"Er legte keinen Wert darauf, im Mittelpunkt zu stehen."

Moderation: Jürgen König · 19.06.2006
Der Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung, hat die Verdienste des Kunstsammlers und Mäzens James Simon (1851-1932) gewürdigt. Der Berliner hatte unter anderem die Büste der Nofretete in die deutsche Hauptstadt geholt. Obwohl Simon viel Geld für Expeditionen und Grabungen gespendet habe, sei er "immer ganz diskret im Hintergrund" geblieben, sagte Wildung.
Jürgen König: Dem Kaufmann und Kunstsammler, dem Mäzen und Wohltäter James Simon soll dieses Gespräch gewidmet sein. Ich begrüße Professor Dietrich Wildung, den Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, das die Ausstellung unterstützt hat, die seit dem Wochenende in der baden-württembergischen Landesvertretung zu sehen ist. Herr Wildung, guten Morgen!

Dietrich Wildung: Einen schönen guten Morgen!

König: Beginnen wir mit einer ganz summarischen Frage: Was für ein Mensch war James Simon?

Wildung: Ich habe James Simon auf der Liste derer, die man gerne persönlich kennengelernt hätte, schon seit langer Zeit auf Nummer 1 gesetzt. Es müsste großartig gewesen sein, mit diesem Mann durch den Tiergarten zu spazieren und seine Vision über bleibende Werte zu hören, und gleichzeitig sich vorzustellen: Mein Gott, dieser Mann könnte auch über seine Geschäfte und über Millionentransaktionen reden. Aber er redet über …, er redet über Rembrandt, er redet über Nofretete oder das alte Mesopotamien. Schade, dass wir zu spät geboren sind.

König: Reden wir dennoch über den Unternehmer Simon. Was hatte er denn, dass er so ein erfolgreicher Unternehmer war?

Wildung: Ich glaube, es war das Glück der historischen Situation und natürlich auch einer gewissen Weitsicht. Er hat zum Beispiel die Lieferschwierigkeiten im internationalen Baumwollhandel in den Vereinigten Staaten durch die Sezessionskriege geschickt ausgenutzt, sich gewaltige Lagerbestände angelegt, und konnte dann in den Jahren, wo niemand mehr liefern konnte, zum siebenfachen Preis die Baumwolle weltweit weiterverkaufen.

Das war unternehmerische Weitsicht, und vielleicht lag es auch daran, dass es ein kleines, von der personellen Besetzung her kleines Familienunternehmen war, wo persönliche Entscheidungen getroffen wurden, wo nicht Aufsichtsräte und Aktionäre entschieden, sondern ein kleiner Kreis innerhalb der Familie, der eine klare Firmenphilosophie hatte.

König: Mit dem Unternehmensgewinn finanzierte James Simon viele Expeditionen und Grabungen in Mesopotamien, Babylon, Ägypten, in Palästina. Woher kam dieser Kunstsinn und was trieb ihn dabei an bei seinem Interesse an den Grabungen?

Wildung: James Simon wäre, das ist durch seine eigenen Äußerungen wunderbar belegt, furchtbar gerne Kunsthistoriker oder Altphilologe geworden. Seine Gymnasialzeit am Grauen Kloster in Berlin war ganz geprägt von seiner Liebe für Latein, für Griechisch, für die alte Geschichte, für die Kunst. Aber - wie in der Zeit üblich - ein wohlerzogener Sohn folgt dem Wunsch des Vaters und tritt in die väterliche Firma ein, geht nach England, schaut sich dort im Baumwollgewerbe um, kommt zurück, wird Juniorpartner und ergreift eine Berufslaufbahn ganz im wirtschaftlichen Bereich - und macht das, was gerne sein Beruf gewesen wäre aus seiner Sicht, zu seinem Hobby.

Ich sage oft auch zu meinen Studentinnen oder Studenten: Überlegt es euch gut, ob ihr eure Liebe für die Kunst wirklich zum Beruf machen wollt. Oder ob ihr mehr Spaß damit habt, wenn ihr einen soliden Job habt und das, was euch wirklich umtreibt, unbeeinflusst von Stellenplänen und dergleichen, aus purer Freude für das Sujet betreiben könnt. Ich glaube, James Simon als Archäologe, als geheimer Generaldirektor der staatlichen Museen zu Berlin, hatte mehr Spaß an der Kunst als Mäzen, als wenn er Museumsbeamter geworden wäre.

König: James Simon hat in jedem Jahr ein Drittel seines Einkommens verschenkt. Er schenkte Berlin ganze Sammlungen, deutsche, niederländische, spanische Malerei, Skulpturen, Kunstgewerbe, zuletzt 1920 die große Amarna-Sammlung mit der Nofretete, die seit 1913 nach einer Fundteilung, so habe ich es gelesen, in seinem Besitz gewesen war. Er muss Berlin sehr geliebt haben.

Wildung: Das kann man wohl sagen. Ich möchte das vor allem mit einem Hinweis unterstreichen, der bislang bei der Beschäftigung mit James Simon eine geringe Rolle gespielt hat: Sie sagen gerade, 1920 stiftet er die Amarna-Sammlung - alles in allem bis zu den ganzen Objekten 5.000 Objekte, nicht nur die großen Spitzen wie Nofretete und Echnaton und so weiter. 1918 stiftet er eine Riesensammlung an die königlichen Museen für die Gemäldegalerie und die Skulpturensammlung. Das sind Zeitpunkte, wo die Firma schon fast in Liquidation gegangen ist, wo für ihn, der Jahre der wirtschaftlichen Blüte hinter sich hatte, es schmerzlich gewesen sein muss, wie bedingt durch den Ersten Weltkrieg ein großes Unternehmen allmählich eingeht.

Heute, so könnte ich mir vorstellen, würde mancher Firmenboss, mancher Aufsichtsratsvorsitzende, mancher Direktor zunächst einmal daran denken, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, das, was bleibt - das waren bei Simon diese Riesen-Kunstsammlungen - zu verkaufen, um sich eine Insel im Lago Maggiore zu kaufen. James Simon denkt nicht an sich. Er denkt an seine Stadt, er denkt an sein Land und schenkt, ohne Kleingedrucktes, ohne Verträge und dergleichen, schenkt einfach diese beiden Sammlungen der Öffentlichkeit, weil er weiß, was bleibt. Was bleibt, stiften die Künstler.

König: Nicht nur die Dichter, ja. Herr Wildung, vergessen wir den sozialen Wohltäter nicht. James Simon bezahlte die ersten Volksbadeanstalten. Er gründete den Verein Mädchenhort, einen Verein für Volksunterhaltungen, das Berliner Sommerheim für kranke Schulkinder in Kolberg, den Verein zum Schutze der Kinder vor Misshandlung und Ausnutzung, einen Zentralverein für Schülerwanderungen. James Simon baute das Haus Kinderschutz, gründete den Hilfsverein für deutsche Juden, ein Waisenhaus in …. Er hat ukrainische Waisen zur Ausbildung nach Deutschland eingeladen. Er muss auch die Menschen sehr geliebt haben.

Wildung: Sie haben gerade die wesentlichen Punkte seines sozialen Engagements aufgezählt. Als ich diese Liste zusammengestellt habe auf der Grundlage einer wunderschönen James-Simon-Biografie von Olaf Matthes, habe ich mich auf die wesentlichen Dinge beschränkt. Die Liste müsste viel, viel länger sein: Sie müsste vor allem, aber sie kann nicht verlängert werden um unzählige Einzelförderungen im konkreten Einzelfall persönlicher Not. Das ist nicht belegt.

Wir wissen aber, dass James Simon immer wieder ganz spontan, wenn er auf irgendeinen Fall persönlicher Not der Unterprivilegierten stieß, sozusagen in die Geldbörse griff. Sein soziales Engagement hat mit Sicherheit sein Engagement für die Künste um ein Mehrfaches übertroffen. Auch das ein Punkt, der es so wünschenswert erschienen ließe, diesem Mann die Hand drücken zu können, ja, ich würde fast sagen, ihn zu umarmen.

König: Es erinnert in Berlin keine Straße, kein Platz an James Simon. Wie konnte Berlin so vergesslich sein?

Wildung: Ich glaube, er ist selber daran Schuld. Wir wissen, dass er einmal sagte, Dankbarkeit zu erwarten, das sollte man niemand zumuten. Und so hat er gehandelt: Er blieb immer ganz diskret im Hintergrund. Seine Förderung für die Ausgrabungen im Zweistromland und in Ägypten waren nicht primär - obwohl das Geld ausschließlich von ihm kam, mit seinem Namen verbunden - sondern offiziell waren das Grabungen der Deutschen Orientgesellschaft, deren Schatzmeister er war, und das Geld dieser DOG für diese Grabungen kam fast ausschließlich von ihm. Er legte überhaupt keinen Wert darauf, persönlich im Mittelpunkt zu stehen. - Ich stelle mir immer vor, wie er verschmitzt irgendwo im Hintergrund stand und sich einfach freute, wie es läuft.

König: Aber das enthebt eine Gesellschaft doch nicht der Verpflichtung, sich nun im Nachhinein auch dieses großen Gebers zu erinnern. Berthold Seewald schrieb jetzt in der Berliner Morgenpost, "es zeugt schon von einer merkwürdigen Verfasstheit eines Gemeinwesens, das das Geschenk in Ehren hält, den Geber aber nicht." Wie würden Sie diese Verfasstheit beschreiben?

Wildung: Ich sehe es ein klein wenig anders. Ich glaube, es war in erster Linie nicht in erster Linie nicht ein Versäumnis, sagen wir, des Landes Berlin oder gar der Bundesrepublik Deutschland, dass James Simon bislang zu wenig gewürdigt wurde. Es war ein Versäumnis derer, die von ihm direkt gefördert worden sind, nämlich zum Beispiel der staatlichen Museen, der verschiedenen kulturellen Institutionen.

James Simon selbst hat ja auch nicht darauf gewartet, bis die öffentliche Hand reagiert, bis sie ihm dankt. James Simon hat selbst die Initiative ergriffen, und deshalb hielt ich jetzt auch zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen bei den staatlichen Museen zu Berlin für unsere Pflicht, nun zu beginnen, James Simon in die Erinnerung zurückzuholen.

König: Aber in Ihrem Ägyptischen Museum haben Sie keine Ausstellung über James Simon eröffnet.

Wildung: Oh, wir haben in der Neupräsentation seit August des vergangenen Jahres in der Eingangshalle, bevor überhaupt die Ausstellung beginnt, da ist erstes Ausstellungsprojekt ein Bronzeporträt von James Simon inmitten des Raumes. Wir haben in den beiden Räumen, in denen Nofretete und die Amarna-Kunst ausgestellt sind, natürlich an jedem der zahlreichen Objekte ein Schild, "Schenkung James Simon 1920".

Und wir haben jetzt in der baden-württembergischen Landesvertretung eine kleine Ausstellung zusammengestellt, in deren Mittelpunkt Nofretete steht - natürlich nicht das Original, das ist im Museum, im alten Museum am Lustgarten geblieben - eine Replik, umgeben von einem runden Dutzend der allerwertvollsten Stücke aus Amarna, ebenfalls Repliken, Leihgaben der Gipsformerei unserer Museen, und wir erinnern mit dieser Ausstellung daran, dass es eben vor allem die Kunst ist, mit der James Simon heute noch hineinstrahlt in die Öffentlichkeit.

König: Vielen Dank für das Gespräch.