"Er hatte ja wahnsinnig viele Berufe"

Christian Grzimek im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 24.04.2009
Heute wäre der Zoodirektor, Fernsehonkel und Spendensammler Bernhard Grzimek 100 Jahre alt geworden. Sein Enkel Christian erinnerte sich in unserem Sender an gemeinsame Erinnerungen.
Liane von Billerbeck: Das war er, unverkennbar: Professor Bernhard Grzimek, wie er mit der immer gleichen Begrüßung seine Sendung "Ein Platz für Tiere" begann, die seit 1956 im Hessischen Fernsehen zu sehen war und an manchen Abenden Einschaltquoten von heute unglaublichen 70 Prozent hatte.

Und immer waren Tiere live dabei. Der Fernsehonkel, Dokumentarist, Frankfurter Zoodirektor und Wildtierschützer wäre heute 100 Jahre alt geworden. Und einer, der ihn sehr genau kennt, nicht nur der familiären Bande wegen, sondern auch aus gemeinsamer Arbeit, das ist sein Enkel Christian Grzimek, und mit ihm bin ich jetzt in Frankfurt am Main verbunden. Schönen guten Tag, ich grüße Sie!

Christian Grzimek: Ja, guten Tag!

Von Billerbeck: Sie kennen Ihren Großvater, wir kennen ihn auch als Tierprofessor mit Sorgenfalten und immer einem Zootier im Studio, dass jeder glauben musste, so ein Löwe ist auch nur ein Mensch wie du und ich. Wie hat er das gemacht?

Grzimek: Ja, gut, Bernhard Grzimek, muss man sagen, hat ein besonderes Charisma auch gehabt, das irgendwo auf das Publikum auch übergesprungen ist. Aber auf der anderen Seite hat er auch Sendungen gemacht, die bis heute auch nicht nachgeahmt wurden in ihrer Form. Denn es waren ja Tiersendungen, die nicht über das Tier selbst berichteten, sondern auch sehr viel geschichtlichen Hintergrund hatte er immer parat. So sagte er immer sehr häufig, welcher König auch einen Pudel gehabt hat oder welche Unfälle mit dem einen oder anderen Tier passierten. Aber er hat natürlich auch nie den Sinn und Zweck seines Engagements irgendwo vergessen, denn es waren immer fünf bis acht Minuten drin, wo er auf irgendeinen Politiker einhackte oder auf Missstände hinwies, wie zum Beispiel das Pelzetragen oder die Massentierhaltung und Ähnliches. Und es war ihm immer bewusst, er darf es damit nicht übertreiben, weil sonst schalten die Leute ab.

Von Billerbeck: Aber er hat sein Medientalent auch genutzt. Er hat zum Beispiel Gina Lollobrigida bloßgestellt, weil die nicht auf ihren Pelz verzichten wollte. Das spricht ja dafür, dass Grzimek damals also schlicht eine Institution war.

Grzimek: Ja, das war er auf jeden Fall, vor allem war er natürlich sein Vorkämpfer, er war immer sehr visionär, hat Dinge aufgegriffen, an die andere Leute noch gar nicht dachten. Sagen wir mal allein nur das Thema der Überbevölkerung, das hat er schon in den 50er-Jahren aufgegriffen, zu einer Zeit, wo die Leute sich eigentlich noch darum kümmerten, ob sie selber ein Dach übern Kopf haben oder sich einen Kühlschrank kaufen können. Hier war er doch schon ein enormer Vordenker, und er hat letztendlich auch die grüne Idee bis hin indirekt auch die grüne Partei in Deutschland mit etabliert oder mit gegründet, wenn man es so sagen kann.

Von Billerbeck: Die Fernsehsendung "Ein Platz für Tiere" war aber nicht sein einziges Leben, Sie haben ja schon sein Engagement angesprochen. Wenn Sie das mal zusammenfassen: Wie viele andere Leben hat Bernhard Grzimek gelebt?

Grzimek: Ja, ach gut, er hatte ja wahnsinnig viele Berufe. Wenn man es mal überlegt, er war Zoodirektor, er war unter anderem, wenn auch nur für drei Jahre, war er Beauftragter für Naturschutz der Bundesregierung, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift "Das Tier". Dann hat er Fernsehen moderiert, er hat Bücher geschrieben, die Grzimek-Enzyklopädie herausgegeben. Also es ist eigentlich unzählig, was er alles geleistet hat, aber das war auch dadurch, weil er auch ein guter Manager war, denn er konnte sehr gut Dinge auch delegieren, denn sonst hätte er es auch nicht geschafft, und vor allem auch nicht, wenn er nicht diese Disziplin gehabt hätte, die er an den Tag gelegt hat.

Von Billerbeck: Sie haben es schon erwähnt, Bernhard Grzimek hat den Frankfurter Zoo nach dem Krieg wiederaufgebaut. Es wird immer erzählt, er hätte das zum Teil mit unorthodoxen Methoden gemacht. Welche waren das?

Grzimek: Ja, also er hatte eigentlich mit allen Dingen, die er machte, eine wahnsinnige Chuzpe, wie man so schön sagt. Sein Wahlspruch war auch in den Fernsehsendungen, weil er durfte ja zum Beispiel nie so auf das Spendenkonto der Zoologischen Gesellschaft hinweisen, sein Wahlspruch war immer: Ich lass mich mindestens dreimal abmahnen und verspreche dann, ich tu’s vielleicht nie wieder. Und so hat er letztendlich auch den Zoo aufgebaut, mit vielen Mitteln, die damals als Wissenschaftler auch von seinen Kollegen nicht gerne angesehen waren, denn er hat Schausteller in den Zoo geholt, er hat einen Zirkus hineingeholt. Und jeder, der praktisch in den Zirkus wollte, musste Zooeintritt zahlen, wobei aber dieser Zirkus eigentlich gar keine Zirkusshow aufführte, sondern das war eben nach dem Krieg der einzige Versammlungsraum, wo man im Trockenen sitzen konnte, sodass also jeder Politiker, der eine Rede halten wollte, angewiesen war, eben in diesem Zoo diese Veranstaltungen stattfinden zu lassen. Es fanden Eisrevuen statt, also es war eine Unzahl von Aktivitäten, die hier stattfanden, einfach um hier Geld herbeizuschaffen.

Von Billerbeck: Das klingt so ein bisschen so, als wäre er ein früher Vorreiter der Eventisierung gewesen. Haben da seine Kollegen nicht auf ihn eingeschlagen?

Grzimek: Also er hatte mit Sicherheit auch sehr viele Feinde – gut, das ist immer so bei erfolgreichen Leuten. Man kann sich erinnern, damals gab’s dann sozusagen diese ganz schlimme Zeit für ihn, die Affäre mit den Tiervergiftungen, wo er dann auch nachts um vier Uhr aus dem Bett geholt wurde und für zwei Tage in U-Haft saß.

Von Billerbeck: Erzählen Sie noch mal, was da passiert ist, das werden nicht mehr alle wissen.

Grzimek: Oh, das kann ich jetzt nicht so ganz genau zusammenkriegen, also haargenau, aber es war auf jeden Fall so, dass also nach und nach Tiere vergiftet wurden, denn der damalige Zirkusdirektor, der wollte eigentlich einen Festbau machen in dem Zoo. Und da hat er sich mit anderen noch zusammengetan, um da praktisch Bernhard Grzimek anzuschwärzen. Ja, und das führte eben zur Verhaftung. Ich glaube, er hatte über 30 Anschuldigungspunkte. Das ging also los von der Tiervergiftung bis hin, also dass er irgendwo das Futter für eigene Mittel benutzte, also selbst verzehrt. Aber er hat das alles widerlegt. Und er hat es sogar dahin geschafft, dass sogar der damals amtierende Polizeipräsident, der da mit drin verwickelt war, für zwei Jahre ins Gefängnis musste.

Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, Bernhard Grzimek, der legendäre Naturschützer, Zoodirektor und Tierfilmer wurde heute vor 100 Jahren geboren. Sein Enkel Christian Grzimek ist mein Gesprächspartner. Für den Film "Serengeti darf nicht sterben", den er mit seinem Sohn Michael gedreht hat, bekam Bernhard Grzimek 1960 einen Oscar, und er hat auch die Spendengelder, die er immer bekam, eingesetzt, um den Nationalpark in der Serengeti im Norden Tansanias zu unterstützen. Und viele anschließend eingerichtete Nationalparks gehen auf ihn zurück. Sie sind im vergangenen Jahr in einer nachgebauten Dornier wie ihr Großvater vor Jahrzehnten, mit diesen berühmten Zebrastreifen auf dem Körper, und einem Filmteam in die Serengeti geflogen. Was hat sich verändert, welche Spuren hat seine Arbeit dort hinterlassen?

Grzimek: Also die Spuren sind eigentlich sehr groß, muss man sagen, denn die Serengeti ist nach wie vor erhalten, und das funktioniert auch alles sehr gut. Auch vor allem, was ganz wichtig ist, und es ist auch Teil seiner Arbeit gewesen, er hat ja immer eigentlich versucht, mit den Menschen dort vor Ort Dinge in Kooperation eben durchzubringen. Da hat er im Grunde doch sehr viel bewegt. Die Nationalparks sind etabliert, Tansania hat allein mittlerweile 14 Nationalparks, ein Viertel des Landes ist unter Naturschutz. Da können wir uns also wirklich ne Scheibe abschneiden. Es ist nach wie vor so, dass natürlich die Länder auch Unterstützung brauchen. (…) für die Nationalparks (…) allein in die Serengeti fließt durch die Zoologische Gesellschaft allein über 1,5 Millionen Euro pro Jahr hinein. Und da sind natürlich auch Mitarbeiter vor Ort, auch von der Zoologischen Gesellschaft, die auch alles akribisch beobachten und hier hilfreich tätig sind.

Von Billerbeck: Bernhard Grzimek, so kann man immer wieder lesen, war auch ein großer Abenteurer. Das musste wahrscheinlich in Teilen so sein, aber sein Sohn ist ja 1959 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Hat er eigentlich mit Ihnen darüber gesprochen? Und wenn Sie sich daran erinnern, wie ist da Ihre Meinung, war er zu leichtfertig, zu sorglos, was diesen Sohn anging, weil er den ja in sehr jungen Jahren immer mitgenommen hat auf seine Reisen?

Grzimek: Ja, gut, sagen wir mal so, diese ganzen Afrikageschichten, so in den Anfängen, das war eigentlich durch meinen Vater irgendwo geprägt, weil er war derjenige, der innovativ war. Er hat damals einen Autoführerschein gemacht, drei Monate später hat ihn mein Großvater gemacht. Genauso war es mit dem Pilotenschein.

Es war ja damals auch, eigentlich sollte auch die Doktorarbeit von meinem Vater werden, also Michael Grzimek, und der Film war eben, kann man eigentlich fast sagen, eher nur ein Beiwerk. Und man kann natürlich, dass es irgendwo auf der einen Seite sehr leichtfertig war, aber es war natürlich für diese wissenschaftliche Arbeit damals eben erfreulich, es war ja ganz neu, dass man eben über die Serengeti fliegt. Und das war ein Unfall, wo ein Geier in die Tragfläche reingeflogen ist, und so was kann natürlich heute auch immer noch passieren.

Von Billerbeck: Das hat aber nicht Ihr Verhältnis zu Ihrem Großvater geprägt, dieser Absturz, dieser Verlust des Vaters ja auch?
Grzimek: Ja, gut, also ich habe meinen Vater ja nicht mehr erlebt, denn ich bin ja erst nach seinem Tode geboren worden. Und ich bin letztendlich, also mein Großvater war eigentlich so die Vaterfigur für mich. Mein Bruder und ich sind ja unter seinen Fittichen praktisch groß geworden. Und natürlich hat er uns auch sehr geprägt, denn ich bin jedes Jahr ja für drei Monate nach Afrika gefahren mit ihm zusammen, jedes Jahr von der Schule beurlaubt, gerade wenn es hier schön kalt war. Und das waren natürlich tolle Zeiten. Da hat man sehr viel gelernt. Und mein Großvater meinte dann auch immer zum Kultusminister von Hessen, wenn er den Antrag stellte: Da lernt er eigentlich mehr als in der Schule.

Von Billerbeck: Wenn Sie das zusammenfassen würden, was bleibt von der Arbeit Bernhard Grzimeks?

Grzimek: Ja, was bleibt? Ich würde sagen, in Deutschland der Gedanke des Artenschutzes, den hat er mit geprägt. Es bleibt die Serengeti und die ganzen Nationalparks und der Gedanke des Naturschutzes. Und man kann eigentlich nur hoffen, dass es in seinem Sinne so weitergeht bzw. das, was wir noch haben, dass das überhaupt erhalten bleibt. Denn das ist natürlich, wenn man die Entwicklung momentan sieht, auch sehr fraglich.

Von Billerbeck: Mit dem Enkel Christian Grzimek sprachen wir über den legendären Tierschützer, Zoologen und Medienprofi Bernhard Grzimek. Herzlichen Dank an Sie!