"Er war ein Kämpfer"

Moderation: Ulrike Timm · 05.04.2013
Er gehörte zu den prägendsten Schauspielern am Deutschen Theater in Berlin, jetzt ist Sven Lehmann im Alter von nur 47 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Intendant Ulrich Khuon beschreibt ihn als einen kraftvollen und zugleich auch einsamen Menschen.
Ulrike Timm: Am Deutschen Theater in Berlin herrscht Trauer, und nicht nur dort. Sven Lehmann ist gestorben, ein prägender Schauspieler im Ensemble des Deutschen Theaters. Sein Mephisto im "Faust", seinen Prinzen aus Lessings "Emilia Galotti" vergisst nicht, wer ihn in diesen Rollen erlebt hat. Aber auch in Film und Fernsehen wurde Sven Lehmann bekannt, zuletzt gemeinsam mit Jan Josef Liefers und Anna Loos in "Nacht über Berlin". Sven Lehmann wurde nur 47 Jahre alt, er starb nach langer Krankheit.

Wir wollen ihn gleich im Gespräch mit Ulrich Khuon, dem Intendanten des Deutschen Theaters würdigen, hören aber erst noch einmal die ganze Bandbreite der Stimme von Sven Lehmann, die er auch zeigte in einem Kriminalhörspiel hier für unser Haus, als er den Kommissar gab, einen ganz resoluten und hintersinnigen Kommissar.

(Einspielung Lehmann-Hörspiel)

Ulrike Timm: Die Stimme von Sven Lehmann. Mit gerade mal 47 Jahren ist der Schauspieler gestorben, nach langer Krankheit in Berlin. Wir würdigen ihn im Gespräch mit dem Intendanten des Deutschen Theaters, mit Ulrich Khuon. Herr Khuon, ich grüße Sie!

Ulrich Khuon: Hallo, guten Tag!

Timm: Aus der Mitteilung Ihres Hauses spricht ganz große Bestürzung. Lehmann war gerade 47, sehr lange krank. Welche Bilder, welche Szenen haben Sie vor dem inneren Auge, wenn Sie an diesen Schauspieler denken?

Khuon: Ja, man hat Szenen ähnlich wie Sie vor Augen. In den Figuren, oder man sieht ihn in den Figuren, die er gespielt hat, den Wagin zuletzt in "Kinder der Sonne", den Theiresias in "Ödipus Stadt", aber natürlich auch die ganz großen Figuren, die "Ratten", da hat er den Maurer John gespielt. Aber man hat natürlich auch sehr private Bilder vor Augen. Wir haben uns ja – er war lange krank und er hat gegen diese Krankheit im Grunde auch auf der Bühne oder im Theater gekämpft, weil das Theater, glaube ich, so eine Art Lebenszentrum und vielleicht auch so ein Glücks- oder mögliches Glücksreservat war. Man hat ihn auch vor Augen, er hat einen ganz bestimmten Ort in der Kantine gehabt, das war sein Ort, und wenn er da war, saß er immer da. Also das war dieses Haus und die Gemeinschaft des Hauses war vielleicht auch eine Art, also die Kantine war eine Art Wohnzimmer, wenn man so will, und die Bühne dann das Arbeitszimmer.

Und mir ist natürlich auch vor Augen unsere Gespräche, wenn es ihm schlechter ging oder wenn Proben weniger möglich waren und man trotzdem darum gekämpft hat, die Vorstellungen zu halten. Mussten dann einzelne Figuren auch umbesetzen. Aber es war immer wieder diese Begegnung und, ja, er war ein Kämpfer. Also, er hat da nicht klein beigeben können und wollen und hat auch nicht klein beigegeben. Er hat die Krankheit, so gut es irgendwie ging, im Grunde immer umgewendet in eine Art Produktivität.

Timm: Die Stimme haben wir eben noch mal gehört. Sven Lehmann war aber auch ein sehr körperlicher Schauspieler. Gar nicht besonders groß, auch gar nicht optisch besonders auffällig, aber mit unglaublicher Bühnenpräsenz. Aus welchem Kern heraus hat sich diese Bühnenpräsenz entfaltet, aus welchem menschlichen Kern?

Khuon: Ja, er war ja auch ein großartiger Sportler, also das heißt, er hat schon gewusst, was in seinem Körper steckt und was dieser Körper praktisch an Eindruck produzieren kann und an Spannkraft produzieren kann. Und aber das, was man ja so schwer beschreiben kann, was aber im Grunde jeder Laie und jeder Profi so ähnlich merkt, ist so was wie Aura. Also wenn Sven Lehmann wie viele andere große Schauspieler auf der Bühne oder auch im Raum stand, hat er einfach eine Aura gehabt, eine Verdrängung, eine Persönlichkeit, die jenseits des Handwerklichen und all dessen, was er konnte – sprechen konnte, spielen konnte, einfach ihm Raum gab.

Er war sicher keine in erster Linie zerbrechliche Figur oder kein zerbrechlicher Mensch oder kein Nervenschauspieler auf der ersten Ebene, sondern auf der ersten Ebene eher ein kräftiger, früher hätte man auch gesagt, so eine proletarische Figur, die in so einer Figur oder in einer Rolle wie in den "Ratten" vielleicht noch am ehesten zu sich gefunden hat oder auch in den "Webern", aber auch auf der anderen Seite, Sie haben es angesprochen, als Prinz in "Emilia Galotti" dann auch Strahlkraft hatte, oder als Mephisto im "Faust". Aber grundsätzlich würde ich sagen, eine große Direktheit, eine Versammeltheit, eine Geradlinigkeit, Kraft. Und hinter dieser Kraft dann doch so etwas wie vielleicht auch Einsamkeit, also, die wir ja alle irgendwie haben, aber die man mehr oder weniger verbergen kann oder mehr oder weniger in so einer Gemeinschaftsfähigkeit dann wieder auflösen kann.

Timm: Sein wichtigster Regiepartner in den letzten Jahren war Michael Thalheimer, ein Regisseur, der den Text gern auf seine Struktur abklopft, sehr reduziert, minutenlang manchmal gestisch spielen lässt. Inwiefern waren die beiden, Sven Lehmann und Michael Thalheimer wichtig füreinander? Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?

Khuon: Ich glaube, sie haben zunächst mal menschlich zusammengepasst, weil sie beide auch konfliktfähig sind, weil sie beide auch rabiat streiten können. Sven Lehmann hat das auch beschrieben, die erste Begegnung war ja "Emilia Galotti", und es war nicht so, dass da eine Liebe auf den ersten Blick war oder Verstehen auf den ersten Blick. Das ging durch viele Konflikte hindurch. Beide suchten das aber auch, und beide haben eine große Rabiatheit, wenn es ums Streiten geht. Und beide haben aber auch hinter dieser rabiaten Konfliktfähigkeit eine große Sensibilität, und zwar nicht nur für die eigenen Gefühle, sondern eben auch für das, was in anderen Menschen vorgeht.

Thalheimer ist ja einerseits sehr radikal und, wie Sie sagen, sehr konzentriert, also immer auf so ein Extrakt aus, aber auch auf eine Deutlichkeit und Radikalität aus, und Sven Lehmann suchte das oder war praktisch als Schauspieler wie eine Antwort auf dieses Bedürfnis des Regisseurs. Der hält eben auch sowohl die Stille aus, das Nur-Da-Stehen, und auf der anderen Seite aber auch den Bewegungsmarathon. Also, bei Thalheimer schlägt das ja immer von einem ins andere um. Minutenlang kann gar nichts passieren oder nur ein ganz schneller Text oder nur ein Ausbruch, und dann ist plötzlich so eine fast hysterische Bewegungsorgie dran. Und für all das hat, glaube ich, Sven Lehmann eine gute Ader gehabt. Aber wichtig ist auch das Menschliche, wie man mit Konflikten und auch mit der Gemeinsamkeit umgeht.

Timm: Wir sprechen mit Ulrich Khuon, wir würdigen den Schauspieler Sven Lehmann, der mit 47 Jahren gestorben ist. Herr Khuon, die "Emilia Galotti", die ging ja um die ganze Welt, die Inszenierung. Und wichtig ist auch diese "Faust"-Inszenierung für Sven Lehmann gewesen, da gab es eine Szene, da lehnt der Mephisto, den er gespielt hat, den Kopf ganz kurz an die Brust vom Faust und schnuppert an ihm wie ein Tier. Da war so viel Sehnsucht drin in so einer Geste. Ich armer Teufel, ich will gar nicht gewinnen, ich will dazugehören, ein bisschen Wärme abkriegen. Das sind nur ein paar Sekunden, aber in diesen Sekunden bannte sich das ganze Stück in ein Bild. Wie wurden solche Szenen eigentlich gefunden? Von Sven Lehmann, von Michael Thalheimer, im Team, entstand das? Wie hat er gearbeitet an so einer Szene, über die hinterher alle sprachen?

Khuon: Ja, im Grunde haben Sie in dieser Szene was szenisch beschrieben, was ich versucht habe, abstrakter zu beschreiben. Und das ist ganz schön, wenn Sie es jetzt so konkret sagen. Also dass plötzlich so eine Zartheit, eine Zärtlichkeit, eine Verletzbarkeit, eine Einsamkeit in einer Figur, die an und für sich ja eine Aggressivität und eine Deutlichkeit, auch so eine Führungsposition hat in dieser Beziehung, wie das plötzlich so durchscheint. Und das meine ich eben, das ist schon auch eine Fähigkeit von Thalheimer, diese – den man ja auch oft von der anderen Seite her beschreibt, von der Deutlichkeit, von der Krassheit her, von der Lautstärke her, und das ist eine große Fähigkeit, die sicher im Idealfall, und bei Sven und Michael Thalheimer war das sicher auch so, die sich ausbalancierte. Da kann man dann nicht sagen, da hat immer der eine die Ideen oder immer der andere. Vieles entsteht durch den Prozess hindurch, aber Thalheimer hat da schon ein sehr, sehr genaues Gespür, was hinter den neurotischen, psychotischen oder auch ganz normalen Äußerungsformen von Menschen, was so dahinter lauert. Und er hat auch eine Fantasie dafür …

Timm: Und Sie kennen natürlich vor allen Dingen den Bühnenmenschen, wir kennen hier im Hause auch den Stimmenmenschen Sven Lehmann sehr gut, der viele unserer "Wurfsendungen" bereichert hat, Hörspiele – wissen Sie, wie wichtig ihm die Reduktion auf die Stimme war?

Khuon: Ich glaube, die war ihm sehr wichtig. Also, er wusste auch genau, was er für eine tragende Stimme hatte oder für eine krasse Stimme. Oder wie, die hat ja auch so ein Timbre gehabt, und ich weiß noch, wo wir irgendwann mal in irgendeiner Stimmführung wurde ihm gesagt, er solle doch mal ein bisschen weniger machen oder ein bisschen zurücknehmen, und dann hat er zu mir, irgendwie in einem anderen Zusammenhang, ein paar Minuten später gesagt, und ich mach das mit der Stimme! Also quasi, er lässt sich jetzt die Stimme nicht verbieten.

Timm: Ulrich Khuon, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, alles Gute fürs Deutsche Theater ohne einen wichtigen Kollegen. Wir würdigten Sven Lehmann, der mit 47 Jahren gestorben ist.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ulrich Khuon, Intendant am Deutschen Theater in Berlin
Ulrich Khuon, Intendant am Deutschen Theater in Berlin© picture alliance / dpa / Jens Kalaene