Er will es der Welt heimzahlen
Der radikale Verlierer, dem Hans Magnus Enzensberger seinen jüngsten Essay "Schreckens Männer" gewidmet hat, lebt überall. Man findet ihn am Tresen in der Dorfkneipe, in Banken und Büros, in Gymnasien und Universitäten, Koranschulen und Moscheen. Einmal mehr erweist sich Enzensberger als Altmeister illusionsloser Zeitdiagnose.
Unauffällig lebt er mitten in der Gesellschaft. Er schweigt und wartet ab. Ein tiefer Groll überschattet sein Dasein, das Gefühl, von anderen gedemütigt, abgewertet zu sein. Das Ressentiment nährt seine Rachsucht und seine Größenphantasien. Er will es der Welt heimzahlen, irgendwann, wenn die Stunde gekommen ist.
"Der Anlaß, der die Explosion auslöst, ist meistens völlig nebensächlich. Denn der Gewalttäter ist, was seine Regungen angeht, extrem dünnhäutig. Um ihn zu kränken, genügt ein Blick oder ein Witz.(...) Ein Nörgeln der Ehefrau vielleicht, die zu laute Musik nebenan, ein Wirtshausstreit, oder die Bank hat den Kredit gekündigt. Die abfällige Bemerkung eines Vorgesetzten genügt, und der Mann steigt auf einen Turm und zielt auf alles, was sich vor dem Supermarkt bewegt, nicht obwohl, sondern weil das Massaker sein eigenes Ende beschleunigen wird."
Der radikale Verlierer, dem Hans Magnus Enzensberger seinen jüngsten Essay gewidmet hat, lebt überall. Man findet ihn am Tresen in der Dorfkneipe, in Banken und Büros, in Gymnasien und Universitäten, Koranschulen und Moscheen. Als Sozialfigur ist er an keine Zeit und kein Milieu gebunden, doch wenn er eine Heimat unter Seinesgleichen findet, vervielfacht sich seine destruktive Energie.
Vor Jahrzehnten schlossen sich Verlierer vielerorts zu bewaffneten Zellen oder Horden zusammen, tauften sich Rote Brigaden oder nationale Befreiungsfront, entführten Flugzeuge, Manager oder Politiker und gaben sich als Speerspitze einer antiimperialistischen Bewegung aus. Heutige Schreckensmänner bewegen sich in lockeren Netzwerken, legen Bomben in Restaurants oder U-Bahn-Stationen und sprengen sich irgendwann selbst in die Luft.
"Einerseits erlebt der Verlierer im Moment seiner Explosion eine einmalige Machtfülle. Seine Tat ermöglicht es ihm, über andere zu triumphieren, indem er sie vernichtet. Andererseits trägt er der Kehrseite dieses Machtgefühls, dem Verdacht, daß sein Dasein wertlos sein könnte, dadurch Rechnung, daß er ihm ein Ende macht."
Enzensberger denkt jugendliche Amokläufer, leninistische Terroristen, islamistische Gotteskrieger, ja sogar die nationalsozialistische Götterdämmerung zusammen, ein ebenso waghalsiges wie sinnfälliges Gedankenexperiment. Nicht die historischen Unterschiede – sie liegen ohnehin auf der Hand - interessieren ihn, sondern die Gemeinsamkeiten einer Anti-Politik der Selbstvernichtung.
Diese anthropologische Dimension exzessiver Gewalt pflegen wohlmeinende Zeitgenossen meist zu übersehen. Immerzu suchen sie nach sozialen Ungerechtigkeiten, biographischen Irrwegen oder religiösen Dunkelmännern. Aber kein soziales Entwicklungsprogramm wird den Sprengsatz entschärfen. Die Zündschnur der Ideologie ist austauschbar, Herkunft und Organisationsformen wechseln, aber stets ist es dasselbe Syndrom:
"… die gleiche Verzweiflung über das eigene Versagen, die gleiche Suche nach Sündenböcken, der gleiche Realitätsverlust, das gleiche Rachebedürfnis, der gleiche Männlichkeitswahn, das gleiche kompensatorische Überlegenheitsgefühl, die Fusion von Zerstörung und Selbstzerstörung und der zwanghafte Wunsch, durch die Eskalation des Schreckens Herr über das Leben der anderen und über den eigenen Tod zu werden."
Der radikale Verlierer bricht mit dem Prinzip der Selbsterhaltung. Vom normalen Verlierer, der sich hierzulande als Prügler und Totschläger zu betätigen pflegt, unterscheidet er sich durch den Mut zur Selbstzerstörung. Er will nicht nur andere zugrunde richten, zuletzt will er sich selbst richten. Daher ist er durch keine Drohung abzuschrecken und durch keine Strafe zu bessern.
"Der radikale Verlierer kennt keine Konfliktlösung, keinen Kompromiß, der ihn in ein normales Interessengeflecht verwickeln und seine destruktive Energie entschärfen könnte. Je aussichtloser sein Projekt, desto fanatischer hält er an ihm fest."
Einmal mehr erweist sich Enzensberger als Altmeister illusionsloser Zeitdiagnose. Während alle Welt vom Dialog der Religionen phantasiert, fällt sein Urteil über den Niedergang der islamischen Kultur niederschmetternd aus. Jede zweite arabische Frau kann weder lesen noch schreiben. Die Gewalt in der Ehe unterliegt keinerlei Strafen. Korruption, Patronage, Stammesfehden sind in vielen Ländern endemisch. Qualifizierte Absolventen verlassen die Region Richtung Westen. Kollektiver Hochmut und sentimentaler Stolz stehen in krassem Missverhältnis zum dürftigen wirtschaftlichen und intellektuellen Leistungsvermögen. Auf nahezu allen Gebieten ist man vom so verhassten wie bewunderten Westen abhängig.
Nicht die fehlende Aufklärung im Islam ist zu beklagen, sondern der fehlende Sinn für das sittliche Grundgebot jeder Kultur: die Regel der Gegenseitigkeit. In der islamischen Verliererkultur gilt: Was du nicht willst, dass man dir tu', das füge stets dem andern zu.
"Die Beleidigung Andersdenkender gehört zum Standardrepertoire islamischer Medien. Der Bau von Moscheen auf der ganzen Welt wird als unveräußerliches Recht in Anspruch genommen; der Bau von christlichen Kirchen ist in vielen arabischen Ländern undenkbar. Die Glaubenspropaganda der Muslime ist heiliges Gebot, die Mission anderer Religionen ein Verbrechen ... Mit der Miene der gekränkten Unschuld fordern Haßprediger die Meinungsfreiheit ein, die abzuschaffen ihr erklärtes Ziel ist."
Gewiss sind nicht alle Muslime radikale Verlierer, und nicht alle Verlierer sind Muslime. Aber die Schreckensmänner gehören keineswegs zu den Entrechteten dieser Erde. Zwar fühlen sie sich im Recht, weil immer die anderen schuld sind: die Großkonzerne, die Amerikaner, die Juden, die Ausländer. Doch das projektive Wehgeheul überdeckt nur den Selbsthass, der sich am Ende gegen alles wendet. Es ist das höchste Ziel des Verlierers, möglichst viele andere ebenfalls zu Verlierern zu machen. Diese tödliche Gefahr stellt Enzensbergers ebenso brillanter wie brisanter Essay mit aller gebotenen Klarheit vor Augen.
Hans Magnus Enzensberger: Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
"Der Anlaß, der die Explosion auslöst, ist meistens völlig nebensächlich. Denn der Gewalttäter ist, was seine Regungen angeht, extrem dünnhäutig. Um ihn zu kränken, genügt ein Blick oder ein Witz.(...) Ein Nörgeln der Ehefrau vielleicht, die zu laute Musik nebenan, ein Wirtshausstreit, oder die Bank hat den Kredit gekündigt. Die abfällige Bemerkung eines Vorgesetzten genügt, und der Mann steigt auf einen Turm und zielt auf alles, was sich vor dem Supermarkt bewegt, nicht obwohl, sondern weil das Massaker sein eigenes Ende beschleunigen wird."
Der radikale Verlierer, dem Hans Magnus Enzensberger seinen jüngsten Essay gewidmet hat, lebt überall. Man findet ihn am Tresen in der Dorfkneipe, in Banken und Büros, in Gymnasien und Universitäten, Koranschulen und Moscheen. Als Sozialfigur ist er an keine Zeit und kein Milieu gebunden, doch wenn er eine Heimat unter Seinesgleichen findet, vervielfacht sich seine destruktive Energie.
Vor Jahrzehnten schlossen sich Verlierer vielerorts zu bewaffneten Zellen oder Horden zusammen, tauften sich Rote Brigaden oder nationale Befreiungsfront, entführten Flugzeuge, Manager oder Politiker und gaben sich als Speerspitze einer antiimperialistischen Bewegung aus. Heutige Schreckensmänner bewegen sich in lockeren Netzwerken, legen Bomben in Restaurants oder U-Bahn-Stationen und sprengen sich irgendwann selbst in die Luft.
"Einerseits erlebt der Verlierer im Moment seiner Explosion eine einmalige Machtfülle. Seine Tat ermöglicht es ihm, über andere zu triumphieren, indem er sie vernichtet. Andererseits trägt er der Kehrseite dieses Machtgefühls, dem Verdacht, daß sein Dasein wertlos sein könnte, dadurch Rechnung, daß er ihm ein Ende macht."
Enzensberger denkt jugendliche Amokläufer, leninistische Terroristen, islamistische Gotteskrieger, ja sogar die nationalsozialistische Götterdämmerung zusammen, ein ebenso waghalsiges wie sinnfälliges Gedankenexperiment. Nicht die historischen Unterschiede – sie liegen ohnehin auf der Hand - interessieren ihn, sondern die Gemeinsamkeiten einer Anti-Politik der Selbstvernichtung.
Diese anthropologische Dimension exzessiver Gewalt pflegen wohlmeinende Zeitgenossen meist zu übersehen. Immerzu suchen sie nach sozialen Ungerechtigkeiten, biographischen Irrwegen oder religiösen Dunkelmännern. Aber kein soziales Entwicklungsprogramm wird den Sprengsatz entschärfen. Die Zündschnur der Ideologie ist austauschbar, Herkunft und Organisationsformen wechseln, aber stets ist es dasselbe Syndrom:
"… die gleiche Verzweiflung über das eigene Versagen, die gleiche Suche nach Sündenböcken, der gleiche Realitätsverlust, das gleiche Rachebedürfnis, der gleiche Männlichkeitswahn, das gleiche kompensatorische Überlegenheitsgefühl, die Fusion von Zerstörung und Selbstzerstörung und der zwanghafte Wunsch, durch die Eskalation des Schreckens Herr über das Leben der anderen und über den eigenen Tod zu werden."
Der radikale Verlierer bricht mit dem Prinzip der Selbsterhaltung. Vom normalen Verlierer, der sich hierzulande als Prügler und Totschläger zu betätigen pflegt, unterscheidet er sich durch den Mut zur Selbstzerstörung. Er will nicht nur andere zugrunde richten, zuletzt will er sich selbst richten. Daher ist er durch keine Drohung abzuschrecken und durch keine Strafe zu bessern.
"Der radikale Verlierer kennt keine Konfliktlösung, keinen Kompromiß, der ihn in ein normales Interessengeflecht verwickeln und seine destruktive Energie entschärfen könnte. Je aussichtloser sein Projekt, desto fanatischer hält er an ihm fest."
Einmal mehr erweist sich Enzensberger als Altmeister illusionsloser Zeitdiagnose. Während alle Welt vom Dialog der Religionen phantasiert, fällt sein Urteil über den Niedergang der islamischen Kultur niederschmetternd aus. Jede zweite arabische Frau kann weder lesen noch schreiben. Die Gewalt in der Ehe unterliegt keinerlei Strafen. Korruption, Patronage, Stammesfehden sind in vielen Ländern endemisch. Qualifizierte Absolventen verlassen die Region Richtung Westen. Kollektiver Hochmut und sentimentaler Stolz stehen in krassem Missverhältnis zum dürftigen wirtschaftlichen und intellektuellen Leistungsvermögen. Auf nahezu allen Gebieten ist man vom so verhassten wie bewunderten Westen abhängig.
Nicht die fehlende Aufklärung im Islam ist zu beklagen, sondern der fehlende Sinn für das sittliche Grundgebot jeder Kultur: die Regel der Gegenseitigkeit. In der islamischen Verliererkultur gilt: Was du nicht willst, dass man dir tu', das füge stets dem andern zu.
"Die Beleidigung Andersdenkender gehört zum Standardrepertoire islamischer Medien. Der Bau von Moscheen auf der ganzen Welt wird als unveräußerliches Recht in Anspruch genommen; der Bau von christlichen Kirchen ist in vielen arabischen Ländern undenkbar. Die Glaubenspropaganda der Muslime ist heiliges Gebot, die Mission anderer Religionen ein Verbrechen ... Mit der Miene der gekränkten Unschuld fordern Haßprediger die Meinungsfreiheit ein, die abzuschaffen ihr erklärtes Ziel ist."
Gewiss sind nicht alle Muslime radikale Verlierer, und nicht alle Verlierer sind Muslime. Aber die Schreckensmänner gehören keineswegs zu den Entrechteten dieser Erde. Zwar fühlen sie sich im Recht, weil immer die anderen schuld sind: die Großkonzerne, die Amerikaner, die Juden, die Ausländer. Doch das projektive Wehgeheul überdeckt nur den Selbsthass, der sich am Ende gegen alles wendet. Es ist das höchste Ziel des Verlierers, möglichst viele andere ebenfalls zu Verlierern zu machen. Diese tödliche Gefahr stellt Enzensbergers ebenso brillanter wie brisanter Essay mit aller gebotenen Klarheit vor Augen.
Hans Magnus Enzensberger: Schreckens Männer. Versuch über den radikalen Verlierer
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006