"Er hasst alles, nicht nur den Islam"
Der Büroleiter des Berliner Büros von Al Dschasira, Akhsam Suliman, hat betont, dass es sich bei den Anschlägen in Norwegen nicht um einen Anti-Islam-Angriff handele. Allerdings nutze die Tat den "allgemeinen Anti-Islamismus" sehr gut.
Ulrike Timm: Es war wie ein Reflex, den man eine knappe Woche später schon sehr peinlich finden kann, den es aber gab: Als in Oslo Bomben detonierten und Kinder und Jugendliche erschossen wurden, hieß es sofort: El Kaida! El Kaida oder so, jedenfalls jemand aus der islamistischen Ecke. Es ist anders, aber womöglich noch komplexer: Wie furchtbar, dass es ein Norweger war, aber noch viel furchtbarer wäre es gewesen, wenn es kein Norweger gewesen wäre – das hörte man nicht nur in Oslo.
Zu Gast im Studio des "Radiofeuilletons" ist jetzt Akhsam Suliman, der Büroleiter des Berliner Büros des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira. Schönen guten Morgen!
Akhsam Suliman: Guten Morgen!
Timm: Herr Suliman, wie hat man denn bei Al Dschasira über diesen Massenmord berichtet?
Suliman: Es ist kaum zu glauben, aber Al Dschasira unterhält auch ein Büro in Oslo, und als das alles losging, hat man sogar das Büro verstärkt mit dem Korrespondenten aus Paris. Es war schnell klar, dass es sich um etwas Großes handelt, um eine Aktion, die wir – aber auch viele andere arabische Medien – später den 11. September von Europa genannt haben, zumindest vergleichsweise, von der Brutalität, und dass eine Einzelperson das alles angerichtet hat, auf jeden Fall war man sehr schnell dabei.
Und man hat auch natürlich zum Teil mitspekuliert, aber schnell ausgeschlossen, dass es islamistische Kreise sein können. Es war von den Bildern her schon klar, dass es eine Autobombe ist, es war klar von Anfang an, dass Norwegen nicht das Land ist, wo El Kaida einen Schwerpunkt sehen kann.
Timm: 11. September ist eine griffige Formulierung, 11. September von Europa, sie erstaunt mich trotzdem ein wenig, denn es gab die Anschläge von Madrid, es gab die Anschläge von London – wieso diese Formulierung für dieses Ereignis?
Suliman: Ich denke schon, dass die Bilder eine große Rolle spielen. Bei diesem Attentat gab es viele Bilder sehr schnell, alles war überraschend. Bei London und Madrid gab es weniger Bilder, immer nach und nach kamen die Bilder durch eine bestimmte Politik der jeweiligen Regierungen. Zweitens: London und Madrid war, zumindest nach der Logik von Radikalislamisten, kein überraschendes Ziel. Das war nur eine Frage der Zeit wirklich, wann!
Es gab diesen Irakkrieg, es gab diesen Krieg in Afghanistan und so weiter: Es war nur eine Frage der Zeit, der Überraschungseffekt war nicht da – diesmal in Oslo total aus dem Nichts gekommen, das ist ja der Punkt, warum man das ein bisschen mit dem 11. September auch vergleicht, aus dem Nichts gekommen.
Timm: Im Nachhinein hat man sich ja sowieso gewundert: Was sollte El Kaida in Oslo wirklich wollen? Wir lernen ja im Moment allerhand über ein Land, das, was ja auch die wenigsten Journalisten auf der inneren Landkarte hatten: Dass Oslo 25 Prozent Migranten hat zum Beispiel, dass darunter mit den Pakistanern die zweitgrößte Gruppe eine muslimische ist, dass man in der größten Moschee Skandinaviens, eben in Oslo, sofort für die Opfer gebetet hat und dass der Imam dort seine Gemeinde umgehend als norwegisch-muslimisch bezeichnete, sich aber auch wünschte, dass die rechtspopulistische Fortschrittspartei dann doch bitte nächstes Mal etwas weniger Stimmen bekäme, und dass vielleicht nicht alle fast ausländischen Neuankömmlinge in Oslo im gleichen Viertel leben sollten.
Sie haben uns beschrieben, Sie haben ein Büro in Oslo, aber interessiert das skandinavische Umfeld eigentlich Ihr arabisches Publikum, oder ist das doch in der Wahrnehmung alles ein bisschen zu weit oben im Norden?
Suliman: Es ist nicht zu verneinen, dass es ganz weit im Norden ist, für die arabische Welt umso nördlicher sozusagen, aber auf der anderen Seite: Wir haben in bestimmten jetzt skandinavischen Ländern große arabische Minderheiten. In Schweden etwa leben sehr viele Iraker, die damals vor Saddam Hussein geflohen sind, aber auch viele Palästinenser, die inzwischen eingebürgert sind und so weiter und so fort.
Es ist auf jeden Fall geografisch sehr weit, kulturell auf jeden Fall auch, aber es gibt Verbindungen. Es gibt schon arabische Minderheiten, wir wissen um die Existenz von muslimischen Minderheiten dort, und deswegen hat man das für ein Land gehalten, Oslo, wo man ein Büro aufmachen kann, obwohl natürlich die Nachrichtenlage nicht unbedingt die ideale, in Anführungsstrichen, ist.
Timm: Wie wurde denn bei Ihrem Publikum aufgenommen, dass man zuerst so sicher formuliert hat: Das waren bestimmt islamistische Terroristen?
Suliman: Dieser Vorwurf, der immer wieder vorkommt bei solchen Ereignissen – natürlich stört das die arabische Öffentlichkeit, die arabische Bevölkerung, dass man gleich verdächtigt wird – und wenn nicht verdächtigt gleich, muss man auch das verurteilen, um sich nicht zu verdächtigen und so weiter. Aber es war Gott sei Dank sehr schnell klar, dass das kein arabischer, kein muslimischer Attentäter ist,
Und dann kam jetzt die Gegenreaktion, praktisch die Gegen-, sagen wir, maximale oder die andere radikale Sicht: Na gut, hat man gesagt, also doch – es gibt diese christlichen Fundamentalisten. Und dann ist man praktisch darauf geritten regelrecht: Es ist ein christlicher Fundamentalist, das ist ein Fundamentalist, der die Muslime hasst, das ist ein Fundamentalist, der begeistert ist von bestimmten israelischen Politikern, hier kommt der Nahostkonflikt natürlich mit ins Spiel.
Hier hat man also wirklich ein Feindbild gefunden, das sehr vergleichbar ist mit dem Feindbild, was auf der anderen Seite manchmal herrscht: Da ist der Muslim der Täter, der Rückständige, und hier ist der fundamentalistische Christ, der sich mit Israelis solidarisiert und Muslime hasst und Europa vom Islam befreien will und genauso gewalttätig ist.
Timm: Es war ein schwedischer Journalist, der den Begriff geprägt hat, das sei der erste antiislamische Terroranschlag. Teilen Sie diese Auffassung oder ist das übertrieben? Denn Breivik rechnet ja mit allem ab, was er nicht kennt und was er hasst.
Suliman: Also so von dem, was man genau von ihm gelesen und gesehen hat: Er hasst alles, nicht nur den Islam, aber Islam hält natürlich schon sehr gut momentan für viele, viele Themen her. Also jeder Rechtsradikale momentan sucht sich den Islam als Thema, weil das auch populistisch ist, man kann damit auch Leute erreichen, die nicht zu erreichen sind mit anderen Religionsangehörigen oder auch nicht zu erreichen sind mit rechtem Gedankengut, was von der Geschichte überholt wurde.
Aber der Islam ist präsent. Ich sage nur einen Namen, Sarrazin hier in Deutschland: Da hat man gesehen, wie oft das Buch verkauft wurde. Also ich denke nicht, dass es ein Anti-Islam-Angriff ist, aber ich denke schon, das ist ein Angriff, der diesen allgemeinen Anti-Islamismus sehr gut nutzt und sehr gut drauf reitet.
Timm: Wie sehen das Ihre Kollegen in Oslo und in Stockholm? Sie sprachen von größeren arabischen Minderheiten, die sich in Skandinavien zusehend bilden?
Suliman: Man ist natürlich jetzt ein bisschen beängstigt, weil: Bis jetzt war das Leben der Minderheiten in Skandinavien von außen gesehen das Beste – das soziale System stimmte, der Rassismus war nie Thema und so weiter, zumindest nicht nach außen. Und jetzt macht man sich schon Gedanken. Man hat auch übrigens arabische Opfer unter den Erschossenen auf der Insel, die eine war eine Tochter einer irakischen Familie, der andere hat überlebt allerdings, ist libanesischer Herkunft. Also man merkt: Hier geht es auch los.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", zu Gast ist Akhsam Suliman, der Studioleiter von Al Dschasira in Berlin, und wir sprechen darüber, wie der Massenmord von Oslo von arabischen Medien wahrgenommen wird. Anders Behring Breivik bezeichnet sich ja als israelfreundlich, und diese Art Beistand eines Mörders werden sich die meisten Israelis schwer verbitten – aber welche Rolle spielt dieser Aspekt in der Diskussion im arabischen Raum?
Suliman: Ich denke schon, dass dieser Aspekt mehr und mehr betont wird, weil wie gesagt, auf einmal befreit man sich von dem Bild des Muslims als Feindbild, und geht hinein in ein anderes Bild dieses Anti-Gewalttäters, dieses Gewalttäters der anderen Seite. Und auf einmal kommt jemand, der auch sehr zufällig gut passt. Das ist jemand, der christlich-fundamentalistisch ist, das ist jemand, der sich als Freund von Israel bezeichnet, das ist jemand, der die Muslime ausdrücklich hasst und Europa von denen freimachen will.
Also der passt sehr gut, und deswegen wird das sehr gut thematisiert. Wir lesen in den arabischen Medien, in den arabischen Zeitungen, dass er begeistert ist von den Rechtsradikalen oder von den rechten Parteien in Israel, von Benjamin Netanjahu, von Lieberman als Außenminister und so weiter. Wir lesen, dass er sich schon um den Nahen Osten gekümmert hatte in seiner Schrift, die er hinterlassen hatte, alsodass er sich Gedanken macht um die Christen im Libanon und Ähnliches, dass er auch im Nahen Osten einen Konflikt zwischen Muslimen und Christen sieht.
Was in Europa für ihn da ist, ist nicht nur unbedingt jetzt infolge einer Migrationserscheinung – nein, das ist auch existent im Nahen Osten und wahrscheinlich weltweit, der Kampf der Religionen. Insofern wird das schon betont und wird das schon verifiziert, weil wir haben jetzt einen auch Namen, wir haben jetzt eine klare Figur von dieser Erscheinung. Mir ist selber aufgefallen vor einiger Zeit in Deutschland, bei diesen Anti-Moscheen-Demonstrationen in Köln und so weiter, dass manche der Demonstranten Israelfahnen getragen haben. Und das war nicht typisch, diese Rechtsradikalen, die auch Israelfahnen trugen, aber das ist dieses neue Phänomen. Man kann sich mit jedem verbinden inzwischen, ja.
Timm: Wir haben jetzt aber auch einen Namen für mögliche Trittbrettfahrer, für die so eine Tat natürlich immer das Signal ist, und es gab in den letzten Monaten, gerade mit Blick auf die Demokratisierungsprozesse im arabischen Raum, die Hoffnung, dass militante Islamisten es in Zukunft deutlich schwerer haben würden. Werden sie es durch die Anschläge in Norwegen womöglich wieder leichter haben?
Suliman: Ich glaube nicht, dass ein Anschlag, so brutal, wie das war, natürlich und bei allem Mitleid mit den Opfern und so weiter, dass ein einziger Anschlag das verursachen kann. Aber wenn die arabischen Revolutionen, wenn der arabische Frühling nicht fruchtet, wenn dann dieses Phänomen von Gewalttätern im Westen sich vermehrt in dieser Form, wie wir das erlebt haben in Oslo, dann haben wir in ein paar Jahren natürlich eine Gegenreaktion aus einem anderen Ort der Welt. Aber momentan wage ich nicht, so einer Analyse zuzustimmen.
Timm: Herr Suliman, ich danke Ihnen! Akhsam Suliman, Büroleiter von Al Dschasira in Berlin, zu arabischen Reaktionen auf den Massenmord von Oslo.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Zu Gast im Studio des "Radiofeuilletons" ist jetzt Akhsam Suliman, der Büroleiter des Berliner Büros des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira. Schönen guten Morgen!
Akhsam Suliman: Guten Morgen!
Timm: Herr Suliman, wie hat man denn bei Al Dschasira über diesen Massenmord berichtet?
Suliman: Es ist kaum zu glauben, aber Al Dschasira unterhält auch ein Büro in Oslo, und als das alles losging, hat man sogar das Büro verstärkt mit dem Korrespondenten aus Paris. Es war schnell klar, dass es sich um etwas Großes handelt, um eine Aktion, die wir – aber auch viele andere arabische Medien – später den 11. September von Europa genannt haben, zumindest vergleichsweise, von der Brutalität, und dass eine Einzelperson das alles angerichtet hat, auf jeden Fall war man sehr schnell dabei.
Und man hat auch natürlich zum Teil mitspekuliert, aber schnell ausgeschlossen, dass es islamistische Kreise sein können. Es war von den Bildern her schon klar, dass es eine Autobombe ist, es war klar von Anfang an, dass Norwegen nicht das Land ist, wo El Kaida einen Schwerpunkt sehen kann.
Timm: 11. September ist eine griffige Formulierung, 11. September von Europa, sie erstaunt mich trotzdem ein wenig, denn es gab die Anschläge von Madrid, es gab die Anschläge von London – wieso diese Formulierung für dieses Ereignis?
Suliman: Ich denke schon, dass die Bilder eine große Rolle spielen. Bei diesem Attentat gab es viele Bilder sehr schnell, alles war überraschend. Bei London und Madrid gab es weniger Bilder, immer nach und nach kamen die Bilder durch eine bestimmte Politik der jeweiligen Regierungen. Zweitens: London und Madrid war, zumindest nach der Logik von Radikalislamisten, kein überraschendes Ziel. Das war nur eine Frage der Zeit wirklich, wann!
Es gab diesen Irakkrieg, es gab diesen Krieg in Afghanistan und so weiter: Es war nur eine Frage der Zeit, der Überraschungseffekt war nicht da – diesmal in Oslo total aus dem Nichts gekommen, das ist ja der Punkt, warum man das ein bisschen mit dem 11. September auch vergleicht, aus dem Nichts gekommen.
Timm: Im Nachhinein hat man sich ja sowieso gewundert: Was sollte El Kaida in Oslo wirklich wollen? Wir lernen ja im Moment allerhand über ein Land, das, was ja auch die wenigsten Journalisten auf der inneren Landkarte hatten: Dass Oslo 25 Prozent Migranten hat zum Beispiel, dass darunter mit den Pakistanern die zweitgrößte Gruppe eine muslimische ist, dass man in der größten Moschee Skandinaviens, eben in Oslo, sofort für die Opfer gebetet hat und dass der Imam dort seine Gemeinde umgehend als norwegisch-muslimisch bezeichnete, sich aber auch wünschte, dass die rechtspopulistische Fortschrittspartei dann doch bitte nächstes Mal etwas weniger Stimmen bekäme, und dass vielleicht nicht alle fast ausländischen Neuankömmlinge in Oslo im gleichen Viertel leben sollten.
Sie haben uns beschrieben, Sie haben ein Büro in Oslo, aber interessiert das skandinavische Umfeld eigentlich Ihr arabisches Publikum, oder ist das doch in der Wahrnehmung alles ein bisschen zu weit oben im Norden?
Suliman: Es ist nicht zu verneinen, dass es ganz weit im Norden ist, für die arabische Welt umso nördlicher sozusagen, aber auf der anderen Seite: Wir haben in bestimmten jetzt skandinavischen Ländern große arabische Minderheiten. In Schweden etwa leben sehr viele Iraker, die damals vor Saddam Hussein geflohen sind, aber auch viele Palästinenser, die inzwischen eingebürgert sind und so weiter und so fort.
Es ist auf jeden Fall geografisch sehr weit, kulturell auf jeden Fall auch, aber es gibt Verbindungen. Es gibt schon arabische Minderheiten, wir wissen um die Existenz von muslimischen Minderheiten dort, und deswegen hat man das für ein Land gehalten, Oslo, wo man ein Büro aufmachen kann, obwohl natürlich die Nachrichtenlage nicht unbedingt die ideale, in Anführungsstrichen, ist.
Timm: Wie wurde denn bei Ihrem Publikum aufgenommen, dass man zuerst so sicher formuliert hat: Das waren bestimmt islamistische Terroristen?
Suliman: Dieser Vorwurf, der immer wieder vorkommt bei solchen Ereignissen – natürlich stört das die arabische Öffentlichkeit, die arabische Bevölkerung, dass man gleich verdächtigt wird – und wenn nicht verdächtigt gleich, muss man auch das verurteilen, um sich nicht zu verdächtigen und so weiter. Aber es war Gott sei Dank sehr schnell klar, dass das kein arabischer, kein muslimischer Attentäter ist,
Und dann kam jetzt die Gegenreaktion, praktisch die Gegen-, sagen wir, maximale oder die andere radikale Sicht: Na gut, hat man gesagt, also doch – es gibt diese christlichen Fundamentalisten. Und dann ist man praktisch darauf geritten regelrecht: Es ist ein christlicher Fundamentalist, das ist ein Fundamentalist, der die Muslime hasst, das ist ein Fundamentalist, der begeistert ist von bestimmten israelischen Politikern, hier kommt der Nahostkonflikt natürlich mit ins Spiel.
Hier hat man also wirklich ein Feindbild gefunden, das sehr vergleichbar ist mit dem Feindbild, was auf der anderen Seite manchmal herrscht: Da ist der Muslim der Täter, der Rückständige, und hier ist der fundamentalistische Christ, der sich mit Israelis solidarisiert und Muslime hasst und Europa vom Islam befreien will und genauso gewalttätig ist.
Timm: Es war ein schwedischer Journalist, der den Begriff geprägt hat, das sei der erste antiislamische Terroranschlag. Teilen Sie diese Auffassung oder ist das übertrieben? Denn Breivik rechnet ja mit allem ab, was er nicht kennt und was er hasst.
Suliman: Also so von dem, was man genau von ihm gelesen und gesehen hat: Er hasst alles, nicht nur den Islam, aber Islam hält natürlich schon sehr gut momentan für viele, viele Themen her. Also jeder Rechtsradikale momentan sucht sich den Islam als Thema, weil das auch populistisch ist, man kann damit auch Leute erreichen, die nicht zu erreichen sind mit anderen Religionsangehörigen oder auch nicht zu erreichen sind mit rechtem Gedankengut, was von der Geschichte überholt wurde.
Aber der Islam ist präsent. Ich sage nur einen Namen, Sarrazin hier in Deutschland: Da hat man gesehen, wie oft das Buch verkauft wurde. Also ich denke nicht, dass es ein Anti-Islam-Angriff ist, aber ich denke schon, das ist ein Angriff, der diesen allgemeinen Anti-Islamismus sehr gut nutzt und sehr gut drauf reitet.
Timm: Wie sehen das Ihre Kollegen in Oslo und in Stockholm? Sie sprachen von größeren arabischen Minderheiten, die sich in Skandinavien zusehend bilden?
Suliman: Man ist natürlich jetzt ein bisschen beängstigt, weil: Bis jetzt war das Leben der Minderheiten in Skandinavien von außen gesehen das Beste – das soziale System stimmte, der Rassismus war nie Thema und so weiter, zumindest nicht nach außen. Und jetzt macht man sich schon Gedanken. Man hat auch übrigens arabische Opfer unter den Erschossenen auf der Insel, die eine war eine Tochter einer irakischen Familie, der andere hat überlebt allerdings, ist libanesischer Herkunft. Also man merkt: Hier geht es auch los.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", zu Gast ist Akhsam Suliman, der Studioleiter von Al Dschasira in Berlin, und wir sprechen darüber, wie der Massenmord von Oslo von arabischen Medien wahrgenommen wird. Anders Behring Breivik bezeichnet sich ja als israelfreundlich, und diese Art Beistand eines Mörders werden sich die meisten Israelis schwer verbitten – aber welche Rolle spielt dieser Aspekt in der Diskussion im arabischen Raum?
Suliman: Ich denke schon, dass dieser Aspekt mehr und mehr betont wird, weil wie gesagt, auf einmal befreit man sich von dem Bild des Muslims als Feindbild, und geht hinein in ein anderes Bild dieses Anti-Gewalttäters, dieses Gewalttäters der anderen Seite. Und auf einmal kommt jemand, der auch sehr zufällig gut passt. Das ist jemand, der christlich-fundamentalistisch ist, das ist jemand, der sich als Freund von Israel bezeichnet, das ist jemand, der die Muslime ausdrücklich hasst und Europa von denen freimachen will.
Also der passt sehr gut, und deswegen wird das sehr gut thematisiert. Wir lesen in den arabischen Medien, in den arabischen Zeitungen, dass er begeistert ist von den Rechtsradikalen oder von den rechten Parteien in Israel, von Benjamin Netanjahu, von Lieberman als Außenminister und so weiter. Wir lesen, dass er sich schon um den Nahen Osten gekümmert hatte in seiner Schrift, die er hinterlassen hatte, alsodass er sich Gedanken macht um die Christen im Libanon und Ähnliches, dass er auch im Nahen Osten einen Konflikt zwischen Muslimen und Christen sieht.
Was in Europa für ihn da ist, ist nicht nur unbedingt jetzt infolge einer Migrationserscheinung – nein, das ist auch existent im Nahen Osten und wahrscheinlich weltweit, der Kampf der Religionen. Insofern wird das schon betont und wird das schon verifiziert, weil wir haben jetzt einen auch Namen, wir haben jetzt eine klare Figur von dieser Erscheinung. Mir ist selber aufgefallen vor einiger Zeit in Deutschland, bei diesen Anti-Moscheen-Demonstrationen in Köln und so weiter, dass manche der Demonstranten Israelfahnen getragen haben. Und das war nicht typisch, diese Rechtsradikalen, die auch Israelfahnen trugen, aber das ist dieses neue Phänomen. Man kann sich mit jedem verbinden inzwischen, ja.
Timm: Wir haben jetzt aber auch einen Namen für mögliche Trittbrettfahrer, für die so eine Tat natürlich immer das Signal ist, und es gab in den letzten Monaten, gerade mit Blick auf die Demokratisierungsprozesse im arabischen Raum, die Hoffnung, dass militante Islamisten es in Zukunft deutlich schwerer haben würden. Werden sie es durch die Anschläge in Norwegen womöglich wieder leichter haben?
Suliman: Ich glaube nicht, dass ein Anschlag, so brutal, wie das war, natürlich und bei allem Mitleid mit den Opfern und so weiter, dass ein einziger Anschlag das verursachen kann. Aber wenn die arabischen Revolutionen, wenn der arabische Frühling nicht fruchtet, wenn dann dieses Phänomen von Gewalttätern im Westen sich vermehrt in dieser Form, wie wir das erlebt haben in Oslo, dann haben wir in ein paar Jahren natürlich eine Gegenreaktion aus einem anderen Ort der Welt. Aber momentan wage ich nicht, so einer Analyse zuzustimmen.
Timm: Herr Suliman, ich danke Ihnen! Akhsam Suliman, Büroleiter von Al Dschasira in Berlin, zu arabischen Reaktionen auf den Massenmord von Oslo.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.