Aus den Feuilletons

Tschüss statt Servus

Tomaten, an denen auch der Begriff "Paradeiser" steht.
Heißen "Paradeiser" bald nur noch "Tomaten"? Die Österreicher fürchten um ihre Sprache. © picture alliance / dpa
Von Klaus Pokatzky  · 07.06.2014
Urösterreichische Begriffe sind in Gefahr. Nicht auszudenken, dass der Wiener Schmäh verschwindet und Gäste demnächst mit "Moin" statt "Servus" begrüßt werden. Pünktlich zu den Feiertagen befassen sich die Feuilletons außerdem mit einem wahren Pfingstwunder: Edward Snowden.
Pfingsten ist irgendwas mit einer Taube. Das erfuhren wir aus CHRIST UND WELT. So weit hat sich der Religionsunterricht laut einer Straßenumfrage bei manchen noch festgesetzt, schrieb Andreas Öhler. Pfingsten war Taube – und Pfingsten war Wunder. Pfingsten konnten die Jünger auf einmal in anderen Sprachen sprechen. Sprache ist doch so wichtig.
Was wird aus "Schlagobers" und "Paradeiser"?
Der "Verein Deutsche Sprache" hat gefordert, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern, teilte uns die Tageszeitung DIE WELT mit. Unser Deutsch passt aber nicht jedem. Österreich möchte unbedingt österreichisches Deutsch sprechen, hieß es in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Sorgenvoll stellt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek fest, dass das "österreichische Deutsch" zu verschwinden drohe im "deutschländischen Deutsch", schrieb Harald Eggebrecht. Urösterreichische Wörter wie "Schlagobers", "Kren", "Servus", "Jause" oder "Paradeiser" sind in Gefahr, durch Sahne, Meerrettich, Tschüss, Pausenbrot oder Tomate verdrängt zu werden. Und deshalb gibt es nun eine Broschüre für die Schulen, damit die jungen Menschen in der Alpenrepublik nur ja für das österreichische Deutsch büffeln. Andere mögen "Tschüss" sagen – Du glückliches Österreich rufe "Servus".
Wen er treffen mag, den trifft er, wen nicht, den meidet er. Er weht halt, wo er will, erklärte uns in CHRIST UND WELT – der Beilage zur Wochenzeitung DIE ZEIT – Hans-Joachim Neubauer zu Pfingsten den Heiligen Geist. Oft wirkt er im Stillen, da, wo es intim ist, wo niemand Zutritt hat. Das waren noch Zeiten vor 2000 Jahren, als der Heilige Geist in die Jünger fuhr. Da gab es noch Intimes. Vor einem Jahr begann eine neue Zeitrechnung in der vernetzten Welt, lasen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Edward Snowden, ein kluger und wohlartikulierter Insider des globalen Überwachungssystems, hat die Tür zu den Katakomben unter den Fundamenten der westlichen Demokratien aufgestoßen, schrieb Frank Rieger.
Die unheiligen Geister der NSA
Wer Überwachung entlarvt, befreit den Geist, lobte auch die SÜDDEUTSCHE Edward Snowden. Sein Outing am Pfingstmontag vor einem Jahr war ein Akt pfingstlicher Freiheit, eine Art modernes Pfingstwunder, schrieb Heribert Prantl, es hat nichts mit Religion zu tun, sehr wohl aber mit dem Geist der Freiheit, also mit dem Geist der Aufklärung. Die unheiligen Geister der Spionageorganisation NSA werden wir nun wohl nicht mehr los. Haben wir mit der NSA einen zweiten Gott?, wird in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN der Snowden-Vertraute Glenn Greenwald gefragt. Das ist das Ziel von der Allwissenheit zur Allmacht, antwortet er. Und auf der anderen Seite soll niemand mitbekommen, was getan wird. Was der Heilige Geist von solchen göttlichen Vergleichen hält, wird er uns wohl leider nicht mitteilen. Er weht ja, wo er will.
Das Smartphone ist nicht nur ein effektiver Überwachungsapparat, sondern auch ein mobiler Beichtstuhl, lesen wir in der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Wir leben heute in einem digitalisierten Mittelalter, meint der Berliner Philosophie-Professor Byung-Chul Han. Wir beichten weiter, und zwar freiwillig. Dabei bitten wir nicht um Vergebung, sondern um Aufmerksamkeit. Es ist nun nicht die Kirche, sondern Geheimdienst und Markt, die uns Gehör schenken.
Jaron Lanier erhält Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Und wo bleibt da das Positive? Der amerikanische Internetpionier und Schriftsteller Jaron Lanier erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, meldete auch die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: Der 54-jährige Informatiker habe erkannt, welche Risiken die digitale Welt für die freie Lebensgestaltung eines jeden Menschen habe, heißt es in der Begründung des Stiftungsrats. Das kam an in den Feuilletons. Gewissen der digitalen Welt, nannte die SÜDDEUTSCHE den neuen Friedenspreisträger.
In den frühen Tagen des Internets in den 90ern wurde der Mann mit den Dreadlocks zum Inbegriff des Cyberpunks, erinnerte die Tageszeitung TAZ. Der Friedenspreis an Lanier kommt zu einem Zeitpunkt, wo auch die deutsche und europäische Industrie ahnt, was auf sie zukommen wird, wenn einige wenige Giganten mehr über ihre Kunden und einige Geheimdienste mehr über ihre Pläne wissen, als sie es je für möglich hielten, stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN. Lanier wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man nicht von Geheimdiensten reden und von der Überwachungs-Ökonomie der Industrie-Giganten schweigen könne, schrieb Frank Schirrmacher.
Umfrage zum Semikolon
Googles Gruselkabinett präsentiert uns da die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG und zählt auf, welche Unternehmen und welche Branchen inzwischen dem milliardenschweren Suchmaschinengiganten gehören. Auch in smarte Modeaccessoires hat Google bereits investiert, klärt uns Florian Zimmer-Amrhein auf. 2013 stellte der Konzern einen Schuh vor, der die Bewegungsdaten seines Trägers sammelt und auswertet. Über einen integrierten Lautsprecher kann der Schuh kommunizieren und Empfehlungen aussprechen, mal wieder Sport zu machen.
Da werden wir jetzt lieber ganz altmodisch. Das Semikolon erinnert optisch an einen herunterhängenden Schnauzbart. So zitierte die TAZ den Philosophen Theodor W. Adorno – in einer Umfrage zum Sinn und Unsinn dieses schönen Satzzeichens, das ja in digitalen Zeiten immer mehr ausstirbt. Das Semikolon ist mein Lieblingszeichen, schrieb die TAZ-Leserin Marlou Lessing, weil es den Satz atmen und denken lässt. Das Komma ist ein Arbeitstier; es ist der Notwendigkeit verhaftet. Und wir machen jetzt einen Punkt und sagen Tschüss und Servus.