Erdogan-Karikatur bei "Charlie Hebdo"

Wenn der satirische Wert nicht erkennbar ist

07:54 Minuten
Ausgaben von Charlie Hebdo mit der Erdogan-Karikatur liegen in einem Kiosk aus.
Nach der Veröffentlichung einer Erdogan-Karikatur will die Türkei rechtliche Schritte gegen das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" unternehmen. © Getty Images / Marc Piasecki
Derek Scally im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 28.10.2020
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Die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" erscheint in ihrer jüngsten Ausgabe mit einer Karikatur des türkischen Präsidenten Erdogan. Der Journalist Derek Scally kann dem nichts abgewinnen: Er sieht darin keine Satire.
Nach dem neu aufgeflammten Streit um Mohammed-Karikaturen und Meinungsfreiheit in Frankreich, erscheint die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" nun mit einer Karikatur des türkischen Präsidenten Erdogan: Er hebt einer Frau den Rock hoch. Dazu heißt es: "Privat ist er eigentlich ganz lustig."
Die politische Stimmung ist seit Tagen aufgeladen. Es gibt wachsende Spannungen zwischen Frankreich auf der einen Seite und der Türkei und arabischen Ländern auf der anderen Seite.
Kam die Erdogan-Karikatur nun gerade zur rechten Zeit und trifft sie den Nagel auf den Kopf? Derek Scally, Berlin-Korrespondent der Irish Times, winkt ab:
"Ich schaue mir das an und ich sehe: Irgendjemand wollte lustig sein. Aber das Ziel, was er oder sie damit bewirken wollte, ist mir meistens fremd. Satire ist für mich immer, wenn es nötig ist. Und wenn es nicht nötig ist, ist es einfach so wie eine Klowand."

Erdogan auf die Palme bringen? Keine hohe Kunst

Scally befürchtet in den kommenden Tagen wieder eine "endlose Diskussion" über das Zitat von Kurt Tucholsky, wonach Satire alles dürfe: "Wenn jemand behaupten muss: Satire darf alles, dann meistens deswegen, weil der satirische Wert auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich war."
Aus Sicht des Journalisten wird "Charlie Hebdo" zu Unrecht als "Eiffelturm der schlauen Satire" hochgehalten: "Man möchte der Welt zeigen, wie schlau man ist, wie toll man ist, wie witzig man ist.". Man zeige nach seiner Ansicht damit aber eher, "wie vorhersehbar man ist." Das treffe auf die aktuelle Karikatur zu:
"Erdogan auf die Palme zu bringen, ist keine hohe Kunst. Das kann man wirklich mit wenig Mühe machen. Für mich ist die Frage: Was hat man damit bewiesen? Dass er dünnhäutig ist? Das wussten wir schon."
(bth)

Derek Scally, geboren 1977, ist Korrespondent der Zeitung "Irish Times" in Berlin. Er studierte Journalismus an der Dublin City University. Seine Hauptthemen sind deutsche und europäische Politik, Wirtschaft und Kultur. Er ist häufiger Gast in Radio und Fernsehen, sowohl in Irland wie in Deutschland.

Hören Sie hier unsere ganze Sendung mit Derek Scally:
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