Epidemiologin zu Corona in Afrika

"Große Gefahr, dass Erreichtes zunichte gemacht wird"

04:31 Minuten
Drei Jungen halten sich eine Plastikfolie vor's Gesicht, weil sie keine Atemschutzmaske kaufen können.
Viele afrikanische Länder haben Erfahrung mit Epidemien. Doch das schütze sie in der Coronakrise kaum, befürchtet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. © picture alliance / ZUMA Wire / Donwilson Odhiambo
Anna Kühne im Gespräch mit Gabi Wuttke · 01.05.2020
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Für Entwicklungsländer ist die Coronakrise eine große Herausforderung. Dass sich die Aufmerksamkeit nun so stark auf Covid-19 richtet, gefährde das, was im Kampf gegen andere Krankheiten schon erreicht wurde, sagt Anna Kühne von Ärzte ohne Grenzen.
UN-Generalsekretär António Guterres appelliert an die Industrienationen, den Entwicklungsländern in der Coronakrise mehr zu helfen. Er wirbt für einen Nothilfefonds für die 51 ärmsten Länder in Lateinamerika, Afrika, Asien und im Nahen Osten - von den angestrebten zwei Milliarden Dollar ist allerdings bislang nur die Hälfte zusammengekommen. Laut den Vereinten Nationen könnten durch die Coronakrise bis zu 500 Millionen Menschen neu von Armut betroffen sein. Das wäre, so Guterres, der erste Anstieg seit drei Jahrzenten.
Für Anna Kühne, die als Epidemiologin bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen immer wieder in afrikanischen Ländern arbeitet, geht der Appell von Guterres in die richtige Richtung. Viele Länder in Subsahara-Afrika bedürften "massiver Unterstützung".
Ärzte ohne Grenzen würde es aber auch begrüßen, wenn sich Guterres‘ Appell nicht nur an die Industrienationen, sondern auch an die Pharmakonzerne richten würde, sagt sie. Impfstoffe und Medikamente sollten für alle Länder frei verfügbar sein und nicht mit Patenten belegt werden, fordert Kühne, die etwa im Jahr 2014 in Liberia gearbeitet hat, als Ebola dort ausbrach.

Umwidmung von Geldern für Corona

Länder, die bereits von Ebolaausbrüchen betroffen waren – in Westafrika oder der Kongo –, hätten dadurch viel gelernt, meint Kühne. Dennoch seien die afrikanischen Länder insgesamt mit "relativ labilen Gesundheitssystemen ausgestattet". Diese hätten Probleme, auf weitere Patienten zu reagieren, die durch Covid-19 hinzukommen können.
Ärzte ohne Grenzen habe die Sorge, dass die medizinische Versorgung für andere Kranke möglicherweise verringert werde, um auf die zusätzlichen Patienten zu reagieren. Wenn nun Entwicklungshilfe, die für bestimmte Aktivitäten vorgemerkt gewesen sei, für den Kampf gegen den Coronavirus umgewidmet werde, mache das es sehr schwer, eine ausreichende medizinische Versorgung etwa für Schwangere oder Patienten mit Malaria oder Masern aufrecht zu halten.
In manchen Ländern schritten zudem Ausbrüche anderer Krankheiten wie etwa Masern weiter voran, zum Beispiel in der Zentralafrikanischen Republik. "In mehreren Ländern in Afrika sind größere Impfkampagnen, die geplant waren, erst mal gestoppt worden, um keine Menschenansammlungen zu provozieren, in denen sich möglicherweise Covid ausbreiten könnte", erklärt Kühne. "Das ist eine große Gefahr, dass bereits Erreichtes jetzt zunichte gemacht wird und dass die gesamte Aufmerksamkeit sich jetzt ausschließlich auf Covid richtet. Die anderen Krankheiten und die Ausbrüche, die haben nicht aufgehört, die sind nicht weg."
(abr)

Über den Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres zu mehr Engagement bei der Unterstützung der Länder des globalen Südens in der Coronakrise, berichtet New-York-Korrespondent Peter Mücke:

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