Enzym ändert Blutgruppe

Aus A mach Null

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Großaufnahme roter Blutzellen, die in dieser Vergrößerung wie aufgehäufte Dragees wirken.
Rote Blutzellen unter dem Mikroskop: Gruppe A, Null oder B? Darüber entscheiden die Eigenschaften ihrer Oberfläche. © imago/Panthermedia/Crevis
Von Carina Fron · 27.06.2019
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Erste Forschungsergebnisse legen nahe, dass sich die Blutgruppe im Enzymverfahren ändern lassen könnte. Blutbanken versprechen sich davon, Engpässe zu überbrücken. Manche Forscher bezweifeln allerdings, ob das Verfahren wirklich anwendbar ist.
Unfälle machen keine Ferien, Blutspender schon. Die Zentren warnen davor, dass Konserven knapp werden könnten. Jetzt haben kanadische Forscher ein Enzym entdeckt, das Blutgruppen umwandeln kann:
"Ich habe mich mit der Blutspende selber nie befasst", sagt Tomek Kaczmarek. Es kam dem 33-Jährigen nicht so vor, als sei das ein großes Thema. 2011 ändert alles. Da wird der Grafiker wegen seines angeborenen Herzfehlers gleich viermal operiert. Seine Aortenklappe ist nur zweiflüglig, statt dreiflüglig. "Eigentlich ist das nicht schlimm, damit werden viele alt", so Kaczmarek. Doch bei ihm wird der Geburtsfehler lebensbedrohlich – er braucht eine neue Herzklappe.
In dieser Zeit wird er viermal operiert, bekommt dabei mehr als 30 Blutkonserven und will sich für die Spenden bedanken. Da er das nicht persönlich kann, wird er ein Gesicht der Blutspende Kampagne des Deutschen Roten Kreuzes. In einem Werbevideo erzählt er davon, wie hart seine letzte Operation war. Mehr als zwölf Stunden dauerte der Eingriff und es sei richtig eng für ihn geworden, sagt Kaczmarek. "Aber es ist alles gut gegangen, weil genug Blutkonserven bereit standen."

Blutspender werden älter

Inzwischen reist der 33-Jährige durch Deutschland und möchte vor allem junge Menschen zum Spenden bewegen. Denn das Durchschnittsalter liegt heute bei 50 Jahren, es fehlt an Spendernachwuchs. Besonders begehrt ist die Blutgruppe Null. Mit gewissen Einschränkungen können alle Menschen Konserven dieses Typs bekommen. Denn bei dieser Gruppe fehlen Zuckermoleküle auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen.
"Deshalb kann man sie überall hineingeben", erklärt der Biochemiker Peter Rahfeld von der University of British Columbia in Kanada. Die Blutgruppen A und B dagegen hätten Zuckermoleküle auf der Oberfläche, die das Immunsystem erkenne. Eine falsche Blutgruppe löst im Körper lebensbedrohliche Reaktionen hervor. Bei der Gruppe Null dagegen werde das Blut nicht als fremd erkannt und nicht abgestoßen, so Rahfeld.

Mit Enzymen die Blutgruppe verändern

Schon seit längerer Zeit beschäftigen sich Forscher mit der Idee, die Blutgruppen A und B in Null umzuwandeln. Rahfeld und das kanadische Team setzen dabei auf Enzyme, die Blut verarbeiten. "Da muss man schauen, wer Blut verdaut", so der Wissenschaftler. Bei seiner Arbeit stieß er auf Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2012. Sie zeigten, dass es auf der Darmwand die gleichen Zuckerstrukturen gibt wie auf den Blutzellen. "Die also wichtig sind für die Identifizierung von A, B und Null."
Doch die Bakterien aus der Darmflora können nicht so einfach im Reagenzglas nachgebildet werden. Deshalb hat der Biochemiker im menschlichen Kot gewühlt, um entsprechende Bakterien mit blutverdauenden Enzymen zu finden.
Nach zwanzigtausend Versuchen fanden die Forscher zwei Enzyme, die die Zuckermoleküle auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen abbauen und verdauen können. So lässt sich die Blutgruppe A in Gruppe Null umwandeln – derzeit allerdings nur im Labor.
Das Verfahren weiterzuentwickeln ist für Rahfeld nicht einfach. Tierversuche scheiden aus, da Tiere ein anderes Blutsystem hätten, so bleibe nur der Test im menschlichen Körper. Der nächste Schritt wäre deshalb, A-Blut zu wandeln und es zurück in den Kreislauf des Spenders zu geben, sagt Biochemiker Rahfeld.
Das ganze müsse "in Kleinstmengen, also im Bereich von Nanolitern" passieren, die man mit einem Verfahren speziell markiert. So lasse sich prüfen, ob das enzymatisch veränderte Blut problemlos im Körper zirkuliere.

Methode teuer - und mit Fragezeichen

Der Transfusionsmediziner Markus Müller von der Universität Frankfurt ist da skeptisch. Er sei nicht sehr glücklich über Fremdsubstanzen, vor allem wenn sie von Bakterien kämen. "Die in einen Beutel hineinzugeben, den wir vorher so bakterienfrei wie möglich gemacht haben" findet Müller problematisch.
Die Entdeckung der kanadischen Forscher sei durchaus spannend, an eine praktische Anwendung mag der Mediziner derzeit aber nicht so recht glauben – auch wegen der Kosten: "Das ist alles extrem aufwendig und damit teuer."
Und dann ist da noch das Problem der Folgen der Enzymbehandlung. Es sei unklar, ob diese den roten Blutkörperchen schade. Zudem hält es Müller für denkbar, dass die Zuckermoleküle nachwachsen. Die Blutgruppe ändere sich dann ungewollt zurück.

Der Rhesus-Faktor als große Unbekannte

Diese Bedenken teilt Torsten Tonn von der Technischen Universität Dresden. Der Transfusionsmediziner arbeitet wie Müller auch beim Deutschen Roten Kreuz. Er weist auf ein weiteres Problem hin: Neben dem A-B-0-System können die Blutkörperchen noch über 30 andere Merkmale auf der Oberfläche tragen. Dazu zählt auch der Rhesus-Faktor. Das Enzym aber sei nur in der Lage, aus der Blutgruppe A die Blutgruppe Null herzustellen. An der herrscht aber kein Mangel, weil rund 40 Prozent der Deutschen diese Blutgruppe haben.
"Interessant wird es erst, wenn man auch die Blutgruppe generieren könnte, für die wir in Notfällen einen hohen Bedarf haben", sagt Tonn. Das ist die Blutgruppe Null mit negativem Rhesus-Faktor. Die kann nämlich tatsächlich allen Menschen gespendet werden.
Um diese seltene Blutgruppe zu bekommen, müsste man Blut der Gruppe A-Rhesus-negativ umwandeln. Auch die ist sehr selten, liegt in Deutschland nur bei etwa sechs Prozent. Der Rhesus-Faktor zeigt sich aber nicht in Zuckerablagerungen, sondern besteht aus Eiweißen. Die könnten gar nicht von den Enzymen der kanadischen Wissenschaftler abgebaut werden.

Blutspender weiter gesucht

Momentan bleiben bei der Umwandlung von Blutgruppen mehr Fragen als Antworten zurück. Deshalb gibt es derzeit trotz spannender Ansätze noch keine Alternative zum klassischen Weg - Blutspende von Mensch zu Mensch.
Die hat Tomek Kaczmarek das Leben gerettet. Deshalb wirbt er dafür: "Die Leute schließen ja auch eine Versicherung ab, ohne jetzt überhaupt etwas brauchen zu wollen. Aber mit dem Gedanken, dass mal etwas passieren könnte." So solle man das auch beim Thema Blutspenden sehen: Eine Versicherung für den Fall, dass einem selbst einmal etwas passiert.
Rund 15.000 Blutkonserven werden täglich in Deutschland verbraucht. Noch wird dieser Bedarf gedeckt. Die kanadischen Forscher hoffen, dass ihre Methode eines Tages die Versorgung sogar noch verbessern kann.
Transfusionsmediziner sind da vorsichtiger, denn: Selbst wenn sich die Blutgruppe sicher umwandeln lässt – ohne genügend Spenderblut hilft auch kein Enzym.
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