"Er ist ein wunderbar aufrechter Schauspieler"

Hans-Ulrich Pönack im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.12.2010
Heute wird Armin Mueller-Stahl 80. Die "deutschen Tugenden" Talent und Disziplin haben den Schauspieler erfolgreich gemacht, sagt Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack. Mueller-Stahl sei kein 0815-Darsteller und verbiege sich nicht.
Gabi Wuttke: Immer schon ein markanter und kluger Kopf mit eindringlich blauem Blick und spitzem Grübchen im Kinn, Armin Mueller-Stahl, ein waschechter Ostpreuße, heute vor 80 Jahren in Tilsit geboren. Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack hat viele Jahrzehnte dieser außergewöhnlichen Schauspielerkarriere verfolgt. Wie wurde denn so ein schneidiger junger Mann in der DDR zum Gentleman-Schauspieler?

Hans-Ulrich Pönack: Der Armin Mueller-Stahl hat das, was wir bei den Deutschen immer als die deutschen Tugenden bezeichnen. Das heißt, er hat Talent und Disziplin, von Anfang an. Das heißt, wenn er Rollen übernahm, stand er zu den Rollen, konnte die Texte und erwartete von seinem Team auch immer, dass das hoch professionell arbeiten durfte. Aber zunächst mal: Er war ja der Sohn eines Bankbeamten, und dieser Bankbeamte war clever. Der hat sich damals gesagt, Müller, der Name geht nicht, ich muss dem baltischen Adel mal beweisen, dass unsere Familie was Besseres ist, und nannte sich Müller mit "ue" und anschließend Stahl. So wurde er in der Gegend von Königsberg, wo ja Mueller-Stahl aufwuchs, berühmter oder populärer. Aber der Gag ist an der Geschichte: Nach dem Krieg hat er studiert, Geige und Musikwissenschaft, hat dann ein Musiklehrer-Examen abgelegt, aber als er auf die Schauspielschule ging, hat man ihn wegen mangelnder Begabung abgelehnt.

Wuttke: Ach was!

Pönack: Helene Weigel entdeckte ihn für das Theater am Schiffbauerdamm und da wurde aus dem Armin Mueller-Stahl, aus dem Lehrer oder aus dem Musiker, ein Schauspieler, und was für ein Schauspieler. Er gehörte dann zum festen Ensemble der Volksbühne und hat viel in der DDR gespielt. Er war einer der populärsten Schauspieler in der DDR. Er hat mitgespielt mit Frank Beier, "Drei Patronenhülsen", oder "Nackt unter Wölfen", "Jakob der Lügner", ein Film, der einen Auslands-Oscar nominiert bekam, und er war damals dieser sozialistische Kundschafter in diesem Anti James Bond-Film "Das unsichtbare Visier" oder in dieser Fernsehserie der DDR. 1975 war er in der DDR Fernsehkünstler des Jahres, aber ein Jahr später war er wieder Armin Mueller-Stahl und hat unterschrieben, er war der prominenteste Unterzeichner gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann, und dann wurde er zur ungeliebten Person, verlor die Gunst und die Akzeptanz, und dann hat er vier Jahre lang nichts zu tun gehabt, bis er 1980 dann ausreisen durfte.

Wuttke: Und in der Bundesrepublik kam er dann bei Autorenfilmern vom Schlage Fassbinder, Kluge und Schlöndorff gleich sofort an?

Pönack: Ja! Die suchten professionelle gute Schauspieler. Das hört sich wie ein Witz an, aber die suchten jemand, der diszipliniert ist, der gleichzeitig Charisma hat, der eine Persönlichkeit darstellt. Also, er hat bei Rainer Werner Fassbinder hat er "Lola" mitgespielt oder "Die Sehnsucht der Veronika Voss" und europäische Spitzenregisseure haben sofort den Geruch gehabt, dieser Mann, den will ich haben, der kann auch in unseren Filmen mitspielen, bei Patric Chereau, bei Andrzej Wajda in Polen, oder bei Istvan Zarbe, dem Ungarn.

Und er hat eines gemacht, was damals sehr außergewöhnlich war. Er hätte ja sehr viel Geld machen können. In der Fernsehserie "Schwarzwaldklinik" hätte er den Professor Brinkmann spielen können. Für ihn war Geld oder Risiko keine Frage. Das Risiko nehme ich an. Er wollte sich nicht verwursten lassen in einer Serie. Er hätte auch den "Alten" übernehmen können. Er hatte Angebote in dieser Art und er hat gesagt, nein, ich gehe in die USA und fange noch mal mein drittes Leben an. Nur: Er konnte die Sprache nicht, er hat die Sprache nicht beherrscht, ist trotzdem aber in die USA gegangen.

Wuttke: War das jetzt Selbstbewusstsein, oder war das auch Eitelkeit, dass für ihn Ende der 80er klar war, dass er in Hollywood nicht scheitert?

Pönack: Ich glaube, es war alles: Eitelkeit, Risiko und einfach Lust, eine unbändige Lust, sich zu probieren, wie man so schön sagt, sich selbst zu verwirklichen. Und es hat ja dann auch geklappt. Er hat in Amerika angefangen bei Costa Gavras, mit Mary Levinson, bei Jim Jarmusch, und bei Jim Jarmusch, bei diesem Episodenfilm "Night on Earth", muss ich noch eines sagen: da kam zum allerersten Mal – sonst war Armin Mueller-Stahl immer der Gentleman, der Professor, der Harte, der Patriarch -, da war ein Ostdeutscher Zirkusclown und Taxifahrer, Helmut Grokenberger.

Wuttke: Mit einer roten Nase!

Pönack: Mit einer roten und spielte so hinreißend, dass ich gesagt habe - ich habe ihn des Öfteren in Interviews getroffen und durfte mit ihm reden -, warum machen Sie das nicht öfters? Und er sagte, ich kriege das nicht angeboten, man sieht in mir keinen Clown, man sieht in mir einen Bürger, einen Patriarchen, man sieht in mir einen Boss, auch einen Gangster-Boss. Er hat ja in vielen amerikanischen Filmen auch den Gangster-Boss gespielt. Man sieht in mir immer einen großen stattlichen grauen Mann, aber nie diesen Komödianten dahinter, den hätte ich viel gerne öfter gespielt. Aber er hatte diese Rollen und diese großen Rollen, diese schweren Rollen. Er hat zum Beispiel den Patriarchen in dem Pianistendrama "Schein" gespielt, da hat er eine Oscar-Nominierung bekommen. Also das war einfach grandios, aber gleichzeitig der Clown ist an ihm vorbeigegangen.

Wuttke: Aber warum hat er dann die Rolle in den Buddenbrooks übernommen? Ich meine, genau da hat er ja das gespielt, was er eigentlich sagte, er gar nicht so sehr wollte, weil … Na ja, gut, auf der anderen Seite: Die Rolle hat natürlich auch was Tragisches.

Pönack: Einmal im Leben in den Buddenbrooks den großen Buddenbrook zu spielen, das ist es doch, dafür gibt man doch alles. Da sagt man, das muss ich einmal im Leben probiert haben und spielen. Das ist: Wenn man einen Schauspieler fragt, was möchtest du noch spielen, dann kam dieses Angebot mit den Buddenbrooks, das kann man nicht ablehnen. Und das haben ja 1,3 Millionen im Kino auch gesehen und ich denke, wegen Armin Mueller-Stahl und nicht so sehr wegen dieser ganzen Inszenierung, die nicht sehr doll war. Aber Mueller-Stahl ist ein Zieher, den wollen die Leute sehen und haben und wollen ihn fühlen. Und ich glaube, es kommt seine Ehrlichkeit herüber. Er ist so, wie er spielt. Der verbiegt sich nicht. Das ist nicht irgendein 0815-Darsteller, der bedient, sondern Armin Mueller-Stahl bedient Armin Mueller-Stahl. Er ist seriös, er ist taktvoll, er ist ein wunderbar aufrechter Schauspieler und unterhält dabei prächtig, wie ich finde.

Wuttke: Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack über Armin Mueller-Stahl, der heute 80 Jahre alt wird. Mit der Schauspielerei fremdelt der Jubilar inzwischen, hat sich ja inzwischen auch auf Malerei, Schreiben und Singen verlegt. Das Geschenk, das er sich selbst machte, ist eine CD mit Liedern aus seiner DDR-Zeit wie dieses hier.

Mehr über Armin Müller-Stahl:

Volker Skierka: "Armin Mueller-Stahl - Die Biografie"