Er liebt die Lippen der Schauspielerinnen

Von Christoph Richter |
Es gibt sie kaum noch: die Kinoplakatmaler. Ein aussterbender Beruf. Götz Valien ist einer der Letzten seiner Zunft. In einem Berliner Hinterhof bemalt er riesige Filmleinwände, Flächen, die 80 Quadratmeter groß sind und damit die Größe einer durchschnittlichen Drei-Zimmer-Wohnung haben.
Götz Valien: " (Lacht) An Schauspielerinnen liebe ich die Lippen. Natürlich. Und die Augen. Die sind ja schön geschminkt. Und die Falten sind schön rot. Ich meine, ich mal die Lippen zum Teil riesengroß. Die sind ja manchmal ein Meter, eineinhalb Meter. Das ist schon toll, ihre Glanzpunkte auf ihre Lippen zu malen. Die eigentlich so in der Größe niemand wahrnimmt. Da muss einer schon mit der Lupe rangehen. Man studiert ja die eigene Frau nicht mal so genau. (lacht) Das hat was. Man kann da so einfach träumen. "

Götz Valien ist Künstler. Und Kinomaler. Sein roter Overall ist von oben bis unten mit Farbe beschmiert. Der gebürtige Salzburger steht vor einer Staffelei in einem Berliner Hinterhof und malt an dem Plakat für das Gefängnisdrama "Vier Minuten" von Chris Kraus.

In der einen Hand hält Leinwandmaler Valien den Pinsel, in der anderen - etwas umständlich - die Vorlage. Mit einem prüfenden Blick tritt er immer wieder ein Stück vom Bild zurück, um zu prüfen, ob es auch wirklich so aussieht wie auf dem Plakat.

" Ich muss hier abmalen. Genau. Was aber auch seine Tücken hat. Das ist erstmal sehr körnig. Gut, Körnigkeit kann ich nicht erzeugen. Ich bin kein Pointillist, also ich mein, kein Impressionist. Geht gar nicht. Kann sein, dass das unheimlich dreckig aussieht nachher. Damit könnte ich daneben liegen. Dann ist alles sehr verschwommen. Wenn man das malerisch genauso umsetzt, dann sieht das falsch aus. Das heißt, ich muss jetzt irgendwie ein Kompromiss finden, dass richtig zu machen. Da ist schon was eigenes drin, wenn auch nicht wirklich. "

Während viele seiner Kollegen die Nase rümpfen, hat das für Götz Valien nichts Verwerfliches: Filmplakate nach Vorlagen zu malen.

Die Auftragslage für ihn als Künstler war Anfang der 90er Jahre schlecht. Keiner wollte seine Bilder und er brauchte Geld. Irgendwann hat er von dem Job des Leinwandmalens gehört und macht ihn seitdem.

Mit verdreckten Händen dreht sich Götz Valien eine Zigarette. Seine braunen Augen strahlen. Nicht ohne Ironie beschreibt er sich als einen lebenden Drucker. Ein bisschen sehen seine Bilder auch so aus. Fotografisch, fast banal, nähert er sich mit seiner Kunst der Wirklichkeit. Übergenau und hyperrealistisch.

" Im 20. Jahrhundert, sag ich mal, die moderne Kunst bestand ja darin gerade, diese Dinge zu sprengen. Wenn ich irgendwann mal nur Tropfen auf ein Bild drauf mache – ja gut, die kann ich in vielen verschiedenen Varianten machen – ich wusste, dass würde mich nicht genug herausfordern. So gesehen bin ich traditionell. Gibt keinen Fortschritt, indem man hinter sich eine Bombe zündet, und sagt: Ich erfinde jetzt alles anders und neu. Selbst bei Picasso war das so. Wir sehen ja immer noch Bilder. Was ist daran so verkehrt."

Viel Wert legt der 46-Jährige auf eine präzise Maltechnik. Seine Bilder – nicht nur die Filmplakate - sind geprägt von einer fast irritierenden Genauigkeit. Die räumlichen Effekte und die Treue zum Detail sind frappierend. Eine Bildsprache, die sich sehr deutlich an die Malerei seines Lehrers Wolfgang Hutter anlehnt. Einer, der bewusst nicht abstrakt gemalt hat und sich an der technischen Perfektion der Alten Meister orientierte.

" Ich fand mit 17 Dalí ganz gut. Na gut, der war technisch ganz gut. Ich war nicht auf der Picasso-Schiene. Pinsel, zack-wumm, rein in die Farbe und los. Schmieren sag ich jetzt mal. Auch die Impressionisten waren es nicht. Das dicke Gekleckser. Das hat mir nicht gefallen. Mir hat es unheimlich gut gefallen, dass Zwischentöne rauskommen, durch Lasuren, durch Tiefen. Caspar David Friedrich ist eins der Vorbilder. Ein Vater sozusagen."

Die ersten Bilder waren unbekümmerte Abbildungen seiner Umgebung. In einer sehr naiven Art. Eine heile Welt mit betont eingängigen Motiven.

Aufgewachsen in einem Reihenhaus in Salzburg, musste er sich durchboxen. Zuerst gegen seine vier Geschwister, die ihren großen Bruder Götz einfach nicht verstehen, und dann gegen die Widerstände seiner Eltern. Um keinen Preis wollen sie, dass ihr ältester Sohn Malerei studiert. Er soll etwas Praktisches, was Vernünftiges studieren. Zum Beispiel ein technisches Fach. Doch als Götz Valien 1980 an der renommierten Wiener Hochschule für angewandte Kunst einen Studienplatz bekommt, können die Eltern nicht mehr Nein sagen.

" Und da konnte ich meinen Eltern schlicht ergreifend sagen, und da war dann auch ein bisschen stolz bei denen dabei, ich habe als Einziger die Prüfung bestanden. Ich kann nicht sagen, ich geh jetzt nicht rein. Weil, das wäre ein Schlag ins Gesicht. Sie waren dann stolz, weil ich der Einzige war. Und dachten, da muss ja was dran sein. Meine Güte, meine Eltern haben sich jetzt nicht mit Kunst beschäftigt. Naja, und dann haben sie wahrscheinlich gedacht, wie jeder so denkt: Na dann kann er das ja wohl. Und ab dann wurde auch nicht mehr gemeckert. "

Nur für den Vater ist das immer noch kein Argument. Ein Ingenieur und Extrembergsteiger. Vom Ehrgeiz getrieben, duldet er keinen neben sich. Die Malerei empfindet er als brotlose Kunst. Der Sohn: ein Konkurrent, ein Positiv für die eigenen unerfüllten Wünsche.

" Naja, er war schon ein sehr strenger Typ. Er war ne Bastion die man nicht stürmen konnte. Insofern war es ganz gut, dass ich es auf einer Ebene gemacht habe, wo er nicht mitreden kann. Die Latte um ihn zu gefallen, zumal war ich noch der älteste Sohn, lag entsprechend hoch. Also da konnte man nicht mit so ein bisschen Larifari und Charme rumschwuchteln, das hat nicht funktioniert. Ich glaub, er schätzt es jetzt sehr, dass ich das mache. Jetzt ist er älter, jetzt ist er in Rente. Man erfüllt ja sonst nur eine Funktion. Und er sieht, das ich meine Funktion – jetzt nehm ich mal die Kinomalerei, oder meine soziale Funktion als Vater, das erfüll ich ja alles. Ich denke, das ist was grundsätzlich gutes. "

Es war ein langer, schwieriger Prozess der Anerkennung. Als die ersten Ausstellungen kamen und sich die Bilder einfach so verkauften – mittlerweile werden sie zwischen 10 und 15.000 Euro gehandelt – erst seitdem schaut der Vater seinen ältesten Sohn mit Respekt und verschämter Bewunderung an.

Trotzdem verzweifelt Künstler Götz Valien an der Nähe zum Elternhaus, an der Enge Österreichs. Er muss weg. 1986 zieht er deshalb in die für ihn pulsierendste Stadt Europas. Berlin! Und hier trifft er sie. Seelenverwandte! Maler, Filmemacher, Musiker. Lebenskünstler, die etwas ausprobieren, ohne auf Konventionen zu achten.
Hier ist er geblieben. Hängengeblieben. Und malt. Bis heute. Einerseits Bilder, die er in Ausstellungen zeigt, und deren Stil er stolz ’Virtuellen Realismus’ nennt. Andererseits Kinoplakate, die vor allem Geld bringen – für ihn, seine Frau und seine beiden Kinder.

Sharon Stone, Leonardo di Caprio oder Juliette Binoche. Kinoplakatmaler Götz Valien kennt sie alle. 1500 Leinwandhelden hat er bis heute gemalt. Manche bereits ein Dutzend Mal.

" David Lynch habe ich immer gerne gemalt, weil ich immer ein David-Lynch-Fan war. Vor Scorsese wird man immer den Hut ziehen. Klar Scorsese! Und wenn’s dann ein Kultfilm wird…oft hängt es damit zusammen. "Amelie" wurde ein Kultfilm, aber es war auch ein kristallklares Plakat mit dem grünen Hintergrund. Die war zum Beispiel toll. Mit diesen roten Lippen, diesen klaren schwarzen Augen. Das war ein wunderbares Plakat. Genauso war der Film. Ich hab es ja gemalt, bevor der Film anlief, wusste ja nicht, dass es so ein Film werden würde – und er wurde genauso wie das Plakat war."

Vier bis sechs Stunden braucht der Mittvierziger Götz Valien ungefähr für ein Bild der mittleren Größe von 40 Quadratmetern. Aber auch 100 Quadratmeter stellen ihn vor keine großen Probleme. Die malt er dann einfach stückweise. Das Ganze passiert im grauen Berlin-Reinickendorf. Nur ein kleines Schild an einer Toreinfahrt weist auf die Kino-Plakatmalerei. Die befindet sich in einem heruntergekommenen Schuppen.

" In der Regel fang ich mit den Augen an. Wenn mich die Augen angucken ist schon mal die halbe Miete da. Dann fühlt man sich als Maler angesprochen weiterzumachen. (Lachen) "

Nur an seinem Kunstwerk hängen darf er nicht: Denn die Plakatflächen sind so groß und damit so teuer, dass man sie so oft wie möglich wieder verwendet. Sobald ein Film nicht mehr läuft, wird das Plakat übermalt. Deswegen liebt Götz Valien auch die Flops. Denn je öfter die Filme wechseln, desto öfter bekommt er neue Aufträge, desto voller ist sein Portemonnaie.