"Er hat sich offensichtlich sehr verletzt gefühlt"

Ruprecht Polenz im Gespräch Hanns Ostermann · 01.06.2010
Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, hat Verständnis für die Entscheidung des bisherigen Bundespräsidenten Horst Köhler gezeigt. Zugleich lobte er die Amtsführung des Politikers in den vergangenen Jahren.
Hanns Ostermann: Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Erstmals ist ein Bundespräsident von seinem Amt zurückgetreten. Er zog damit die Konsequenzen aus einem Gespräch mit dem Deutschlandradio, in dem er sich mit der Rolle der Bundeswehr beschäftigte, missverständlich offensichtlich, wie die anschließenden Reaktionen zeigten.

In jedem Fall fühlte sich Köhler in seinem Amt zu wenig respektiert. Über den Rücktritt möchte ich mit Ruprecht Polenz von der CDU sprechen. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz.

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: War das gestern so etwas wie Fahnenflucht oder doch eine verständliche Reaktion?

Polenz: Nein. Ich war erst mal sehr überrascht, wie, glaube ich, alle, von dieser Nachricht, als sie so kurz nach 14 Uhr über die Ticker ging, und ich bedauere den Rücktritt außerordentlich. Horst Köhler ist ein sehr beliebter Bundespräsident gewesen, und zwar zurecht, wie ich finde.

Er hat ein sehr bescheidenes persönliches Auftreten, er ist auf die Menschen zugegangen, er war das, was man einen Bürgerpräsidenten nennt, und außerdem muss man sehen, dass er international unser Ansehen als Bundesrepublik Deutschland sehr gemehrt hat, vor allen Dingen durch sein beständiges Eintreten für die Belange Afrikas.

Und wenn man denkt, dass wir jetzt ja doch in sehr schwierigen Zeiten sind, Wirtschafts- und Finanzkrise, internationale Verwerfungen auf den Finanzmärkten als Stichwort, dann ist er als eine Persönlichkeit mit seiner internationalen Erfahrung und auch mit seinem großen ökonomischen Sachverstand natürlich im Grunde die Idealbesetzung gerade in dieser Zeit für dieses Amt. Ich bedauere das außerordentlich!

Ostermann: Das scheint er offensichtlich aber anders zu sehen. Also doch so etwas wie Fahnenflucht, denn der Zeitpunkt des Rücktrittes ist doch für unser Land denkbar ungünstig?

Polenz: Das ist richtig, aber ich würde jetzt nicht mit solchen Vorwürfen kommen, denn er hat sich offensichtlich sehr verletzt gefühlt durch den Vorwurf – das hat er ja auch in seiner Rücktrittserklärung gesagt -, er habe im Hinblick auf Militäreinsätze etwas gedacht oder gesagt, was mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Sie müssen sehen: Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört es, jedes Gesetz, bevor es wirksam werden kann, auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, und das hat er wie alle seine Vorgänger außerordentlich ernst genommen, diese Aufgabe. Er hat einen Amtseid geleistet. Ich kann schon verstehen, dass ihn dann ein solcher Vorwurf tief verletzt.

Ostermann: Im 2006 verabschiedeten Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr heißt es, "Ziel der Sicherheitspolitik ist es unter anderem, den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstandes zu fördern". Sinngemäß hat dies doch Köhler auch gemeint. Also was ist es denn jetzt, was an den Äußerungen so viel Staub aufgewirbelt hat?

Polenz: Es war wahrscheinlich der Zusammenhang und der Anlass des Interviews, der sich um Afghanistan drehte, und das haben dann manche missverstanden, vielleicht auch absichtsvoll, als habe Köhler gesagt, wir seien wegen wirtschaftlicher Gründe in Afghanistan, um dort etwas für den Handel zu tun. Er hat gemeint - und das hat er ja dann auch durch sein Bundespräsidialamt klarstellen lassen – beispielsweise den Einsatz Deutschlands im Zusammenhang mit der internationalen Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika.

Dort sind wir in der Tat zum Schutz der internationalen Seewege tätig, auf der Grundlage eines klaren völkerrechtlichen Mandats der Vereinten Nationen, und das meint im Grunde auch das Weißbuch. Das Weißbuch spricht ja auch nicht davon und suggeriert, man brauche jetzt das Militär, um Deutschlands Exporte zu schützen, sondern es deutet nur an, dass bei einem umfassenden Sicherheitsbegriff für eine Exportnation wie Deutschland auch solche Einsätze, aber eben auf der Grundlage eines klaren völkerrechtlichen Mandats, einmal notwendig sein könnten.

Ostermann: Herr Polenz, muss sich Schwarz-Gelb nicht vielleicht doch den Vorwurf gefallen lassen, Köhler zu wenig unterstützt zu haben, gerade in den letzten Tagen?

Polenz: Ich denke, die Äußerungen, die vonseiten der Koalition in der Sache gekommen sind, haben doch klar gemacht, dass sie den Bundespräsidenten schätzen, dass sie seine Amtsführung schätzen und dass sie sich auch vor ihn stellen. Ich glaube nicht - und ich kann natürlich nicht in ihn hineinschauen -, dass er hier einen besonderen Grund gesehen hat für seinen Schritt.

Ostermann: Was verrät dieser Rücktritt über den derzeitigen Berliner Politikbetrieb?

Polenz: Ich glaube, im Moment, weil eben alle überrascht sind, gibt es auch eine gewisse Ratlosigkeit, und das ist die Chance, dass man auch noch mal prüft. Es hatte sich in den letzten Monaten eingebürgert, oder begann, sich einzubürgern, dass Kritik am Bundespräsidenten fast ähnlich geäußert wurde, wie sie sonst natürlich untereinander im Politikbetrieb üblich ist.

Ich erinnere an eine Debatte im Bundestag, wo die Bundeskanzlerin sich sehr deutlich und mit scharfen Worten an die Opposition gewandt hat und darum gebeten hat, das angemahnt hat, dass man mit einer solchen Kritik am Bundespräsidenten ja auch das Amt beschädige und dass man deshalb zurückhaltender sein müsse, so wie das Amt es gebietet, und ich habe mich ja verschiedentlich auch in diese Richtung geäußert, dass das Amt des Bundespräsidenten und natürlich auch seine Person selbst hier Zurückhaltung gebietet.

Ostermann: Ruprecht Polenz von der CDU, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Herr Polenz, danke für das Gespräch.

Polenz: Bitteschön, Herr Ostermann.
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