"Er hat ja einer Menge Leuten geholfen"

Moderation: Joachim Scholl · 07.10.2013
Ein guter Kollege und ein großartiger Lehrer - so beschreibt der Schauspieler Charles Brauer den legendären Mephisto-Darsteller und späteren Intendaten am Schauspiel Hamburg: Gustaf Gründgens, der heute vor 50 Jahren starb. Er glaube nicht, dass Gründgens in der Nazi-Zeit ein skrupelloser Opportunist gewesen sei.
Joachim Scholl: "Ich habe, glaube ich, zuviel Schlafmittel genommen, mir ist ein bisschen komisch. Lasst mich ausschlafen." – Diesen Zettel fand man am 7. Oktober 1963 auf dem Nachttisch des tot im Bett liegenden Gustaf Gründgens in einem Hotel in Manila. Mit ihm starb einer der größten Theaterschauspieler des Jahrhunderts, bis heute ist sein Name aber auch verknüpft mit dem Bild des skrupellosen Opportunisten in der Nazi-Zeit, wie es Klaus Mann in seinem Roman "Mephisto" gezeichnet hat. – Wie, wer war Gustaf Gründgens wirklich? Einer, der ihn noch persönlich erlebt hat, ist der Schauspieler Charles Brauer. Ihn begrüße ich jetzt in einem Studio in Basel, guten Tag, Herr Brauer!

Charles Brauer: Guten Tag!

Scholl: Herr Brauer, Sie kamen Mitte der 1950er-Jahre ans Hamburger Schauspielhaus, auf besonderen Wunsch des damaligen Intendanten dort, Gustaf Gründgens. Was war er denn für ein Chef, wie haben Sie ihn erlebt?

Brauer: Na ja, schauen Sie, ich war ein Springinsfeld von 22 oder 21. Ich war natürlich überwältigt davon, dass ich überhaupt an dieses Theater geriet, mit dem fantastischen Ensemble und Kollegen, wunderbaren Schauspielern, ich habe eine Menge gelernt! Rückblickend darf ich sagen, dass er sicher einer der wichtigsten Intendanten und Regisseure war, die ich prägend für meinen Beruf erlebt habe.

Scholl: Er hat ja stets auch über die Intendantenrolle geklagt, sah sich immer als Schauspieler, und als solcher war er ja schon mythisch umweht. Haben Sie diesen Mythos noch verspürt, dieses Legendenumwölbte?

"Er ist nicht der Intendant gewesen, der mit uns in die Kantine ging"
Brauer: Oh ja, natürlich, ganz klar, ganz klar. 'Wenn ich meiner Fama auf der Straße begegnete, ich würde mich nicht wiedererkennen', hat er mal irgendwann gesagt oder geschrieben. Ja, selbstverständlich. Der Mephisto war ja nicht der Mephisto in der Nachkriegszeit, der war ja bereits legendär aus den 30er-Jahren, abgesehen mal von seinem Hamlet, den er ein Leben lang gespielt hat, solange es noch ging. Nein, nein, natürlich habe ich das gespürt. Und er war auch in einer gewissen Weise … Gut, er ist nicht der Intendant gewesen, der Schauspieler, der mit uns in die Kantine ging oder der in die nächste Kneipe ging nach der Premiere, das hat er alles nicht getan. Er hat eine Distance gehalten. Aber er war auf der Bühne als Kollege und auch als Regisseur einer von uns. Er war nicht … Er war was Besonderes, er konnte alles ganz toll, oder auch nicht manchmal, aber er war ein Kollege, er war ein Kollege. Und mit jungen Schauspielern ging er sehr gut um. Er konnte einem komplizierte Dinge auf eine sehr einfache Art erklären.

Scholl: Kommen wir nun, Herr Brauer, auf jenen Gründgens alias Mephisto, so wie Klaus Mann in seinem Roman den einstigen Schwager porträtiert hat, als …

Brauer: Na ja, ein ziemlich doofes Buch!

Scholl: Als gewissenlosen Opportunisten, der sich mit der Nazi-Macht arrangiert, um selber mächtig zu werden, als Protegé von Hermann Göring. Die Geschichte des Romans und dann auch die Verfilmung durch István Szabó mit einem spektakulären Klaus Maria Brandauer, diese Geschichte hat enorm viel zur Nachwirkung von Gustaf Gründgens beigetragen. Wie haben Sie diesen Effekt von Buch und Film empfunden? Blödes Buch, haben Sie jetzt schon gleich gesagt! Empfanden Sie es als ungerecht, als ehrverletzend, oder war es auch richtig, dass man nun über diese Rolle von Gründgens diskutiert hat?

Brauer: Ich habe dieses Buch kennengelernt in einer Ausgabe, die in Amsterdam im Querido Verlag erschienen ist, also diese heimliche erste …

Scholl: 1936 war das, ja?

Brauer: Richtig. Und ich kannte eine alte Kollegin, die mir dann, als ich es las in dieser Ausgabe, die mir das geliehen hatte, mir hinten mit einem Bleistift alle Namen aufgeschrieben hatte, wer was war. Also sozusagen … Das ist ja ein Schlüsselroman insofern, weil jede Figur, die da auftaucht, gab es historisch. Also von Gottfried Benn über Elisabeth Bergner über … - was weiß ich, jeder kam darin vor, was sehr hilfreich war. Aber die Homosexualität kam ja nicht vor, dafür stand eine schwarze Tänzerin oder was das war … Und es war eigentlich … Reich-Ranicki hat das ja übrigens auch mal beschrieben, ein ziemlich doofes Buch insofern, weil es das Buch eines eifersüchtigen ehemaligen Liebhabers war.

Scholl: Nun gut, aber das hatte diesen, sagen wir mal, diesen politischen Vorwurf. Und …

Brauer: Es hatte den politischen Vorwurf, aber gut, Klaus Mann konnte nicht in Deutschland bleiben, das … klar. Aber wenn Sie sich vorstellen, dass es eine Menge Freunde … Und Gründgens hat sich ja sehr beraten, denken Sie an Erich Ziegel, ein jüdischer Theaterleiter und Schauspieler, der ihm gesagt hat 'Bleib, du kannst helfen'. Und er hat ja einer Menge Leuten geholfen innerhalb seines Ensembles … Wissen Sie, wenn jemand sich wirklich dafür interessiert, kann man nur das Buch vom Thomas Blubacher lesen, da steht das wunderbar drin, in der Biografie, die gerade erschienen ist.

Scholl: Das ist, die gerade erschienen ist, und er versucht ja in seiner Biografie, dieses etwas einseitige, also vom Buch und vom Film gezeichnete Bild zu korrigieren. Und das wäre noch mal die Frage an Sie, Herr Brauer, weil Sie auch Gustaf Gründgens ja persönlich erlebt haben: War er denn auch ein Machtmensch, der also durchaus Politik betrieb?

"Ein Star, aber er hat sich immer umgeben mit sehr guten Leuten"
Brauer: Nein. Er konnte sehr gut umgehen mit den Leuten. Also Gründgens nach Hamburg geholt zu haben, war das Verdienst des Kultursenators damals, und selbstverständlich, in den sieben Jahren, die er dort Intendant war, habe ich nie gehört, dass es irgendein Problem mit den Oberen der Stadt gab, so wie es dann später immer mehr Probleme gab. Aber man muss natürlich dann auch sagen: Es ist eine andere Zeit gewesen!

Ich glaube auch, dass Gustaf Gründgens aufgehört hat, Intendant zu sein, hatte auch damit zu tun, dass sich das Theater sehr veränderte. Und dass Kultur ... Wir brauchen darüber nicht zu reden, wo wird beschnitten, wo wird gespart, es wird an der Kultur gespart! Und mit Gustaf wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Aber er wäre heute auch ein anderer Intendant, als er damals gewesen ist, ist doch ganz klar.

Scholl: Dieser Tod 1963 nach seiner aktiven Zeit, ein Tod, bei dem man nicht weiß, ob es nur Versehen war oder doch heimliche Absicht. Wie haben Sie darauf reagiert?

Brauer: Man weiß das ziemlich genau.

Scholl: Ja?

Brauer: Man weiß ziemlich genau, dass es kein Selbstmord war.

Scholl: Was haben wir in ihm verloren?

Brauer: Damals … Na ja, der Mann war 63, der hätte nach heutigen Begriffen, denken Sie an Peymann oder Dieter Dorn oder so, die alle Mitte, Ende 70 sind und noch voll im Geschäft sind und arbeiten, also, er hätte sicher noch ein paar wunderbare Inszenierungen gemacht. Ich hätte ihn gerne gesehen noch als Lear zum Beispiel, oder in anderen Sachen, das wäre alles möglich gewesen.

Es gab ja Pläne, was er machen sollte, Oscar Fritz Schuh, sein Nachfolger am Schauspielhaus in Hamburg, hatte ja auch Ideen und er hatte ihm ja auch zugesagt, den "Sturm" weiter zu spielen zum Beispiel, was dann auch gespielt wurde, da war ich dabei, insofern weiß ich das. Aber gut, das ist nun alles nicht passiert. Mit 63 ist man ja nach heutigem Bewusstsein ziemlich jung, ist er ziemlich jung gestorben … Natürlich ist das ein großer Verlust gewesen!

Scholl: Was haben Sie, Charles Brauer, von ihm gelernt?

Brauer: Ich habe gelernt … Ja, natürlich bin ich sehr geprägt worden. Ich habe gelernt etwas über die Seriosität dieses Berufes, über die Obsession, die man braucht, um diesen Beruf auszuüben. Ich habe gelernt sicher auch die Disziplin, die ihn sehr ausgezeichnet hat, er war ja ein verflixter Preuße, das habe ich sicher alles gelernt, das Gefühl für Sprache, wie wichtig Sprache in meinem Beruf ist und wie wichtig es auch ist, innerhalb eines Ensembles zu arbeiten, wie abhängig man voneinander ist, dass es keinen Star in dem Sinne gibt, wie … Er war ein Star, aber er hat sich immer umgeben mit sehr guten Leuten.

Scholl: Vor 50 Jahren starb der Schauspieler Gustaf Gründgens. Charles Brauer hat ihn noch gekannt, ich danke Ihnen für dieses Gespräch, Herr Brauer!


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