"Er war kein Freund der Menschen"

Moderation: Liane von Billerbeck |
"Seine Fluchtbewegungen vor den Zeitgenossen" sei wahrscheinlich die Voraussetzung dafür gewesen, "mit gleichmäßig wohlwollendem Hass auf alle Bevölkerungsgruppen zu schauen". So charakterisiert der Sänger und Pianist Götz Alsmann den Dichter und Zeichner Wilhelm Busch, der am Sonntag vor 175 Jahren geboren wurde.
Liane von Billerbeck: Er hatte es mit Bleistiften, wirklich, nicht nur zum Zeichnen, das wäre ja banal. Wilhelm Busch, am Sonntag ist sein 175. Geburtstag, der Vater des Comic hat die Dinge als Mordinstrumente eingesetzt. Ein Kunstkritiker namens Dr. Hinterstich erwischte es mit einem – Achtung Schleichwerbung – Faber Bleistift Numero fünf. Und auch ein Liebespaar ging über den Jordan, weil er Männer, sage ich nur, einen Bleistift, der an zwei Seiten angespitzt war, bei der Umarmung benutzte. Über derlei Übeltätereien bei Wilhelm Busch wollen wir jetzt mit Götz Alsmann sprechen. Der Entertainer, Radiomoderator, Sänger, Pianist, Musikwissenschaftler, kurz: der Medienmulti, wie ihn unserer Rezensentin mal nannte, hat kürzlich mit Otto Sander eine Wilhelm Busch Hör-CD herausgebracht. Tag, Herr Alsmann.

Götz Alsmann: Schönen guten Tag, Frau von Billerbeck.

Von Billerbeck: Sie wissen vermutlich alles über Busch, aber wussten Sie auch, dass Wilhelm Busch den Solidarbeitrag erfunden hat?

Alsmann: Das wusste ich nicht.

Von Billerbeck: "Männer, die nicht nachweisen können, dass sie sich nur zum Wohle des Vaterlandes verheiratet haben, müssen einen Solidarbeitrag zahlen. Den Ertrag kriegen die alten Junggesellen, damit sie auch eine Freude haben."

Alsmann: Das passt zu seinem Bild als nicht nur Menschen- sondern auch Musikhasser.

Von Billerbeck: Da erzählen Sie uns jetzt mal was Neues, bitte.

Alsmann: Er war kein Freund der Zeitgenossen, er war überhaupt kein Freund der Menschen. Er lebte am liebsten für sich alleine und erst im Ater, als ihn eine gewisse Altersmilde ankam, da hat er sich wenigstens mit seinen Nichten, Neffen, Großnichten, Großneffen gut gestellt. Ansonsten war er ständig auf der Flucht vor allen Menschen, und das schloss auch ihn selbst ein.

Von Billerbeck: Er war also misstrauisch und skeptisch. Ich vermute, das unterscheidet Alsmann und Busch. Außerdem sind Sie verheiratet, wenn ich mich nicht täusche, und er war es nie.

Alsmann: Genau.

Von Billerbeck: Was unterscheidet Sie noch?

Alsmann: Er kann gut zeichnen. Und ich glaube, dass er jemand war, der stets nach seinen eigenen Maßstäben lebte. Er hatte ja zum Beispiel in München, wo er dann ansässig war, sich irgendwann mal im Stadium des Vollrausches eine Wirtshausklopperei geleistet mit Freunden, das ihn so beschämt hat, dass er beschloss, nie wieder einen Fuß in die Stadt zu setzen und über Nacht mit all seinen Habseligkeiten auf Nimmerwiedersehen abreiste.

Von Billerbeck: Haben Sie so etwas auch schon mal gemacht?

Alsmann: Nicht, dass ich es wüsste.

Von Billerbeck: Das ist das Problem vermutlich.

Alsmann: Ich kann mich nicht erinnern. Aber in der Tat, seine Fluchtbewegungen vor den Zeitgenossen haben ihn wahrscheinlich überhaupt erst befähigt, das zu tun, was er machte, nämlich mit gleichmäßig wohlwollendem Hass auf alle Bevölkerungsgruppen, alle Berufsgruppen und alle Altersgruppen zu schauen.

Von Billerbeck: Wann und wie sind Sie denn zu Wilhelm Busch gekommen? Oder umgekehrt, wie kam Wilhelm Busch zu Ihnen?

Alsmann: Nun, natürlich gibt es diese Kindererfahrungen. Viele mögen sich erinnern an diese unglaublich dicke zweibändige Ausgabe, die 1960 vom Bertelsmann Lesering herausgebracht wurde.

Von Billerbeck: 1959, wenn ich Sie korrigieren darf.

Alsmann: Oder so, na ja, damals konnten wir uns das nicht leisten, aber 1960 lachte meiner Familie das Glück und wir leisteten uns dieses Ding. Das wurde versehen mit einem Vorwort von Theodor Heuss. Da wusste man schon im Vorfeld, Achtung, das ist ein wichtiger Künstler. Dann wurde mir so oft Max und Moritz vorgelesen, bis ich es auswendig konnte. Fips der Affe kam dazu, das ganze wurde immer blutrünstiger, dunkler und gemeiner, bis mein Großvater irgendwann das Buch wegschloss und sagte, das reicht jetzt, der Rest ist nichts für Kinder.

Von Billerbeck: Aha, und was war der Rest, den Sie dann später gelesen haben?

Alsmann: Der Rest war auch nicht immer unbedingt das Beste. Aber da waren natürlich pralle weibliche Formen zu sehen und Männer, die selbstvergessen in denselben herumwühlten.

Von Billerbeck: Haben Sie diese Ausgabe von damals noch, oder ist die verschütt gegangen?

Alsmann: Nein, die hat mir mein Vater aus Anlass der Hörbuchproduktion mit großem Schisslaweng zum Geschenk gemacht.

Von Billerbeck: Otto Sander, Ihr Partner auf der Hörbuch-CD, der ist in seiner Jugend mal wegen ungebührlichen Verhaltens von der Schauspielschule geflogen. Haben Sie sich in Ihrer Kindheit oder Jugend auch so etwas geleistet?

Alsmann: Nein, ich habe nie eine Schauspielschule besucht.

Von Billerbeck: Es muss ja nicht die Schauspielschule sein.

Alsmann: Schade, ich dachte, auf diese Weise komme ich um eine schöne Antwort herum. Nein, ich bin nie von der Schule geflogen. Ich war eigentlich ein sehr braver Junge. Das merkt man auch heute noch, finde ich.

Von Billerbeck: Ja, das kann ich bestätigen.

Alsmann: Aber, apropos Otto Sander, auf den geht die Idee für diese Projekt zurück. Wir haben vor längerer Zeit in Köln eine gemeinsame Veranstaltung gehabt aus Anlass der jährlichen LitCologne. Und ein paar Tage später hatte ich ihn auf dem Anrufbeantworter und er sagte mit dieser typischen Otto Sander stimme: "Otto Sander, Berlin. Ich hab mir das noch mal im Fernsehen angeguckt. Das war großartig. Ich hör auf mit der Scheiße, es sei denn, wir machen was zusammen. Ich plädiere für Wilhelm Busch." Und es stellte sich nämlich heraus, dass er vor vielen, vielen, vielen Jahren ein Tourneeprogramm hatte mit Wilhelm-Busch-Texten. Und er glaubte, dass noch irgendwo grifffertig im Regal zu haben. Das war dann aber nicht ganz so, und es musste noch mal neu sortiert und gemacht werden, was vielleicht auch ganz gut war und einen neuen Blick auf die Sache möglich machte. So sind wir durch seine Initiative überhaupt dazu gekommen, dieses Hörbuch einzulesen.

Von Billerbeck: Jungs von heute, so wissen wir das aus einer der vielen schlauen Studien, die Lesen immer weniger. Ist Wilhelm Busch in Zeiten von PISA-Studie und Koma-Trinken, sie können jetzt ein Antwort wählen, noch aktuell, aktueller denn je oder von der Aktualität überholt worden?

Alsmann: Ich fürchte schon, dass er von der Realität überholt wurde. Aber es ist andererseits auch etwas in seinem Werk, was auch letzten Endes aktueller ist als so irgendeine nostalgische Bildfolge. Sie sagten vorhin, er war der Vater des Comicstrip. Das ist ja nicht ganz falsch und es gibt noch viele andere Väter des Comicstrip. Aus seinen Bildern und seinen Texten kann man den meisten Spaß herausziehen. Wenn ich frühe amerikanische Comics nehme, wie Nemo in Slumberland zum Beispiel, die sind wirklich nur noch Nostalgie, die haben nicht den Pepp und den Sprachwitz, den Wilhelm Busch hatte. Von daher, ich weiß nicht, ob er heute noch unsere Welt aus den Angeln hebt, aber wenn man sich informieren will über einen der großen deutschsprachigen Humoristen und Zeichner, dann steht er immer noch ganz weit vorne.

Von Billerbeck: Unglückliche Todesfälle, ich hatte es am Anfang ja erzählt, gibt es bei Busch einige. Das Liebespaar, das sich beim Küssen aus Versehen mit dem doppelseitig gespitzten Bleistift ersticht…

Alsmann: Schreckliche Geschichte.

Von Billerbeck: Hans Huckebein erhängt sich auch aus Versehen. Auch das Ende von Max und Moritz ist einigermaßen phantastisch, "hier kann man sie noch erblicken, fein geschroten und in Stücken" bekanntlich. Woher der Hang zum Morden bei Busch?

Alsmann: Na ja, ich nehme an, das hängt schon mit seiner sehr ländlichen Herkunft zusammen. Das hängt damit zusammen, dass Leute, die zwischen Misthaufen und Mühlsteinen aufgewachsen sind im 19. Jahrhundert, einfach dem Leben einen etwas derberen Aspekt abgewinnen konnten. Da war er wahrscheinlich gut zu Hause. Und seine Auslandsaufenthalte haben hauptsächlich mit Belgien zu tun und auch die Belgier waren damals sicherlich etwas grobmotorischer als heute.

Von Billerbeck: Außerdem ist er ja mit neun Jahren weggegeben worden zu einem Onkel, weil schlicht zu Hause nicht genug Platz war. Vielleicht lag das auch daran, dass er nie eine Familie gegründet hat. Busch foltert ja auch gerne, jedenfalls verbal. Da gibt es einige nette Instrumente in seinen Zeichnungen. Kräuselzangen, Bügeleisen, Tintenfedern, Tapetenscheren und die bekannten Bleistifte – was denken Sie, was steckt dahinter?

Alsmann: Bei den Bleistiften war es sicherlich eine selbstreferenzielle Sache. Busch war ja als Künstler quasi gescheitert, all die vielen schönen Gemälde, die man heute in Bildbänden von ihm sehen kann, waren ja damals geheim gehaltene Kunstwerke. Er hat ja zeitlebens nicht ein einziges Gemälde nicht nur nicht verkauft, sondern auch seinen Kollegen gezeigt. Er hat das alles ganz geheim gehalten und trieb sich viele Jahre als armer Schlucker in Münchner Künstlerkneipen rum und karikierte auf Bierdeckeln seine Zechkumpanen. Dass er damit Geld verdiente, das machte ihn sicherlich froh. Aber der frustrierte Ölmaler, der frustrierte Produzent großer, mächtiger Schinken, der war sicherlich immer noch unterschwellig enttäuscht in ihm vorhanden und so benutzte er dann sicherlich den Bleistift, um Zeitgenossen wenigstens dann richtig fertig zu machen. Ich glaube, da wollte er sich …. Aber er sagt ja in dieser Liebesgeschichte, was erstens zwar gefährlich war, aber dann auch noch obendrein vollkommen unnötig ist. Also wahrscheinlich doch ein liebevoller Blick, den er sich selbst gönnte, den er den anderen vielleicht nicht immer zukommen lassen wollte.

Von Billerbeck: Das Lieblingstier von Wilhelm Busch war welches?

Alsmann: Na, war es der Affe, war es der Hund, war es das Brathähnchen?

Von Billerbeck: Nein, Herr Alsmann, es war der Leuchtkäfer. "Johanneswürmchen freut uns sehr, der Jaguar weit weniger." Was ist ihr Lieblingstier?

Alsmann: Mein Lieblingstier ist natürlich der Schabrackentapier.

Von Billerbeck: Das zu den Unterschieden. Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen Wilhelm Busch und Götz Alsmann?

Alsmann: Ich glaube, ich bin ähnlich wie Busch, jedoch nicht in der gleichen Qualität, jemand der Spaß am Spontanreim hat. So mancher Liedertext, der auf der Bühne verschütt geht, muss im Spontanreimverfahren flux neu ersonnen werden, denn das Publikum hat keine Zeit für Auszeiten.

Von Billerbeck: Ich bin ja als Kind mal als Maler Klecksel gegangen und wusste damals wahrscheinlich noch gar nicht, dass das eine Hauptfigur bei Wilhelm Busch ist. Was ist denn Ihre Lieblingsfigur?

Alsmann: Meine Lieblingsfigur ist wahrscheinlich, nein, es ist ganz gewiss, Lehrer Lämpel. "Als er mit Gefühle saß bei seinem Orgelspiele". Das ist der einzige Musiker im gesamten Oeuvre von Wilhelm Busch, der gut wegkommt. Denn Busch war, wie gesagt, ein Musikhasser. Er ging zum Beispiel dort in ein Konzert, wo man auch nur wieder Musik macht, was er sehr, sehr böse in einem seiner Gedichte wiedergibt. Lehrer Lämpel wird eigentlich als positive Identifikationsfigur dargestellt. Es ist ja auch so, dass er einen schlimmen Anschlag übersteht und alles wird heilen, nur die Pfeife, wie wir wissen, hat ihr Teil, aber wer wünscht sich das schon?

Von Billerbeck: Am Sonntag ist Wilhelm Buschs 175. Geburtstag. Angenommen Wilhelm Busch lüde Sie ein, was würden Sie schenken?

Alsmann: Auf jeden Fall keine Schallplatte oder CD. Ich denke, ein schöner Tuschkasten wäre was für ihn.

Von Billerbeck: Wilhelm Busch wäre am Sonntag 175 Jahre alt geworden. Wir sprachen darüber mit dem Entertainer Götz Alsmann, der gemeinsam mit Otto Sander eine Hörbuch-CD herausgebracht hat, "Max und Moritz und andere Lieblingswerke" von Wilhelm Busch. Herr Alsmann, ich danke Ihnen.

Alsmann: Gerne.