Frauen-Fußball-WM

Welches Erbe die Weltmeisterschaft hinterlässt

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Der Erfolg der kolumbianischen Frauen bei der WM (hier bei einem Torjubel) hat nach Einschätzung der Journalistin Karen Ariza Carranza auch die Wahrnehmung von Frauen im Sport im eigenen Land verändert.
Der Erfolg der kolumbianischen Frauen bei der WM (hier bei einem Torjubel) hat nach Einschätzung der Journalistin Karen Ariza Carranza auch die Wahrnehmung von Frauen im Sport im eigenen Land verändert. © dpa / picture alliance / Daniela Porcelli
Von Marina Schweizer · 20.08.2023
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Welchen gesellschaftlichen Einfluss hat die Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland langfristig? Dieser Frage ging unsere Kollegin auf einem internationalen Symposium von Journalisten und Fußball-Aktivistinnen in Berlin nach.
Das Viertelfinale bei einer Weltmeisterschaft erreicht. Und davor unter anderem WM-Mitfavorit Deutschland in der Gruppenphase bezwungen. Das kolumbianische Team hat es weit gebracht bei dieser WM, weiter als je zuvor.
„Tooor zu rufen für Frauen, das ist im Sport, vor allem im Fußball, etwas Besonderes. Für uns als Menschen aus Kolumbien war es bisher nicht vorstellbar, dass wir uns für Frauenfußball begeistern können.“

WM hat Wahrnehmung in Kolumbien verändert

So beschreibt die kolumbianische Sportjournalistin Karen Ariza Carranza den Wandel, den sie gerade beobachtet.
„Wir Menschen in Lateinamerika lieben Fußball, aber wir denken bei dieser Begeisterung immer an Männer, das war immer ein Platz für Männer. Und als wir jetzt diese exzellente Vorstellung gesehen haben, da haben wir das Talent, die Technik, die Ballkontrolle gesehen. Und wir Latinos lieben das.“
Erst im Viertelfinale endet Kolumbiens Reise, als letzte lateinamerikanische Mannschaft im Turnier. Es hat Klick gemacht in ihrem Land, glaubt die Journalistin:
„Vor dieser WM haben wir diese Frauen nicht ernst genommen, die seit über 15 Jahren für die Entwicklung des Frauenfußballs kämpfen. Also ich glaube, die größte Veränderung wird es bei den gesellschaftlichen, geschlechterspezifischen Vorstellungen von Frauen im Sport geben - vor allem in professioneller Hinsicht.“

Gibt es bald eine Profiliga in Kolumbien?

Vor dieser WM habe man den Wunsch der Fußballerinnen nach einer eigenen Profiliga in Kolumbien nicht gehört. Das werde sich jetzt nach der Rückkehr des erfolgreichen WM-Teams ändern, glaubt die Journalistin.
Dieses Turnier war eine Demonstration der Qualität - ein Signal an alle, die bisher noch mit Vorurteilen um sich geworfen haben. So sieht es die Afghanin Khalida Popal.
Sie war zum WM-Auftakt in Australien vor Ort und hat einige Spiele gesehen. Jetzt resümiert sie in Berlin:

Ich habe ständig hochwertige Fußballspiele gesehen. Das Zweite ist: die Kommerzialisierung des Frauenfußballs. Frauenfußball bringt Geld ein – es ist nicht nur irgendwas Karitatives. Diese Qualität bringt Leute ins Stadion, die sind ausverkauft. Der Erlös, die Zahl der Zuschauer: Das sind die guten Sachen - und diese WM hinterlässt tatsächlich ein Erbe.

Khalida Popal, Ex-Kapitänin des afghanischen Nationalteams

Die ehemalige Kapitänin des afghanischen Nationalteams lebt schon lange im Exil in Dänemark und war im Sommer 2021 maßgeblich daran beteiligt, dass Fußballerinnen nach der Machtübernahme der Taliban ausgeflogen werden konnten.

FIFA erkennt afghanisches Team nicht an

Das afghanische Nationalteam lebt heute im Exil in Australien. Wird aber von der FIFA nicht anerkannt, weil der Fußballverband in Afghanistan das Frauen-Team nicht akzeptiert. Der Weltfußballverband habe sie auch bei der WM enttäuscht, sagt Popal:
„Es geht so viel um Geschlechtergerechtigkeit – aber in Wahrheit wird ein Team ignoriert. Wo ist die Geschlechtergerechtigkeit hier, was ist ihr Geflüchteten-Ding? Rund um die WM wird geredet: Die FIFA beziehe jeden ein, beziehe Geflüchtete ein – und unser Team ist in Australien und wird ignoriert.“
Afghanistan taucht aktuell nicht in der FIFA-Weltrangliste auf. Anders als Japan, das Land aus dem Aya Noguchi kommt.

Nur wenige Spiele im japanischen Fernsehen

 „Ehrlicherweise, glaube ich nicht, dass von dieser WM eine Botschaft ausgeht für die Gesellschaft.“ 
Sagt die Sportwissenschaftlerin, obwohl Japan eine fulminante Gruppenphase gespielt hat – dann aber ebenfalls im Viertelfinale gescheitert ist. Die schwache gesellschaftliche Strahlkraft dieser WM sei der Tatsache geschuldet, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur wenige Spiele zu sehen waren.
Ähnlich wie in Deutschland gab es in Japan erst spät eine Einigung über die Fernsehrechte, berichtet Aya Noguchi, die sich in Tokio auch für die Rechte der LGBTQ-Community einsetzt.
„Wenn es etwas Gutes gab, dann dass der Sender NHK die Fußball-WM auch zur Plattform für queere Personen gemacht hat. Das ist schon gewaltig. Diesen Sender schauen praktisch alle - und das war eine sehr gute Sendezeit.“
Diese Themensetzung sei in Japan ungewöhnlich, das Thematisieren der queeren Community auch im Frauenfußball noch recht neu.
„Es gab da schon über den Frauenfußball die Message: Es gibt auch queere Personen in Japan - und das muss auch in der Gesellschaft besprochen werden. Also hat der Sender zum Beispiel das Thema aufgegriffen, wie das mit den Geschlechtskategorien für Transpersonen oder non-binäre Personen ist, wo sie spielen können.“

WM macht Japans LGBTQ-Community sichtbarer

Als Vertreterin des Tokio Pride House spricht Aya Noguchi während der WM sogar selbst im japanischen Fernsehen und trägt so zur Sichtbarkeit der LGBTQ-Community in Japan bei.
„Also es geht um die Frage, wie die Gesellschaft Transpersonen und non-binäre Personen einbezieht. Diese Message ist da schon rübergekommen durch die Berichterstattung – und ich finde, das ist ein schönes Ergebnis. Und das kann nur der Fußball der Frauen.“
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