Erdbebenalarm aus dem Keller

Von Dirk Asendorpf · 03.06.2012
Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen; erst wenige Sekunden vor der zerstörerischen Welle kann ein Alarm ausgelöst werden. Entsprechende Frühwarngeräte waren bisher zu teuer für den Massenmarkt. Von einem deutschen Hersteller kommt nun aber ein Gerät, das sich fast jeder leisten kann.
15 Sekunden dauerte das Erdbeben, das 1989 die Bucht von San Francisco erschütterte. Dutzende Häuser kollabierten, Feuer brachen aus, eine Hochstraße stürzte ein, es entstand ein Schaden von sechs Milliarden Dollar, 62 Menschen starben. Jeden Tag wird das Loma Prieta-Beben im kalifornischen Technikmuseum als Simulation wiederholt. Eine paar Jungs, die noch nicht alt genug sind, um es selber miterlebt zu haben, sind beeindruckt – vor allem von den Schreien der Mädchen.

"Pretty good, especially when the girls screamed."

San Francisco gehört neben Los Angeles, Istanbul und Tokio zu den erdbebengefährdetsten Metropolen der Welt. Experten sind sich einig, dass es hier in den nächsten Jahrzehnten zu schweren Beben kommen wird. Nur wann das passiert, wissen sie nicht. Die Vorhersage eines Erdbebens ist nach wie vor unmöglich. Doch eine kleine Firma in Castrop-Rauxel hat jetzt immerhin ein Frühwarngerät für den Hausgebrauch auf den Markt gebracht. Der kleine weiße Kasten muss an einer Kellerwand befestigt werden. Mit einem schrillen Alarmton warnt er – je nach Entfernung des Epizentrums – wenige Sekunden bis zu einer Minute vor dem Beginn eines schweren Bebens. Jürgen Przybylak ist Gründer und Geschäftsführer des Herstellers secty electronics. Dass sein Gerät funktioniert, konnte er schon in der Praxis zeigen.

"Bestes Beispiel: 21. April Indonesien, Entfernung waren 80 Kilometer, Vorwarnzeit war 30 Sekunden. 30 Sekunden ist sehr, sehr viel. Gerade jetzt in Indonesien oder in diesen Ländern wie Pakistan, wo auch die Gebäude nur ein- oder zweigeschossig sind, ist man in wenigen Sekunden draußen und man ist sicher, man hat sofort einen sicheren Standort. Aber genau so gut können drei Sekunden helfen, denn in dem Moment kann ich auch schon das Gebäudemanagement aktivieren, Gas abschalten, und das ist auch ganz wichtig."

Die meisten Schäden und Opfer gibt es bei einem Beben häufig durch Feuer, die von geborstenen Gasleitungen angefacht werden. In großen Büro- oder Wohnhochhäusern reicht eine kurze Vorwarnzeit zwar nicht zur Flucht auf die Straße, doch zumindest die Fahrstühle können automatisch auf der nächstgelegenen Etage gestoppt und geöffnet werden. Technisch ist eine Frühwarnung deshalb möglich, weil ein Erdbeben Wellen unterschiedlicher Art und Geschwindigkeit auslöst.

Jochen Zschau: "Die schnellste Erdbebenwelle, die als erste da ist, ist glücklicherweise nicht die zerstörerische, sie kann als Warnwelle benutzt werden. Dann kommen später die zerstörerischen Wellen, die S-Welle, die Sekundärwelle, und dann auch die Oberflächenwellen, die aber dann schon angekündigt worden sind durch die P-Welle, die Primäre, die als erste auftritt. Und nach diesem Prinzip arbeitet die Frühwarnung."

Jochen Zschau ist Erdbebenexperte am Geoforschungszentrum Potsdam. Zusammen mit einigen Kollegen hat er die Technik entwickelt, die in dem kleinen Frühwarngerät steckt.

"Man muss zusehen, dass man die Anzahl der Fehlalarme niedrig hält, sonst glauben die Leute ja nicht mehr dran. Und zwar muss man die Stärke der späteren Wellen, der S-Wellen und der Oberflächenwellen, schon vorhersagen aus der Stärke der schnellsten ersten aber schwächeren Wellen, der P-Wellen. Und da haben wir einen Algorithmus entwickelt, der es erlaubt, aus diesen P-Wellen diese Stärke vorherzusagen. Und dieser Algorithmus wird auch von der Firma secty electronics eingesetzt."

Das technische Prinzip hinter der Software für die Erdbebenfrühwarnung ist schon seit Jahrzehnten bekannt. In Japan werden damit beim ersten Anzeichen eines Bebens die Shinkanzen-Schnellzüge per Notbremsung gestoppt. Doch die dafür eingesetzten Profi-Seismometer sind viel zu teuer für den Massenmarkt. Erst seit einigen Jahren ist eine preisgünstige Alternative verfügbar.

"Die Sensoren kommen aus den Airbag-Systemen der Autoindustrie. Und diese Beschleunigungsmesser sind inzwischen so gut geworden, dass man sie auch zur Aufnahme der Bodenerschütterung bei einem Erdbeben benutzen kann und machen dann so ein Frühwarnsystem auch anschaffbar für jeden."

2000 Euro kostet das Erdbebenwarngerät in der einfachsten Ausführung mit zwei Sirenen. Verkauft wurden die ersten Exemplare vor allem an Botschaften, Konsulate und reichere Hausbesitzer in besonders gefährdeten Entwicklungsländern wie Indonesien, Pakistan oder Haiti. Und Hilfsorganisationen setzen sie ein, um ein ganzes Dorf zu alarmieren.

"Die Vision ist letztenendes auch, von einem zentralen Frühwarnsystem wegzugehen zu einem dezentralen System; das nicht nur an eine Person oder drei oder fünf zu verkaufen, sondern dass man dann wirklich so eine Stadt wie Istanbul, wo ja Millionen sind, dass man dann zigtausende solcher Geräte verteilt. Da könnte es hingehen."

Basel, die erdbebengefährdetste Stadt Westeuropas, hat damit bereits begonnen. Gerade hat Jürgen Przybylak dort fünf seiner Frühwarngeräte installiert und drahtlos miteinander verbunden. Im Fall der Fälle soll das kleine System blitzschnell die Gaszufuhr kappen – und zwar genau dort, wo es nötig ist.

"Fünf große Gasleitungen kommen in Basel an. An den Übergabestationen sind Elektromagnet-Ventile, die dann über unsere Geräte abgeschaltet werden. Aber wenn zwei Systeme abschalten, bekommt die Zentrale die Information und das ganze Gasnetz wird abgeschaltet. Und das ist einmalig weltweit."

Und womöglich auch ein Vorbild für San Francisco. Denn in naher Zukunft, soviel ist sicher, wird dort auch wieder außerhalb des Museums die Erde beben.

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