus dem jetzt begonnenen Arabischen Frühling Profit zu ziehen. Ankara ist eine starke Wirtschaftsnation, Ankara hat alte historische Bindungen an die Region und Ankara fühlt sich stark genug, jetzt die Rolle einer Regionalmacht zu spielen.

Degenhardt: Dieses neue Bündnis Türkei und Hamas, das ist ja nicht unproblematisch. Müsste der Westen da vielleicht dem NATO-Partner Türkei etwas genauer auf die Finger schauen?

Meier: Das sollte der Westen machen, allerdings ist dieses Bündnis nicht so neu. Also das läuft schon einige Jahre, die Beziehungen von einzelnen türkischen Politikern zu den Hamas-Führern waren schon immer eng und waren aber bisher nicht Teil der türkischen Außenpolitik in dem Maße. Das verschiebt sich in den letzten Jahren, und darauf muss man sicherlich ein kritisches Auge werfen, wenngleich natürlich auch ein Kontakt zu den Hamas hier und da notwendig ist.

Degenhardt: Inwieweit ist denn dieses neue, ich sag mal Bündnis mit den Hamas vielleicht auch nach innen gerichtet, auf die innenpolitische Situation in der Türkei?

Meier: Noch nie war türkische Außenpolitik so stark von der Innenpolitik geprägt. Erdogan sitzt fest im Sattel. Er hat 50 Prozent der Stimmen bei den letzten Parlamentswahlen im Juni gewonnen, er hat sich das Militär untergeordnet, das Militär, das in der Vergangenheit in der Türkei die absolute Macht hatte – der Generalstab ist vor wenigen Wochen zurückgetreten aus Protest –, und er sagt das, was eine Großzahl der Türken tatsächlich fühlt, und das hat es noch nie gegeben in der Türkei. Außenpolitik war bisher immer ein Elitenprojekt.

Degenhardt: Jetzt ist Erdogan zu einer Reise durch Nordafrika aufgebrochen, heute ist er zu Gast in Kairo – muss man davon ausgehen, dass er auch auf dieser Reise versuchen wird, den Einfluss der Türkei in der Region auszuweiten?

Meier: Davon gehe ich ganz fest aus. Es ist der erste Besuch eines türkischen Ministerpräsidenten seit 15 Jahren. Wir erinnern an die Ereignisse jetzt am Wochenende, die israelische Botschaft wurde gestürmt, vielleicht war auch ein gewisses Momentum der Vorbereitung dabei. Erdogan wird eine Rede halten an der Kairoer Universität, er wird den Militärrat treffen, die Übergangsregierung, aber auch die demokratischen Organisationen – gutes Zeichen eigentlich. Erdogan will ganz klar Bündnisse schmieden. Ägypten ist eine alte regionale Führungsmacht in der Region, und die Türkei ist eigentlich gut beraten, sich mit Ägypten zusammenzusetzen.

Degenhardt: Was heißt das jetzt für die Europäer? Die Türkei ist bekanntlich Mitglied der NATO, aber nicht in der EU, muss diese Entwicklung die Europäer besorgen, weil natürlich die Machtbalance sich verschiebt, weil zum Beispiel Israel in eine eher defensive Position gerät?

Meier: Die Machtbalance verschiebt sich, aber zunächst erst mal nicht primär durch die Türkei, sondern durch die Ereignisse des Arabischen Frühlings. Die Türkei …

Degenhardt: Die ja durch den Westen nachhaltig unterstützt werden.

Meier: Durch den Westen nachhaltig unterstützt, und das ist auch gut so, da hat der Westen im Fall Libyen eine tatsächlich wirklich konstruktive Rolle gespielt – ich klammere jetzt mal extra Deutschland aus –, und das ist auch entsprechend positiv in den arabischen Staaten aufgenommen worden. Wir sollten uns Sorgen machen, aber nicht allzu besorgt sein. Ich glaube, dass der Westen, dass es Gesprächskanäle gibt, dass auch Deutschland eine Möglichkeit hat, sich einzubringen, um den Prozess weiter zu gestalten. Das ist doch wichtig, die Türkei nicht allein laufen zu lassen, sondern ihr das Signal zu geben, ihr habt Verbündete auch im Westen, auch in Europäischen Union, immerhin wollt ihr ja mal Mitglied sein.

Degenhardt: Der deutsche Außenminister Herr Westerwelle ist ja gerade in der Region unterwegs, wie schwer wiegt das Wort der Deutschen im Nahen Osten derzeit?

Meier: Deutschland hat traditionell einen guten Stand im Nahen Osten, nutzt den derzeit nicht genügend.

Degenhardt: Woran liegt das?

Meier: Das liegt natürlich daran, dass wir uns selbst geschwächt haben mit unserem Votum bezüglich des Libyen-Einsatzes natürlich, aber vielleicht sind wir auch nicht klug genug, die Verbündeten, die wir haben, einzusetzen im außenpolitischen Dialog – und ich zähle da die Türkei ausdrücklich dazu. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind ganz besondere, die wir, glaube ich, noch nicht gelernt haben, voll auszunutzen.

Degenhardt: Schauen wir noch kurz nach Jerusalem: Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen, muss da nicht auch die israelische Regierung aktiver werden, muss sie mehr versuchen, Einfluss auf den Gang der Dinge zu nehmen?

Meier: Der israelischen Regierung schwimmen die Felle weg – im Sinne von Verbündeten in der Region. Mit Ägypten haben sie die Probleme, mit der Türkei die bekannten Probleme, auch Jordanien wackelt, deshalb ist ja heute der Außenminister in Jordanien. Ich denke, Israel muss proaktiver werden. Israel war derzeit das einzige Land, das sich noch nicht verhalten hat zum Arabischen Frühling. Das kann man auch verstehen, wenn man dort sitzt und vielleicht die Ereignisse um sich herum beobachtet, aber Israel muss jetzt proaktiver, offener werden. Ob sie das mit dieser Koalitionsregierung kann, kann ich nur hoffen.

Degenhardt: Das wäre meine Frage gewesen zum Schluss, ob das diese Regierung Netanjahu leisten kann, die ja auch innenpolitisch stark unter Druck steht.

Meier: Im Bezug auf den Türkei-Konflikt kann man deutlich sehen, wie gespalten die Regierung ist. Auf der einen Seite Netanjahu und Barak, die sagen, ja, verdammt noch mal, lasst uns doch unser Bedauern ausdrücken, lasst uns doch die Formulierungen, die wir mit türkischen Diplomaten gefunden haben, offen formulieren und damit den Konflikt deeskalieren. Und auf der anderen Seite der Außenminister Lieberman, der noch Öl ins Feuer gießt und der sozusagen sich mit dem türkischen Außenminister Davutoglu, aber auch mit dem Erdogan einen Schlagabtausch liefert, der niemandem mehr nützt.

Degenhardt: Im Nahen Osten deuten sich neue Entwicklungen an, auf die sich die jeweiligen Länder teilweise erst noch einstellen müssen. Das war Michael Meier von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Istanbul. Herr Meier, vielen Dank für das Gespräch, für diese Analyse!

Meier: Vielen Dank, auf Wiederhören!


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