"Er kann momentan tun und lassen, was er will, er kriegt auf die Mütze"

13.03.2010
Für Wolfgang Kubicki ist die Kritik an Guido Westerwelle ungerecht und unangemessen. Der Vizekanzler habe mit der von ihm ausgelösten Sozialstaatsdebatte das richtige Thema angesprochen, so der FDP-Politiker. Allerdings kritisierte er die Ausdrucksweise seines Parteivorsitzenden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kubicki, über den Landesvorsitzenden der SPD Schleswig-Holstein haben Sie mal gesagt: "Er leidet nicht unter Realitätsverlust. Er genießt ihn." Hand aufs Herz, beschreibt das nicht auch ein bisschen den Zustand der Bundes-FDP?

Wolfgang Kubicki: Ich glaube, es beschreibt den Zustand vieler politisch Tätigen, dass sie die Tatsache, dass um sie herum medial sehr viel passiert, genießen und manchmal nicht darüber nachdenken, dass das Publikum das anders sieht als die anderen Akteure.

Deutschlandradio Kultur: Und Sie selbst machen sich etwas Sorgen, was die FDP betrifft. Zumindest haben Sie vor kurzem gesagt, es gäbe eine "Führungsschwäche in der Bundespartei". Wo machen Sie das denn fest?

Wolfgang Kubicki: Ich habe erklärt, dass unmittelbar nach der gewonnenen Bundestagswahl ein Kommunikationsleck entstanden ist, bedingt dadurch, dass Führungspersönlichkeiten in der FDP ihre Funktionen gewandelt und gewechselt haben. Beispielsweise sind fast alle guten Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion in Ministerien gewechselt, der Bundesgeschäftsführer auch. Und es gab eine Phase von sechs bis acht Wochen, in der die FDP im Prinzip nicht sprechfähig gewesen ist, in einer Phase, in der sehr viel an Kritik auf die FDP einprasselte.

Deutschlandradio Kultur: Alles Geschichte?

Wolfgang Kubicki: Ich habe sehr bedauert, dass der neue Generalsekretär, der Kollege Lindner, erst so spät benannt worden ist. Denn drei Monate ohne eine ansprechfähige Führungsfigur, die sich auf Angriffe auch entsprechend polemisch äußern kann, ist für eine Partei, die im Meinungsstreit steht, wie die FDP, nicht gut.

Deutschlandradio Kultur: Sind wir boshaft oder verstehen wir Sie falsch, wenn ich jetzt vor allem auch Ihre erste Antwort ein bisschen auch als Kritik am Parteivorsitzenden interpretiere?

Wolfgang Kubicki: Also, erstens sind Sie boshaft und zweitens interpretieren Sie das richtig. Es ist auch eine Kritik, aber eine sachliche, inhaltliche Kritik an dem Parteivorsitzenden, an der Bundespartei insgesamt, einem Führungsgremium, dem ich auch angehöre. Wir hätten Personalentscheidungen für die Geschäftsstelle der Bundes-FDP schneller und früher treffen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Es hat ja Guido Westerwelle mal den schönen Satz gesagt: "Auf einem Schiff, das dampft und segelt, muss einer sein, der alles regelt. Und das bin ich." Kann die Partei, die mittlerweile doch gut Wählerstimmen eingesammelt hat, die Führung alleine Guido Westerwelle überlassen?

Wolfgang Kubicki: Der Satz sagt ja nur, dass es einen Kapitän geben muss, wobei es an Bord eines Schiffes immer noch mehrere Personen gibt, die für die Fahrt des Schiffes verantwortlich sind, den Steuermann, den Navigator und andere Personen mehr. Aber die FDP leidet nicht unter Führungsmangel. Sie leidet darunter, dass Führungspersönlichkeiten ihr Amt nicht in der entsprechenden Weise wahrnehmen. Auch das habe ich kritisiert. Wenn mein Freund Pinkwart aus NRW beklagt, dass die Führungsspitze breiter aufgestellt werden müsste, dann muss er sich als stellvertretender Bundesvorsitzender fragen, was er denn bisher dazu beigetragen hat, das Bild der FDP zu prägen - außer gelegentlich öffentliche Äußerungen, über die man lange spekulieren kann.

Deutschlandradio Kultur: Woran liegt es dann aber, dass so wenig von anderen kommt? Sie waren ja vergleichsweise auch still in letzter Zeit. Liegt das möglicherweise auch an den handelnden Personen, dass sie sich zu wenig in den Vordergrund schieben. Oder hat Westerwelle das inzwischen alles so im Griff, dass kaum einer mehr sozusagen aus der Deckung kommt?

Wolfgang Kubicki: Also, ich kann sicher sagen, dass Guido Westerwelle keinen autoritären Führungsstil predigt. Und diejenigen, die glauben, sie müssten mehr herausgestellt werden, müssen sich fragen lassen, ob sie Mann oder Frau genug sind, ihre Funktion wahrzunehmen. Es reicht ja nicht, dass man jemanden rausstellt. Er muss im Zweifel ja auch genommen werden. Aber, dass ich ruhig war, hat auch was damit zu tun, dass wir in Schleswig-Holstein eine Regierungsbildung hatten. Und ich weiß mittlerweile nach mehreren Monaten, wie arbeitsintensiv das gewesen ist, beispielsweise Ministerien zu besetzen, beispielsweise die ganzen Verfahrensabläufe zu koordinieren. Ich hätte mir das nicht so zeitintensiv vorgestellt. Deshalb weiß ich auch, wie das in Berlin gelaufen ist. Aber die Phase, in der ich mich ruhig verhalten habe, ist vorbei. Ich habe vor einigen Wochen damit begonnen, Gastbeiträge für große Publikationsorgane zu schreiben. Und ich melde mich jetzt auch häufiger zu Wort.

Deutschlandradio Kultur: Ich wollte gerade sagen, 20 Wochen sind Sie jetzt in Schleswig-Holstein in der Landesregierung. Dann haben Sie sozusagen auch wieder mehr Zeit, in Richtung Bundes-SPD, Bundes-FDP zu gucken.

Wolfgang Kubicki: Das war schon richtig. In Richtung Bundes-SPD gucke ich auch, auch Bundes-CDU, ist ja unser politischer Konkurrent.

Deutschlandradio Kultur: Worauf ich hinaus wollte, und zwar auf die FDP bezogen, wohlgemerkt: In sechs Wochen ist der nächste Bundesparteitag der FDP. Ich habe mal versucht mich zurückzuerinnern. In den letzten Jahren war es eigentlich immer so: Vor Bundesparteitagen war immer das Spiel, irgendwann hat Kubicki richtig losgeschossen, vor allem auch den Parteivorsitzenden Maß genommen. Und dann gab's ein kleines Scharmützel und dann war es auch wieder gut. Es schafft natürlich auch mediale Aufmerksamkeit. Kommt dieses Jahr wieder was von Ihnen, vielleicht heute, jetzt an dieser Stelle? Oder halten Sie Ihr Pulver noch trocken?

Wolfgang Kubicki: Ich muss kein Pulver trocken halten, aber da das allgemeine Westerwelle Bashing ja nun en vogue ist und es jedermann betreibt, kann ich mich da bedenkenlos zurückhalten. Nein, ich werde mich viel intensiver mit unseren politischen Konkurrenten beschäftigen. Mir liegen die Union und die CSU besonders am Herzen, weil mit deren Anmaßung, mit der FDP in einer Art und Weise umzugehen, die nicht dem eines Koalitionspartners entspricht, Schluss sein muss. Ich sage ganz deutlich, wir können auf einen groben Klotz auch einen groben Keil drauf hauen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt aber auch umgekehrt, die FDP, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat einen klaren politischen Kompass. Sie weiß, wohin sie will, egal, wie die Wahlumfragen sind. Der Kurs stimmt?

Wolfgang Kubicki: Der Kurs der FDP stimmt. Die Wahlumfragen beeindrucken mich momentan gar nicht, weil die Wahlen entschieden werden am Wahltag. Wir gucken uns mal an, was in NRW passiert. Viel wichtiger ist für mich, und das ist einer der zentralen Kritikpunkte, der strategische Fehler der FDP, sich auf das Bitten der Union eingelassen zu haben, bis zur NRW-Wahl im Prinzip nichts zu machen, nicht mehr klar erkennbar zu sein. Wir hätten, und das haben die Wählerinnen und Wähler von uns erwartet, auch unmittelbar nach der Wahl klar sagen sollen, was wir wie umsetzen wollen. Das wird auf dem Bundesparteitag jetzt passieren. Denn was man uns vorwirft, ist im Prinzip momentan die Profillosigkeit, die mangelnde Erkennbarkeit. Wir sind reduziert worden auf den Begriff einer reinen Steuersenkungspartei, was nicht stimmt. wir sind nicht nur deshalb gewählt worden. Aber der Schmusekurs, der uns von der Union auch noch vorgehalten wurde nach der Devise, was will die FDP eigentlich, der hat uns nicht genutzt, sondern eher geschadet.

Deutschlandradio Kultur: Guido Westerwelle sprach von einer "geistig-politischen Wende", die er der Nation verabreichen möchte. Was ist das eigentlich?

Wolfgang Kubicki: Das ist eine interessante Frage. Ich kann diese Frage auch nicht beantworten. Ich halte die Begrifflichkeit für ziemlich banal. Wende wohin eigentlich? Wer soll sich wohin wenden? Vor allen Dingen ist alles das, was vor unserer Zeit gewesen ist, unmoralisch gewesen? Das würde ich verneinen. Ich glaube, dass Etikettierungen dieser Art uns nicht weiterhelfen. Ich bin vor allem deshalb so erbost darüber, weil das eine Erinnerung weckt an die Kohl-Ära, die ich nicht für eine sehr gute Bezeichnung in der Zusammenarbeit mit der FDP halte. Wir hatten mal einen Wahlkampf geführt Mitte der 90er-Jahre. Der lautete: "Ihr müsst FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt." Ich hab gesagt, wenn das noch mal passiert, trete ich aus der FDP aus.
Ich glaube, es nützt uns nichts, solche Phrasen zu verwenden. Viel wichtiger ist eine konzentrierte Problembeschreibung und, was die Menschen erwarten, eine Problemlösungsskizze zumindest. Keine fertigen Konzepte, das ist immer sehr schwierig in Prozessen, die sich ja wechselseitig bedingen, aber jedenfalls eine Problemlösungsskizze.

Deutschlandradio Kultur: Sie wurden kürzlich zitiert mit den Worten: "Die Menschen sagen", und zwar bezogen auf Schwarz-Gelb, "es ist das gleiche Gemurkse, wie vorher." Ist das in diesem Sinne auch gemeint?

Wolfgang Kubicki: Ja, die Menschen erkennen nicht, und es geht ja auch vielen Parteifreunden momentan so, erkennen nicht, worin eigentlich die Verbesserung der politischen Leistungsfähigkeit liegen soll von Schwarz-Gelb nach dieser großen Koalition. Und das ist ein Hauptmanko. Wenn man etwas anderes wählt, und es ist ja bewusst eine bürgerliche Mehrheit gewählt worden, dann will man auch erkennen, dass der Politikablauf anders funktioniert. Und da ist gegenwärtig nicht der Fall.

Deutschlandradio Kultur: Da will ich doch mal gerne nachhaken. Sie haben ja schon gesagt, als die FDP an die Regierung kam, war man offenbar etwas überrascht, weil man auf einmal so viele Posten zu besetzen hatte. Jörg-Uwe Hahn, der hessische FDP-Landesparteichef hat gesagt, es habe so "eine Art Denkverbot" in der FDP gegeben für die Zeit nach der Bundestagswahl. Geben sie ihm da Recht? Hat das eine mit dem andere zu tun?

Wolfgang Kubicki: Ich weiß nicht, was Uwe Hahn gemeint hat. Das müsste er selbst erklären. Möglicherweise hat er sich selbst einem Denkverbot unterlegt. Aber für mich galt das nicht und für niemanden sonst, den ich kenne.

Deutschlandradio Kultur: Aus liberaler Sicht, wo sind die Probleme, die in nächster Zukunft auch angegriffen werden müssen, damit wir möglicherweise aus der Krise, aus all den Problemen, die wir im Moment haben, rauskommen?

Wolfgang Kubicki: Um es auf einen kurzen Satz zu bringen: Wir brauchen eine wirklich exzessive Wachstumspolitik, weil wir ansonsten weder mit den Problemen des Sozialstaats, noch mit den Problemen unserer öffentlichen Haushalte fertig werden. Sparen alleine ist kein Selbstzweck. Es ist zwar ganz wichtig auch, um den Menschen klar zu machen, dass man sich in Strukturanpassungsphasen befindet. Aber Sparen allein kann uns nicht weiterhelfen. Wir brauchen exzessives Wachstum. Das bedeutet, alles, was Wachstumshemmnisse beinhaltet, muss diskutiert werden und muss möglicherweise auch verändert werden.
Das gilt beispielsweise für die Frage, welche Forschungsbereiche wir zulassen, Stichwort Stammzellenforschung ja oder nein. Das geht aber auch um die Frage, ob unsere bisherigen Genehmigungs- und sonstigen Verfahren und Verfahrensabläufe noch der globalen Herausforderung gerecht werden, was ich verneine.
Der Sozialstaat, den ich für sehr wesentlich halte, weil er uns nicht nur sozialen, sondern auch inneren Frieden gebracht hat, der Sozialstaat muss finanziert werden können. Und finanziert werden kann er nicht dadurch, dass man den Reichen nimmt und den Armen gibt. Das ist ein Vorgang. Finanziert werden kann er nur dadurch, dass es dauerhafte leistungsfähige Unternehmen gibt.

Deutschlandradio Kultur: Brauchten wir an der Stelle also auch eine Sozialstaatsdebatte, Stichwort Hartz IV?

Wolfgang Kubicki: Wir brauchen definitiv eine Sozialstaatsdebatte, aber nicht ausgerichtet auf diejenigen, die als Leistungsempfänger von öffentlichen Transferleistungen abhängig sind. Die meisten von den Menschen, die öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen, sind ohne Verschulden, ohne eigene Not sozusagen in die Situation geraten. Jeden von uns kann es treffen. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig, die Debatte von den Leistungsempfängern her zu führen. Ich wäre viel lieber auf dem Tripp, die Debatte von der Leistungserbringung her zu führen, das heißt, von der Frage: Wie viel vom Bruttoinlandsprodukt können wir uns dauerhaft leisten als Transferleistung an Bedürftige?

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, ich verstehe Sie recht, wenn ich das sozusagen so auf den Punkt bringe: Westerwelle hat das richtige Thema angesprochen, aber den falschen Weg gewählt?

Wolfgang Kubicki: Ich glaube, dass man Guido Westerwelle Unrecht tut und dass viele es auch gerne machen, weil natürlich der Erfolg der FDP mit ihm verbunden in der Größenordnung von 15 Prozent von den meisten Menschen für unangemessen erachtet wird. Und er kann momentan tun und lassen, was er will, er kriegt auf die Mütze. Ich halte das für ungerecht und auch für unangemessen. Er hat das richtige Thema angesprochen. Die Frage, ob der Duktus jeweils immer angemessen war oder nicht, ist eine völlig andere. Aber man darf die inhaltliche Debatte nicht wegschieben, in dem man sich nur auf die Form konzentriert.

Deutschlandradio Kultur: Aber grundsätzlich gesprochen, mit der CDU lassen sich diese Probleme, die Sie angesprochen haben, bewältigen, abarbeiten? Oder stimmt der Satz, den Sie auch gesagt haben, "der größte Widersacher der FDP ist nicht die SPD oder sind die Grünen, sondern der größte Widersacher ist die CDU und möglicherweise auch die CSU"?

Wolfgang Kubicki: Selbstverständlich. Das liegt daran, dass sowohl CDU als auch CSU von ihrem Bewusstsein her mit der FDP um die gleichen Wähler konkurrieren. Das Bewusstsein bei Unions-Christen ist einfach so: Eine starke FDP ist nichts anderes als der Abfluss von Unionswählern zur FDP, was sachlich und inhaltlich falsch ist und statistisch nicht belegt werden kann. Denn wir sind keine kommunizierenden Röhren mehr.
Deshalb versucht natürlich die Union alles zu unternehmen, um einen Leistungserfolg der FDP jedenfalls nicht in einem strahlenden Licht erscheinen zu lassen. Nur so sind ja die Angriffe aus Bayern überhaupt zu erklären. Ich kenne keinen anderen Politiker in Deutschland, dem es gelingt, innerhalb eines Tages seine Position um 180 Grad zweimal zu wenden, als den Bayerischen Ministerpräsident Horst Seehofer. Morgens ist er für eine Reform der Hartz-IV-Gesetze, abends ist der dagegen. Und morgens ist er für eine Absenkung der Hartz-IV-Sätze, abends ist er dagegen. Also, das ist wirklich ein Phänomen, das, glaube ich, nur in Bayern so praktiziert werden kann und sonst nirgendwo in der Republik.

Deutschlandradio Kultur: Gut, nun kann man natürlich auch sagen - ich will jetzt die CSU nicht in Schutz nehmen -, aber möglicherweise hat man in Bayern noch nicht recht verkraftet, dass die FDP jetzt deutlich stärker ist als Bundespartei, als es die CSU in Bayern und damit auf den gesamten Bund bezogen ist.

Wolfgang Kubicki: Die Union hat vieles noch nicht verkraftet.

Deutschlandradio Kultur: Und damit sind die Gewichte in der Koalition verschoben.

Wolfgang Kubicki: Es geht nicht nur um die CSU. Es geht auch um die Union. In Schleswig-Holstein kann man das sehen. Ich habe immer gesagt, Grün und wir sind in Schleswig-Holstein so stark wie die CDU - zusammen. Das ist bei den meisten Leuten noch gar nicht angekommen. Das bedeutet eben nicht, dass in der Koalition sozusagen die Union alles das durchsetzt und die FDP sorgt für die notwendige Mehrheit. Das bedeutet eben auch, dass FDP-Positionen beachtet werden müssen und sich auch durchsetzen. Das ist uns in Schleswig-Holstein hervorragend gelungen. Deswegen arbeitet die Koalition hier auch relativ gut zusammen. Das heißt, der Prozess der Bewusstseinsbildung war hier kürzer als in Berlin. Aber in Berlin muss die Union auch lernen, dass sie im Prinzip eine Volkspartei auf absteigendem Ast ist.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal das Thema Kopfpauschale. Da hat die FDP eine klare Position. Auf der anderen Seite, sagt die CSU, mit uns niemals! Wie wollen Sie denn da eine Schnittmenge finden?
Oder was halten Sie überhaupt von der Kopfpauschale vulgo Gesundheitsprämie? Vielleicht sind Sie ja auch dagegen.

Wolfgang Kubicki: Der Begriff "Kopfpauschale" ist nun auch schon wieder ein denunziatorischer Begriff.

Deutschlandradio Kultur: Ich sah es Ihnen an. Deswegen habe ich "Gesundheitsprämie" eingeschoben.

Wolfgang Kubicki: Auch nicht "Gesundheitsprämie". Wenn wir sagen, dass das Sozialversicherungssystem, das Krankenversicherungssystem ein Versicherungssystem ist, dann müssen wir von der Leistung her denken und nicht von der Frage der Finanzierbarkeit. Die Überlegungen in der FDP gehen ja dahin, einen wesentlich größeren Teil der Gesundheitskosten steuerfinanziert abzuwickeln, weil dort der soziale Ausgleich ja stattfindet, als über die Sozialtransfers innerhalb des Systems. Denn dadurch gibt es eine Abkoppelung von der Leistung und der Versicherungsprämie pro Person.
Ich finde das interessant, dass wir sagen, bei Autos versichern wir alle gleich, weil es darum geht, wie viel Schäden entstehen. Bei Gesundheit versichern wir nicht alle gleich. - Noch einmal: Die soziale Komponente besteht durch den Steuerausgleich. Das ist eine Frage der Finanzierbarkeit

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn dafür eine Lösung schon?

Wolfgang Kubicki: Wir glauben, wir sind fest davon überzeugt, dass dieses System der Finanzierung effizienter wäre, auch mehr Anreize bieten würde, auch bei den Leistungserbringern sparsamer umzugehen, weil der Prämienanstieg sofort und unmittelbar erkennbar wäre, als gegenwärtig, dass es also im Ergebnis besser wäre und auch besser zu finanzieren wäre. Aber das ist eine völlig andere Thematik.
Ich will nur sagen: Auch die CSU ist nicht dagegen. Seehofer und Söhne haben es erklärt. Aber die CSU-Landesgruppe in Berlin hat erklärt, das sei nicht die Position der CSU in Berlin.

Deutschlandradio Kultur: Ich kann Ihnen durchaus folgen, dass der Sozialausgleich über Steuern möglicherweise wesentlich gerechter ist als im heutigen System, wo Privatversicherte und Beamte beispielsweise gar nicht dabei sind. Nur der Sozialausgleich, da sind sich alle einig, kostet natürlich zig Milliarden. Wo bitte soll das Geld herkommen? Steuererhöhungen wären das.

Wolfgang Kubicki: Wenn Sie statisch denken, stimmt das.

Deutschlandradio Kultur: Ich denke immer dynamisch.

Wolfgang Kubicki: Ja, die Wirtschaft ist ein wirklich dynamischer Prozess. Wir bekommen Steuereinnahmen dadurch, dass Menschen, Unternehmen Güter und Dienstleistungen produzieren und verkaufen - im Inland wie im Ausland. Je stärker wir dort sind, desto größer ist unser Finanzierungspotenzial. Weshalb ich ja gesagt habe, wir brauchen eine exzessive Wachstumspolitik.

Deutschlandradio Kultur: Aber da muss man doch auch realistisch denken. Zwei Prozent ist eine Menge, aber wenn Sie das alles finanzieren wollen, dann brauchen Sie Wachstumsquoten von sechs bis acht Prozent. Und die werden Sie nicht erreichen.

Wolfgang Kubicki: Abgesehen davon, dass es nicht stimmt, wir brauchen Wachstumsquoten, die zwischen zweieinhalb und drei Prozent liegen, und das ist durchaus erreichbar, wenn wir uns andere hoch entwickelte Industriestaaten angucken. Aber das ist momentan auch nicht mein Problem. Ich finde das sehr interessant, dass Menschen, die sagen, dafür haben wir kein Geld, völlig bedenkenlos sofort erklären nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, wir müssen jetzt die Hartz-IV-Sätze sofort erhöhen mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro. Wo kommt das denn her?
Und die Frage ist: Können wir ein System effizienter gestalten als gegenwärtig? Erreichen wir dadurch Einsparpotenziale? Wie lösen wir den sozialen Ausgleich? Und vor allen Dingen: Welche Auswirkungen hat das auf unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit? - Jedes Mal.

Deutschlandradio Kultur: Wenn ich Ihnen da jetzt folge, ich spitze wieder etwas zu, dann müssten Sie gleich sagen, jawoll, Sie haben Recht, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, das ist ein richtiger Hit.

Wolfgang Kubicki: Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat ein Volumen von fast 20 Milliarden Euro, davon 15 Milliarden aufgrund von Beschlüssen der alten Koalition - Sozialdemokraten, CDU, Wiedereinführung der Entfernungspauschale beispielsweise, Abzugsfähigkeit der Versicherungsleistungen in voller Höhe. Fünf Milliarden Euro sind drauf gepackt worden von der schwarz-gelben Koalition, wobei der wesentliche Teil in Leistungen zugunsten von Kindern geflossen sind, über vier Milliarden Kindergelderhöhung und bessere Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten, und 900 Millionen Euro ungefähr für dieses vermaledeite Entlastungskonzept für die Hotelbranche. - Ich bin nicht gegen diese Entlastung, sie ist nur steuersystematisch grottenschlecht und auch falsch. Ich kann beispielsweise nicht erklären, warum die Ferienhausbesitzer in Schleswig-Holstein, die auch Wohnungen vermieten, von der Neuregelung nicht profitieren soll, weil sie 19 Prozent abführen sollen, während die Hoteliers, die nebenan ihr Zimmer anbieten, auch für eine Woche, die sieben Prozent erhalten. Ich kann nicht erklären, warum Campingplatzbesitzer das nicht erhalten sollen. Und es macht steuersystematisch keinen Sinn.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem haben Sie dem zugestimmt, die Kieler Landesregierung, obwohl Sie es gaga fanden?

Wolfgang Kubicki: Ja, wir haben aber erklärt, also, wir haben zumindest nicht nur als Landesregierung, sondern auch ich selbst öffentlich erklärt, ich finde das gaga, das isoliert zu machen, ausdrücklich. Lasst uns warten, bis wir Mitte des Jahres 2010 die Steuersystematik komplett angehen. Denn es ist ja eine Arbeitsgruppe gebildet worden, um das ganze System anzugehen. Das hat Schleswig-Holstein auch offiziell im Bundesrat vorgeschlagen. Wir sind bedauerlicherweise gescheitert, interessanterweise nicht nur an christlich-liberalen Ländern, sondern auch an sozialdemokratischen Ländern. Ich erinnere daran, dass auch das Land Mecklenburg-Vorpommern erklärt hat, sie würden sich an einer Rücknahme dieser Beschlusslage nicht beteiligen, weil ihre Tourismusbranche davon hervorragend profitiert.

Deutschlandradio Kultur: Also, jetzt muss ich doch noch mal zurückschauen, wo wir ja eigentlich über die Zukunft diskutieren wollten: Zunächst fanden Sie es gaga. Jetzt finden Sie es eigentlich gut. Hat das vielleicht damit zu tun, dass der Ministerpräsident und auch Sie bei Frau Merkel waren und danach war die Welt auf einmal wieder in Ordnung? Gab's da was, an dem Wochenende? Eine Kleinigkeit, etwas Nettes für Schleswig-Holstein?

Wolfgang Kubicki: Zunächst einmal haben wir für alle finanzschwachen Länder ausgehandelt, dass der Bund bei allen weiteren Maßnahmen, die die Haushalte der Länder belasten, jedenfalls den finanzschwachen Ländern, einen Ausgleich zahlt.
Das hat folgenden Hintergrund: Die fünf finanzschwachen Länder, Schleswig-Holstein, Bremen, Saarland, Berlin und Sachsen-Anhalt, erhalten vom Bund und den anderen Bundesländern, damit sie 2020 überhaupt einen Haushalt aufstellen können, der ausgeglichen ist, eine so genannte "Konsolidierungshilfe" jedes Jahr. Und sie müssen im gleichen Schritt mit dem Bund eine Verwaltungsvereinbarung schließen, um ganz bestimmte Eckpunkte zu erreichen. Erreichen sie die nicht, gibt's das Geld nicht aus Berlin. - Für Schleswig-Holstein pro Jahr 80 Millionen Euro. Wir haben gesagt, das ist ja interessant. Wir müssen sowieso schon jedes Jahr 124 Millionen Euro einsparen. Wenn wir jetzt noch weitere Daten von Berlin aufgedrückt bekommen, die wir nicht bewältigen können bei uns, dann verlieren wir nicht nur die 125 Millionen über Einsparungen, sondern wir verlieren die Bundeshilfe. Und das kann ja nicht der Sinn der Veranstaltung sein, dass ich ihr mit euren Maßnahmen dazu beitragt, dass wir das Geld von euch nicht kriegen können. - Das haben sie dann eingesehen. Und da das Gespräch in sehr netter Atmosphäre stattgefunden hat, jedenfalls nach der ersten Stunde, ich kann das auch bloß so erzählen, nach der ersten Stunde, glaube ich, dass der Bund begriffen hat, dass man für Schleswig-Holstein auch ein bisschen was tun muss.
Das Apercu bestand darin, dass Peter-Harry Carstensen in der ihm eigenen jovialen Art das Gespräch damit begann, dass er der Bundeskanzlerin erklärte, er käme gerade aus Rheinland-Pfalz, sei auf einer Jagd gewesen und dort Jagdkönig geworden. Er habe eine Sau erlegt und fünf Keiler, er könne gleich so weitermachen. - Das hat bei der Bundeskanzlerin, und dem Bundesaußenminister, die uns gegenübersaßen, sagen wir mal, einen erstaunten Gesichtsausdruck hervorgerufen. Und ich hab dann der Bundeskanzlerin gesagt: "Frau Merkel, ich bin kein Jäger."

Deutschlandradio Kultur: Also gut, Sie haben das Problem mit diesen überschuldeten Haushalten, vor allen Dingen auch in Schleswig-Holstein. Dennoch fordert die SPD verstärkt und vielleicht noch vor der Landtagswahl in NRW klare Kante, was Steuersenkung angeht. Kriegen Sie Ihre Haushalte überhaupt, wenn Sie nicht riesige Wachstumsraten hinkriegen, gedeckelt, wenn Sie jetzt auch noch mal voranpreschen und sagen, wir brauchen weitere Steuersenkungen und möglicherweise haben wir damit auch weniger Einnahmen?

Wolfgang Kubicki: Also, zunächst meinen Sie die FDP und nicht die SPD, weil die SPD ja neuerdings gegen Steuersenkungen ist.

Deutschlandradio Kultur: Hab ich mich da vertan.

Wolfgang Kubicki: Ich halte zunächst sehr viel davon, dass wir uns über Steuervereinfachung unterhalten. Das Prinzip lautet: einfacher, gerechter, niedriger - in dieser Reihenfolge. Man muss wirklich aufpassen. Nun sind Steuersenkungen per se nichts Gutes, außer für diejenigen, die davon was haben. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir im Steuersystem an der Schraube drehen müssen, um Unternehmen und Menschen zu entlasten mit Konjunkturwirkung, mit Wachstumswirkung. Überall da, wo wir Wachstumswirkung erzeugen, müssen wir es machen. Wir müssen dazu beitragen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes schnellstmöglich wieder auf einen möglichst hohen Stand kommt. Wir leben davon, was die Menschen und Unternehmen in diesem Lande erarbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie haben jetzt gesagt vor kurzem, diese ganze Steuersenkungskampagne, die die FDP in den letzten Wochen angeschoben hat, die war missglückt. Was ist da falsch gelaufen?

Wolfgang Kubicki: Ich darf sagen, die FDP hat keine Steuersenkungskampagne gemacht, sondern die FDP ist durch die Medien - und auch das kann ich ja verstehen -, durch die politische Konkurrenz reduziert worden darauf, dass es nur um Steuersenkungen geht.

Deutschlandradio Kultur: Aber das war das große Wahlversprechen. Wir dürfen nicht Huhn und Ei verwechseln.

Wolfgang Kubicki: Ich sage, wir sind "reduziert" worden darauf. Bei jeder Frage stand nur im Raum, wir machen eine Steuersenkung, die FDP muss doch dafür sein. Wir sind auch nicht für jede Steuersenkung. Das darf man nicht sozusagen immer in den Raum stellen. Es muss Wachstums- und Konjunkturimpulse auslösen können. Ansonsten macht es keinen Sinn, jedenfalls in der gegenwärtigen Phase keinen Sinn. Wir sind nicht dafür, dass Geschenke verteilt werden.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt kursorisch einige Punkte angesprochen. Nach den ersten 100 Tagen Schwarz-Gelb in Berlin haben Sie ja auch ein zu geringes Reformtempo beklagt, wenn auch noch nicht explizit in unserem Gespräch. Und Sie haben gefordert, die FDP muss pushen, sie muss Druck machen, auch auf die Union. Wo und wie sollten denn korrekt jenseits der Steuersenkungspläne flugs Reformen angepackt werden? Haben Sie da sozusagen jetzt einen Fahrplan, wo Sie sagen: Das und das und das ist jetzt prioritär?

Wolfgang Kubicki: Ja, unsere Bundesminister beginnen das ja auch öffentlich zu kommunizieren. Und die FDP wird auf ihrem Bundesparteitag, und zwar vor der NRW-Wahl, sowohl im Gesundheitswesen, wie auch bei der Reform des Sozialstaats, wie auch bei der Reform, und zwar bei der Vereinfachungsreform des Steuersystems, konkrete Problemskizzen vorlegen, über die abgestimmt werden kann.

Deutschlandradio Kultur: Also, Einstieg in die Gesundheitsprämie, neues Konzept für Hartz IV?

Wolfgang Kubicki: Das ist ja nicht nur für Hartz IV, sondern für die Sozialreform insgesamt. Wir müssen uns nicht über Hartz IV unterhalten, wir müssen uns über die Frage der Pflegekosten unterhalten. Wir müssen uns über die Frage unterhalten, ob Menschen tatsächlich noch würdig in Einrichtungen, in Seniorenwohnheimen untergebracht werden oder auch nicht, wie denn die Möglichkeiten der Selbstbestimmung in solchen Einrichtungen noch ist. Also, wir haben ein größeres Paket als nur Hartz IV.

Deutschlandradio Kultur: Also, die FDP muss sich vor den Wahlen in NRW noch mal profilieren, wenn ich Sie richtig verstanden habe.

Wolfgang Kubicki: In der Sache!

Deutschlandradio Kultur: In der Sache, ja, ja. Und Sie haben aber auch gleichzeitig gesagt, Sie müssten dann auch die CDU, den Koalitionspartner in Kiel und vor allen Dingen in Berlin, auch etwas unter "friendly fire" nehmen.

Wolfgang Kubicki: Also, zunächst einmal stelle ich fest, dass unser Koalitionspartner uns dauernd unter "friendly fire" nimmt, wenn man das so bezeichnen kann. Der Generalsekretär der CSU in Bayern lässt jeden Tag eine Sottise. Und ich höre, dass unser Koalitionspartner in NRW die Äußerung von Frau Kraft, der SPD-Spitzenkandidatin dort, zu dem Einsatz von Langzeitarbeitslosen mit dem Satz belegt: "Hier schmeißt er sich in die Westerwelle." Ich halte das nicht für einen ordentlichen Umgang von Koalitionspartnern untereinander. Denn es denunziert wieder. Und ich habe nur meinen Parteifreunden gesagt: Meine Mitglieder in Schleswig-Holstein erwarten, dass wir mal zurückschlagen. Und ich werde das tun. Ich werde mir Sottisen von der Union, auch von der SPD, nicht mehr gefallen lassen.

Deutschlandradio Kultur: Waren die Liberalen in den letzten Wochen eher das Opfer und nicht der Täter?

Wolfgang Kubicki: Wir sind natürlich auch Täter in dem medialen Spiel. Aber wir haben in den letzten Wochen eine Menge einstecken müssen von dem Koalitionspartner, was wir wirklich so nicht erwartet hätten.

Deutschlandradio Kultur: Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai geht es um sehr viel, nicht nur für die schwarz-gelben Koalitionen in Düsseldorf bzw. Berlin, sondern ganz speziell eben auch für die FDP. Denn ohne eine Neuauflage von Schwarz-Gelb wäre die Bundesratsmehrheit weg. Und das hätte ja ziemliche Folgen für das, was man in Berlin eigentlich noch vorhat. Denn dann kann man das nicht mehr gestalten beim Bundesrat.

Wolfgang Kubicki: Jedenfalls nicht das, was man als Zustimmung im Bundesrat braucht, es sei denn, die Bundesregierung, Schwarz-Gelb, würde in den gleichen Fehler verfallen, wie die vorhergehenden Regierungen, einzelne Länder rauskaufen. Warten wir die NRW-Wahlen mal ab. Ich sehe ja mit wirklich innerer Ruhe, dass die Meinungsumfrageergebnisse für die FDP wieder steigen.

Deutschlandradio Kultur: Von niedrigem Niveau mittlerweile. Sie war mal bei 15 bei der Bundestagswahl. Jetzt sind Sie bei sieben. Wenn Sie dann wieder auf acht steigen, ist das dann ein Erfolg?

Wolfgang Kubicki: Ja, wir wählen ja nun nicht jeden Sonntag, sondern wir wählen ja nur alle vier oder fünf Jahre. Warten wir mal die nächsten Wahlen ab. Wir kommen in NRW von sechs Prozent und werden mit Sicherheit stärker werden als sechs Prozent. Das kann ich vorhersagen. Und dann schauen wir mal, ob die Regierung da tatsächlich zusammenbricht oder auch nicht, ob es andere Konstellationen gibt. Ich bin da völlig ruhig und relaxed. Ich glaube schon, dass am Wahlabend bei der FDP ein schöner Balken nach oben stehen wird und es auf die Frage ankommt, ob die Union ihre%e hält, und nicht wir.

Deutschlandradio Kultur: Muss es denn immer unbedingt Schwarz-Gelb sein?

Wolfgang Kubicki: Aus meiner Sicht nicht. Ich habe überhaupt kein Problem, mit vernünftigen Sozialdemokraten gemeinsam Politik zu gestalten. Das war in der Vergangenheit schon so und es wird auch so bleiben. Bedauerlicherweise nimmt das Maß an vernünftigen Sozialdemokraten ab.

Deutschlandradio Kultur: Was ist denn eigentlich perspektivisch, á la longue, jetzt nicht heute oder morgen oder übermorgen, mit Ihnen und den Grünen? Geht da was?

Wolfgang Kubicki: Wir haben im Prinzip in vielen Bereichen ähnliche Vorstellungen. Das hat in der Vergangenheit das Verhältnis auch geprägt der handelnden Akteure untereinander, weil es ein sehr starkes Konkurrenzverhältnis gewesen ist. Es ist ja auch immer die Frage, wer wird drittstärkste Kraft, ja oder nein, obwohl das an sich ja kein Wert ist. Das hat sich mittlerweile egalisiert, weil bei den Grünen, ich sehe das in Schleswig-Holstein, eine völlig andere Führungsriege mittlerweile das Sagen hat, sehr viel lösungsorientierter. Und im Innen- und Rechtsbereich habe ich mit den Grünen in Schleswig-Holstein deutlich mehr Gemeinsamkeiten als mit der Union beispielsweise. Es gibt auch im Wirtschaftsbereich und im Haushalts- und Finanzbereich Dinge, wo wir gemeinsam was bewirken können, in der Vergangenheit auch schon getan haben, und wo wir pragmatisch aufeinander zugehen.
Ich habe 2005 mal nach der letzten Landtagswahl eine Analyse geschrieben, dass die Volksparteien weiter abschmelzen werden, dass die Linke sich stabilisieren wird als fünfte Kraft und dass es deshalb immer weniger wahrscheinlich wird, dass man Zweierkonstellationen bilden kann, und hab dann mal sehr ketzerisch erklärt: Wenn die Grünen und wir uns einig wären, dann könnten wir uns den dritten Koalitionspartner aussuchen.