Entzug de luxe
Für Starlets wie Britney Spears oder Lindsay Lohan ist Drogenentzug fast schon Alltag. Und weil sie reich und schön und luxusverwöhnt sind, checken sie in keine normale Klinik ein, sondern in Etablissements wie Passages in Malibu (Eigenwerbung: die beste Suchtklinik der Welt), Beau Monde in Hollywood oder The Meadows in den Bergen Arizonas. Diese Kliniken werben nicht nur mit „bahnbrechend neuen Methoden“, die bei näherem Hinsehen oft esoterischer Quatsch sind, sondern auch mit Sterne-Küche und luxuriöser Unterbringung.
Sheridan: „Los Angeles ist das Silicon Valley der Entzugskliniken. Längst übersteigt die Anzahl der Betten den lokalen Bedarf, viele unserer Kunden kommen von woanders. Und L.A. ist natürlich L.A.: Wie in New York ist hier fast jeder in irgendeiner Art von Therapie. In der Boulevardpresse liest man immer vom Leid der Stars, besonders in der Unterhaltungsindustrie, wo Drogenmissbrauch zum guten Ton gehört. L.A. zieht viele Talente an, einige schaffen’s, andere nicht, aber alle geraten in dieses von Drogen bestimmte, scheinbar glamouröse Leben.“
Kaffee? Jenny schüttelt Kopf. Den hat sie sich abgewöhnt. Auch Tee trinkt sie nicht mehr. Lieber einen Orangensaft. Sie nimmt zwei Apfelsinen vom gläsernen Büffet und presst sie aus. Dann geht sie raus auf die Terrasse, wo die anderen im Schatten einer Zedernhecke sitzen, und zündet sich eine Zigarette an.
Jenny: „Rauchen ist mein letztes Laster, aber auch das werde ich besiegen.“
Jenny lächelt entschuldigend. Dabei wirft sie ihre dunkelblonden Haare über die Schulter. Sie ist 28, und mit Lastern kennt sie sich aus, denn Jenny ist Alkoholikerin. In Wirklichkeit heißt sie nicht Jenny, aber ihren echten Namen möchte sie nicht preisgeben. Auch die anderen wollen lieber inkognito bleiben. Der Schlacks mit dem puterroten Gesicht, auch er ein Alkoholiker – nennen wir ihn Rick. Daniel ist cracksüchtig, er hat sich die schwarzen Haare zum Kamm hoch gegelt und wippt nervös mit den Füßen. Und Lisa, ein pummliger Teenager mit Stachel-Frisur und gepiercter Lippe, ist tablettenabhängig.
Jenny nippt an ihrem Orangensaft. Sie hat einen anstrengenden Morgen hinter sich. Um acht Sport in einem Fitnesscenter, halb zehn Einzeltherapie hier im Brookside Institut, einer Privatklinik für Suchtkranke in Newport Beach, eine Autostunde südlich von Los Angeles. Noch schnell eine Zigarette. Dann beginnt die Gruppensitzung mit Rick, Daniel und Lisa.
„Wer will eine Familienaufstellung machen?“, fragt die Therapeutin Daniel winkt ab, Lisa schüttelt den Kopf und Tim schaut weg. Jenny nimmt all ihren Mut zusammen: „Ich mach’s“. Sie platziert Daniel als ihren Bruder auf einen Stuhl in der Ecke. Rick gibt ihren Vater: Er sitzt in einem Sessel, weit ab von den anderen, und guckt ab und an rüber. Lisa stellt die Mutter dar. Sie erhält einen Hulareifen, den sie immer wieder über Jenny wirft. Ob sie die Familienaufstellung erklären will? Na ja sagt Jenny, ihr Vater ist Bänker, viel in der Welt unterwegs. Und ihre Mutter konnte nie loslassen.
Mittagspause nach der Gruppentherapie. 20, vielleicht 25 Patienten drängen sich in der schmalen Küche. Es gibt Salate, gedünstetes Gemüse, Reis, dazu Säfte. Kein Fleisch und keine süßen Getränke. Jenny ist mit ihrem Vormittag zufrieden.
„Vor einer Woche hätte ich diese Familienaufstellung noch nicht machen können. Aber ich habe in den letzten Tagen einiges aufgearbeitet, und jetzt war sie sogar richtig befreiend.“
Seit neun Monaten ist Jenny trocken. Davor ist sie dreimal bei den Anonymen Alkoholikern gescheitert.
„Ich finde eine Therapie besser, bei der man lernt, aus sich selbst Kraft zu schöpfen, nicht wie bei Anonymen Alkoholikern, wo man sich einer höheren Macht unterwirft. Es ist besser, Macht über sich selbst zu erlangen als sie zu verlieren.“
Sie stochert in ihrem Essen herum, Appetit will sich nicht einstellen. Auch das ist eine Folge ihres Alkoholismus. Die Probleme haben schon in ihrer Teenagerzeit im Mittleren Westen begonnen, erzählt Jenny. Doch erst mit dem Umzug nach Los Angeles vor acht Jahren ist es richtig schlimm geworden. Hier nimmt etwas. Einen Joint zum Runterkommen nach einem stressigen Arbeitstag, Aufputschmittel für Partys. Beruhigungsmittel um nach durchfeierter Nacht schlafen zu können. Und immer wieder Drinks. Nach der Arbeit in der Bar um die Ecke, beim Mittag- und Abendessen. Irgendwann ist Jenny bei vier Flaschen Wein pro Tag angelangt.
„Ich habe meine Eltern per E-Mail um Hilfe gebeten. Gemeinsam haben wir recherchiert und fünf Suchtkliniken gefunden, deren Therapie nicht auf dem Programm der Anonymen Alkoholiker beruht. Ich habe hier angerufen, mich beraten lassen und mich schließlich fürs Brookside Institute entschieden. Mir gefällt die Büroatmosphäre hier, das wirkt so professionell. Ich komme her, um zu arbeiten, ein bisschen wie in der Schule, nur lerne ich, mein Leben in den Griff zu bekommen.“
Das nüchterne, geschäftsmäßige Ambiente ist nicht das einzige, was das Brookside Institute von Einrichtungen wie der Betty Ford Klinik, der Mutter aller Suchtkliniken unterscheidet. Statt in der Abgeschiedenheit der Wüste residiert es im Bankenviertel von Newport Beach, einen Steinwurf entfernt vom John-Wayne-Flughafen. Die Patienten leben auch nicht in spartanisch eingerichteten Räumen, für deren Sauberkeit sie selbst sorgen müssen, sondern in einem geräumigen Wohnhaus – dort wird ihnen alles abgenommen, vom Putzen bis zum Kochen. Und statt Kitteln tragen die männlichen Ärzte und Therapeuten Anzüge und die weiblichen Kostüme.
Keith Owens schlendert in die Küche, ein großer Mann mit Halbglatze im marineblauen Doppelreiher.
„Wir sind hier in einem gehobenen Viertel. Und wir versuchen, eine behagliche, nicht einschüchternde Atmosphäre zu schaffen, nicht so unpersönlich wie in einem Krankenhaus.“
Keith Owens redet sanft und leise, man muss sich ihm schon zuwenden, um ihn überhaupt zu verstehen. Er fährt Jaguar und ist Mitglied im noblen Santa Ana Country Club. Seine Geschäfte gehen glänzend, alle dreißig Betten sind belegt. 34.950 Dollar kostet die Behandlung pro Monat, die meisten Patienten bleiben 60 Tage. „Der zweite Monat ist günstiger“, beruhigt Owens, „weil einige Tests wegfallen.“ Danach setzen viele die Therapie ambulant fort – für monatlich weitere 8900 Dollar. Jenny geht nun in ihren siebten Monat und hat um einen weiteren verlängert. Alleine hätte sie das nicht bezahlen können, ihre Eltern sind eingesprungen – wie bei den meisten Patienten des Brookside Instituts
„Wer eine Klinik auf diesem Niveau betreiben will, der hat enorme Kosten. Die Therapeuten, die Wissenschaftler, das medizinische Personal – sie alle müssen erstklassig sein. Das ist einfach ein teures Geschäft.“
Owens füllt einen Teller mit Salat. „Mittags immer, sagt er, die schlanke Linie...“ Keith Ownes hat das Brookside Institute vor sieben Jahren gegründet – als eine der ersten Priviatkliniken im Großraum Los Angeles, die Sucht als Symptom psychischer Defekte behandelt. Heute gibt es 26 solcher Kliniken. Und weil die Klientel, die in der Lage ist, 100.000 Dollar und mehr für eine Therapie zu bezahlen, auch in der Stadt der Engel überschaubar ist, wird beim Kampf um Kunden geklotzt. Brookside setzt auf neurowissenschaftliche Methoden wie die Messung und Manipulation von Gehirnströmen, Beau Monde in den Hollywood Hills auf exklusives Ambiente und Sterneküche und Promises in der Jet-Set-Oase Malibu auf den Wohlfühlfaktor mit privatem Strand und die Nähe zu Stars. „Rate mal, wen ich in der Therapie getroffen habe?“, heißt es in einem Werbespot.
Stars und ihre Süchte sind das Thema der Saison in Hollywood. Genüsslich zelebriert die Klatschpresse die neuesten Ausfälle von Britney Spears und Partysternchen Lindsay Lohan oder den Drogentod von Schauspieler Heath Ledger. Gipfel der Geschmacklosigkeit ist die Fernsehserie „Celebrity Rehab“ gewesen, eine Art Big Brother für drogensüchtige Promis aus der dritten Reihe.
Owens: „Nun, das zeigt, wie weit es mit Reality TV mittlerweile gekommen ist: In diesem Land amüsieren wir uns über seltsame Dinge. Traurig, dass diese Sendung mit einer so schlimmen Krankheit Geschäfte macht. Wir werben nicht mit Stars, und wir wollen nichts mit solchen Sendungen zu tun haben. Aber wir verkennen nicht, dass auch diese Leute Hilfe brauchen, und wir würden sie ihnen auch nicht verweigern.“
Der Weg vom Brookside Institute nach Wonderland führt durch Bevery Hills, das Viertel der Reichen und Schönen. Durch den engen, waldigen Laurel Canyon, die alte Hippie-Enklave. Bis die Grundstückspreise explodiert sind und sich die neuen Reichen hier oben niedergelassen haben. Oben auf dem Kamm eine Villa, karmesinrot, efeuumrankt, rundum verglast mit einem mosaikgekachelten Pool.
Der Blick von hier oben ist fantastisch. Nach Norden übers San Fernando Valley bis hinunter nach Malibu. Und nach Süden über Los Angeles bis Santa Monica am Pazifik. Eine Frau mit schwarzen, langen Haaren tritt auf die Veranda und gleitet in den Pool. Dort zieht sie ihren Bahnen, mit gleichmäßigen Kraulzügen.
Wonderland ist die jüngste Nobel-Klinik im Großraum Los Angeles und David Sheridan ist ihr Geschäftsführer. Ein massiger, schwer atmender Mann in Jeans und Polohemd. Er sitzt in einem Strandkorb neben dem Pool und raucht eine Zigarette nach der anderen, bleich, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Sheridan ist ein Ex-Junkie und trockener Alkoholiker, auch die sonstigen Mitarbeiter sind ehemalige Abhängige. Damit ist das Konzept von Wonderland umrissen: Hier geben geheilte Suchtkranke ihre Erfahrungen weiter. Weil das nach Selbsthilfegruppe klingt, betont Sheridan, dass jeder Patient ein individuelles Programm durchläuft, von der Entgiftung bis zur Verhaltenstherapie, einzeln und in der Gruppe.
Etwas mehr als ein Jahr ist Wonderland alt, doch die achtzehn Betten sind bis in den Herbst ausgebucht. Das hängt mit Mike Tyson zusammen. Der ehemalige Boxweltmeister hat letztes Jahr hier eingecheckt – streng geheim und trotzdem wusste es bald alle Welt. Und es hat mit Lindsay Lohan zu tun.
Sheridan: „Ach Lindsay Lohan ... natürlich ist es schön, dass wir durch sie bekannt geworden sind und jetzt als erstklassiges Therapiezentrum gelten. Unsere Kunden haben viel Geld, und sie sind jung. Klar, dass sie oft nicht erkennen, welche Konsequenzen ihre Handlungen haben. Wir können Leuten wie Lindsay zeigen, wie ein Leben ohne Drogen sein kann. Darüber hinaus können wir nur hoffen, dass sie hier etwas gelernt hat und weiß, dass sie nicht allein mit ihren Problemen ist.“
Mit Preisen von 45.000 Dollar im Doppel- und 60.000 im Einzelzimmer liegt Wonderland im mittleren Preissegment. Die Klinik besteht aus drei Häusern, die über den Hügel verteilt sind, jedes bildet eine separate Einheit. Und weil die Kundschaft aus Hochkarätern besteht, wie Sheridan es ausdrückt, haben die Patienten weitgehende Freiheiten. Handys dürfen benutzt werden, wer will, kann sich das Essen von außen kommen lassen. Lindsay Lohan etwa hat während ihrer Zeit in Wonderland für den Film „Ich weiß nicht, wer mich getötet hat“ vor der Kamera gestanden und in einem Nachtclub mit Partygirl Paris Hilton gefeiert. Eskapaden, die eine ganze Branche in Verruf gebracht haben. Sheridan seufzt.
„Wir kontrollieren das Kommen und Gehen unserer Patienten. Jeder erkennt schriftlich an, dass er unter unserer Obhut ist – deshalb das Gitter an der Einfahrt. Aber wir können niemanden zwingen, hier zu blieben. Wir sind keine Psychiatrische Klinik und kein Gefängnis, also haben wir keine rechtliche Handhabe.“
Die junge Frau steigt aus dem Pool und wickelt sich in eine weißes Handtuch. Sheridan stellt sie als Natalie vor. Auch sie möchte nicht, dass ihr wirklicher Name genannt wird. Natalie kommt von der Ostküste. In ihrer Heimatstadt ist sie eine Größe im Nachtleben.
Natalie: „Als Kind wurde bei mir ADS diagnostiziert, ein Aufmerksamkeitsdefizit. Über die Jahre verschrieben mir die Ärzte jede Menge Medikamente, und irgendwann geriet das außer Kontrolle. Sie verschrieben mir zum Beispiel Antidepressiva, wurde ich dann krank gaben sie mir Steroide und dann Ergänzungsmittel, um die Wechselwirkungen der Medikamente zu bekämpfen. Irgendwann war ich tablettensüchtig, ich nahm so zwanzig am Tag. Außerdem habe ich getrunken und Marihuana geraucht. Das Trinken habe ich mit 13 angefangen, an einem normalen Abend kam ich auf eine halbe Flasche Tequila. Ich habe alles in mich rein geschüttet, was ich kriegen konnte "
„Natalie ist kein Einzelfall“, sagt Sheridan und rückt seine Sonnenbrille zurecht. Der Glaube an die schnelle Heilung durch Medikamente ist weit verbreitet, auch unter Ärzten. Und das Verhältnis zum Alkohol ist pathologisch. In ganzen Landstrichen ist der Verkauf verboten, selbst in Großstädten werden Schankgenehmigungen nur unter Auflagen erteilt. Und wer an der Tankstelle eine Dose Bier kauft, erhält sie in einer brauen Papiertüte – was unsichtbar ist, existiert auch nicht. „Drogen und Alkohol sind wie verbotene Früchte“, ergänzt Natalie. Mit zwanzig darf sie laut Gesetz noch nicht trinken, trotzdem ist sie Alkoholikerin – wie neun ihrer Freundinnen auch. Sie alle sind zum Entzug nach Los Angeles gegangen.
Die Branche boomt, kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein neues Therapiezentrum entsteht. Längst mischen auch die großen Konzerne mit: Zwei Kliniken sind kürzlich von Investoren aufgekauft worden.
Sheridan: „Der Markt ist relativ jung, er ist stark gewachsen, und wie jeder neue Markt muss er seinen Weg finden. Wir werden bald eine Marktbereinigung sehen, denn die geschäftliche Seite von Unternehmen wie uns ist außerordentlich kompliziert: Wir sind teilweise ein Kurhaus, teils ein Hotel und teils eine Therapieeinrichtung. Wir müssen die Fürsorge für unsere Kunden mit der Kostenstruktur, der Auslastung und den Marketingerfordernisse in Einklang bringen. Das ist schwer, denn wir haben enorme Fixkosten. Und wenn ich die hanebüchenen Behauptungen betrachte, mit denen manche Kliniken werben, sehe ich dahinter eine große Angst.“
Namen will Sheridan nicht nennen, aber er meint Passages. Die Klinik residiert in einer Protzvilla in Malibu, auf einem Hügel mit atemberaubendem Panoramablick auf die Küste. Nur der Autolärm von Highway 1, der direkt am Pazifik entlang führt, trübt das Idyll. Drinnen ist alles erlesen, die Böden aus Marmor, die Möbel aus Mahagoni. Im Garten steht eine Miniatur der Freiheitsstatue – als Symbol für die Befreiung von eingefahrenen Denkstrukturen, sagt Chris Prentiss, der Gründer und Leiter von Passages. Er hat gerade ein Interview gegeben, in der Hall baut das Fernsehteam die Kameras ab.
Prentiss: „Alkoholismus ist keine Krankheit, wir heilen jeden Tag Alkoholiker und sonstige Süchtige. Genau genommen kurieren wir Abhängigkeiten. Alkoholismus ist doch nur ein erfundenes Wort, um Leute zu beschrieben, die unkontrolliert trinken. Und Abhängigkeiten sind leicht zu kurieren: Man findet ihre Ursachen, beseitigt sie – fertig. Passages hat mit 84,4 Prozent die weltweit höchste Erfolgsquote, und zwar nicht für die letzten sechs Monate, sondern seit 2001 als wir aufgemacht haben.“
Chris Prentiss stellt lässige Eleganz zur Schau: cremefarbene Hose, maßgeschneidertes, in leuchtenden Rottönen gestreiftes Hemd, dazu italienische Slipper. Er ist braungebrannt und seine Zähne sind sehr weiß für einen Mann in den 60ern. Prentiss hat als Immobilienmakler und Autor von Ratgeberbüchern Millionen gemacht. Dann ist sein Sohn Pax süchtig geworden, jedenfalls erzählt Prentiss das so, während er durchs Haus führt. Er hat ihn von Entzug zu Entzug geschleppt. Und sich schließlich auf das Credo seines Bestsellers „Zen oder die Kunst, sein Glück in die eigene Hand zu nehmen“ besonnen. Es lautet: Ich bin glücklich, weil ich glücklich sein will.“ Wenn Glück eine Frage des Wollens ist, hat sich Prentiss gesagt, dann lassen sich so auch Abhängigkeiten kurieren. Und weil das bei Pax funktioniert hat, haben Vater und Sohn Passages gegründet.
Prentiss: „Der Mann im Haus nebenan hat alle Nachbarn gegen uns aufgewiegelt, sie wollten nicht, dass wir kommen. Sie haben uns verklagt und verloren. In seiner Wut wandte er sich an die L.A. Times, die machten ihren Kalifornienteil mit einer Story über uns auf. Binnen einer Woche hatten wir ein halbes Dutzend Fernsehteams hier und alle Welt wusste von uns. Ein tolles Erlebnis.“
Prentiss deutet den Berg hoch. Die beiden Häuser unterhalb der Kuppe hat er kürzlich gekauft. Damit hatte Passages 41 Betten und ist eine der größten Kliniken im Großraum Los Angeles. Und die teuerste obendrein: 67.500 Dollar kostet die dreißigtägige Therapie im Doppelzimmer, 85.000 im Einzelzimmer. Für VIPs steht ein separater Trakt zur Verfügung oder sie mieten gleich eine ganze Villa – zu entsprechenden Preisen. Der Schauspieler Mel Gibson, ein Nachbar von Prentiss, soll hier erfolgreich entzogen haben. In Interviews lässt Prentiss durchscheinen, dass Passgaes bei Baseball- und Footballspielern beliebt ist. Die Sportarten gelten als dopingverseucht.
Seine Medienpräsenz macht Prentiss bei der Konkurrenz nicht gerade beliebt. Kritiker werfen Passages außerdem Scharlatanerie vor. Die angebliche Erfolgsquote von 84,4 Prozent kann Prentiss nicht seriös belegen. Und dass Alkoholismus keine Krankheit ist, wie von ihm behauptet, widerspricht allen wisenschaftlichen Erkenntnissen.
Prentiss: „Worauf ich diese Behauptung stütze? 84 Prozent unserer Kunden sind geheilt! Ein Arzt von der University of California warf mir vor, zwanzig Jahre Forschung zu ignorieren. Klar mache ich das, durch diese Forschung ist die Rückfallquote kein bisschen gesunken, im Gegenteil. So viel halte ich von eurer Forschung! Ein nagelneuer Ansatz war nötig und wir haben ihn gefunden.“
Der nagelneue Ansatz? Prentiss erzählt, dass Passages nur Einzeltherapie anbietet. So muss sich niemand vor anderen erniedrigen. Vor allem die berühmteren unter seinen Kunden wissen das zu schätzen. Wenn nötig begleitet ein Lebenstrainer den Patienten durchs erste Jahr nach der Therapie. Prentiss öffnet die Tür eines Zimmers. Es ist teuer und edel eingerichtet. Und es hat Meerblick – wie alle Patientenzimmer. Durch die Fenster glitzert der Pool. Dahinter Fitnesscenter mit Basketball-Court und Tennisplätzen. An der Wand lehnen Surfbretter – am Wochende geht es mit dem eigenen Lehrer an den Strand.
Dann die Küche. Exquisit sind auch die leiblichen Genüsse, Chefkoch Larry Norman hat Prentiss von der Gourmetkette Wolfgang Puck abgeworben. Zu Mittag gibt es heute Krabbenrisotto und Blattsalate, für Fleischesser Hühnercurry auf Basmatireis. Und zum Nachtisch Crème Brulée. „Auf Sojamilchbasis“, sagt Norman, „sie enthält weniger Kalorien.“
Norman: „Mein geistiger Lehrer predigt, dass wir ein Mantra über unser Essen singen sollen, um es mit Reinheit und göttlicher Energie aufzuladen. So mache ich das auch. Ein japanischer Wissenschaftler hat in diese Richtung experimentiert. Er hat ein Glas Wasser genommen und es mal beschimpft und mal mit netten Worten bedacht. Unterm Mikroskop hat er deutliche Unterschiede in der Struktur des Wassers festgestellt. Das zeigt, was für Kraft in Gedanken und Worten liegt.“
Das Spirituelle spielt eine große Rolle bei Passages, sagt Prentiss. Nach dem Mittagessen gibt er Unterricht in Metaphysik, normalerweise im halbrunden Erkerzimmer vor dem offenen Kamin. Dort steht die tibetanische Gebetsmühle einträchtig neben den Zeichen für Yin und Yang, der Buddha-Statue und Bildern von Jesus Christus, Konfuzius und der Hindu-Göttin Shiva.
Chris Prentiss schaut sich um. Die Sonne straht, es ist nicht zu heiß, und es weht ein angenehmes Lüftchen. Spontan beschließt er, die Stunde heute auf der Terrasse zu geben.
Prentiss: „In diesem Kurs erzähle ich vom Universum, dass wir Teil davon sind. Und, glauben Sie’s oder nicht: Wir sind die Materie, aus der das Universum besteht. Wir sind perfekte Wesen in einer perfekten Welt, und alles, was passiert, ist gut für uns, anders würde es das Universum gar nicht zulassen. Es besteht ja aus uns. Und es will weiter existieren – wir wissen das, weil es existiert. Wenn man dieses wunderbare Konzept verstanden hat, ist der nächste Schritt leicht: Das Universum beschützt mich, es tut mir nichts Böses an, sonst würde es sich ja selbst schaden.“
Langsam versammeln sich die Patienten um einen riesigen Tisch aus Teakholz, an dem 30, 40 Personen Platz finden. Auch ein paar Alumni trudeln ein – ehemalige Patienten, die ihre Therapie erfolgreich abgeschlossen haben. Die Teilnahme am Metaphysikunterricht steht ihnen lebenslang offen – gratis.
Conciatta macht so oft sie kann von diesem Angebot Gebrauch. Sie trägt eine apricotfarbene Designer-Bluse zur schwarzen Designer-Jeans und fährt ein Premium-Auto. Ihr Vater ist ein Großfarmer, er hält mehrere Patente auf gentechnisch veränderte Lebensmittel. Drei Monate hat Conciatta bei Passages therapiert. Ess-Störungen, Alkoholismus, Zockerei, Crack, Pillen – die ganze Palette. Sie hat gelernt, dass sich hinter ihrer Sucht Unsicherheit verborgen hat, ausgelöst durch die Erwartungen ihrer Eltern. Dann hat sie beschlossen, ein anderer Mensch zu werden.
Conciatta: „Möchten Sie mit jemandem Umgang haben, der deprimiert ist oder lieber mit einem glücklichen Menschen? Ich ziehe jemanden wie Chris Prentiss vor, er kleidet sich in bunten Farben, er ist begeisternd und er ist glücklich. Ich war mein ganzes Leben einsam, deprimiert und unsicher. Als ich hier her kam, habe ich beschlossen, zu werden wie er. Denn wenn ich jemanden imitiere, dann einen Siegertypen.“
Jetzt ist sie drogenfrei, ein knappes Jahr schon. Sie streicht sich die brünetten Haare zurück. Das ist viel, sagt sie, und es ist jeden Dollar wert. Dann steigt sie in ihr schwarzes Luxusauto und fährt zurück in die Stadt der Engel.
Kaffee? Jenny schüttelt Kopf. Den hat sie sich abgewöhnt. Auch Tee trinkt sie nicht mehr. Lieber einen Orangensaft. Sie nimmt zwei Apfelsinen vom gläsernen Büffet und presst sie aus. Dann geht sie raus auf die Terrasse, wo die anderen im Schatten einer Zedernhecke sitzen, und zündet sich eine Zigarette an.
Jenny: „Rauchen ist mein letztes Laster, aber auch das werde ich besiegen.“
Jenny lächelt entschuldigend. Dabei wirft sie ihre dunkelblonden Haare über die Schulter. Sie ist 28, und mit Lastern kennt sie sich aus, denn Jenny ist Alkoholikerin. In Wirklichkeit heißt sie nicht Jenny, aber ihren echten Namen möchte sie nicht preisgeben. Auch die anderen wollen lieber inkognito bleiben. Der Schlacks mit dem puterroten Gesicht, auch er ein Alkoholiker – nennen wir ihn Rick. Daniel ist cracksüchtig, er hat sich die schwarzen Haare zum Kamm hoch gegelt und wippt nervös mit den Füßen. Und Lisa, ein pummliger Teenager mit Stachel-Frisur und gepiercter Lippe, ist tablettenabhängig.
Jenny nippt an ihrem Orangensaft. Sie hat einen anstrengenden Morgen hinter sich. Um acht Sport in einem Fitnesscenter, halb zehn Einzeltherapie hier im Brookside Institut, einer Privatklinik für Suchtkranke in Newport Beach, eine Autostunde südlich von Los Angeles. Noch schnell eine Zigarette. Dann beginnt die Gruppensitzung mit Rick, Daniel und Lisa.
„Wer will eine Familienaufstellung machen?“, fragt die Therapeutin Daniel winkt ab, Lisa schüttelt den Kopf und Tim schaut weg. Jenny nimmt all ihren Mut zusammen: „Ich mach’s“. Sie platziert Daniel als ihren Bruder auf einen Stuhl in der Ecke. Rick gibt ihren Vater: Er sitzt in einem Sessel, weit ab von den anderen, und guckt ab und an rüber. Lisa stellt die Mutter dar. Sie erhält einen Hulareifen, den sie immer wieder über Jenny wirft. Ob sie die Familienaufstellung erklären will? Na ja sagt Jenny, ihr Vater ist Bänker, viel in der Welt unterwegs. Und ihre Mutter konnte nie loslassen.
Mittagspause nach der Gruppentherapie. 20, vielleicht 25 Patienten drängen sich in der schmalen Küche. Es gibt Salate, gedünstetes Gemüse, Reis, dazu Säfte. Kein Fleisch und keine süßen Getränke. Jenny ist mit ihrem Vormittag zufrieden.
„Vor einer Woche hätte ich diese Familienaufstellung noch nicht machen können. Aber ich habe in den letzten Tagen einiges aufgearbeitet, und jetzt war sie sogar richtig befreiend.“
Seit neun Monaten ist Jenny trocken. Davor ist sie dreimal bei den Anonymen Alkoholikern gescheitert.
„Ich finde eine Therapie besser, bei der man lernt, aus sich selbst Kraft zu schöpfen, nicht wie bei Anonymen Alkoholikern, wo man sich einer höheren Macht unterwirft. Es ist besser, Macht über sich selbst zu erlangen als sie zu verlieren.“
Sie stochert in ihrem Essen herum, Appetit will sich nicht einstellen. Auch das ist eine Folge ihres Alkoholismus. Die Probleme haben schon in ihrer Teenagerzeit im Mittleren Westen begonnen, erzählt Jenny. Doch erst mit dem Umzug nach Los Angeles vor acht Jahren ist es richtig schlimm geworden. Hier nimmt etwas. Einen Joint zum Runterkommen nach einem stressigen Arbeitstag, Aufputschmittel für Partys. Beruhigungsmittel um nach durchfeierter Nacht schlafen zu können. Und immer wieder Drinks. Nach der Arbeit in der Bar um die Ecke, beim Mittag- und Abendessen. Irgendwann ist Jenny bei vier Flaschen Wein pro Tag angelangt.
„Ich habe meine Eltern per E-Mail um Hilfe gebeten. Gemeinsam haben wir recherchiert und fünf Suchtkliniken gefunden, deren Therapie nicht auf dem Programm der Anonymen Alkoholiker beruht. Ich habe hier angerufen, mich beraten lassen und mich schließlich fürs Brookside Institute entschieden. Mir gefällt die Büroatmosphäre hier, das wirkt so professionell. Ich komme her, um zu arbeiten, ein bisschen wie in der Schule, nur lerne ich, mein Leben in den Griff zu bekommen.“
Das nüchterne, geschäftsmäßige Ambiente ist nicht das einzige, was das Brookside Institute von Einrichtungen wie der Betty Ford Klinik, der Mutter aller Suchtkliniken unterscheidet. Statt in der Abgeschiedenheit der Wüste residiert es im Bankenviertel von Newport Beach, einen Steinwurf entfernt vom John-Wayne-Flughafen. Die Patienten leben auch nicht in spartanisch eingerichteten Räumen, für deren Sauberkeit sie selbst sorgen müssen, sondern in einem geräumigen Wohnhaus – dort wird ihnen alles abgenommen, vom Putzen bis zum Kochen. Und statt Kitteln tragen die männlichen Ärzte und Therapeuten Anzüge und die weiblichen Kostüme.
Keith Owens schlendert in die Küche, ein großer Mann mit Halbglatze im marineblauen Doppelreiher.
„Wir sind hier in einem gehobenen Viertel. Und wir versuchen, eine behagliche, nicht einschüchternde Atmosphäre zu schaffen, nicht so unpersönlich wie in einem Krankenhaus.“
Keith Owens redet sanft und leise, man muss sich ihm schon zuwenden, um ihn überhaupt zu verstehen. Er fährt Jaguar und ist Mitglied im noblen Santa Ana Country Club. Seine Geschäfte gehen glänzend, alle dreißig Betten sind belegt. 34.950 Dollar kostet die Behandlung pro Monat, die meisten Patienten bleiben 60 Tage. „Der zweite Monat ist günstiger“, beruhigt Owens, „weil einige Tests wegfallen.“ Danach setzen viele die Therapie ambulant fort – für monatlich weitere 8900 Dollar. Jenny geht nun in ihren siebten Monat und hat um einen weiteren verlängert. Alleine hätte sie das nicht bezahlen können, ihre Eltern sind eingesprungen – wie bei den meisten Patienten des Brookside Instituts
„Wer eine Klinik auf diesem Niveau betreiben will, der hat enorme Kosten. Die Therapeuten, die Wissenschaftler, das medizinische Personal – sie alle müssen erstklassig sein. Das ist einfach ein teures Geschäft.“
Owens füllt einen Teller mit Salat. „Mittags immer, sagt er, die schlanke Linie...“ Keith Ownes hat das Brookside Institute vor sieben Jahren gegründet – als eine der ersten Priviatkliniken im Großraum Los Angeles, die Sucht als Symptom psychischer Defekte behandelt. Heute gibt es 26 solcher Kliniken. Und weil die Klientel, die in der Lage ist, 100.000 Dollar und mehr für eine Therapie zu bezahlen, auch in der Stadt der Engel überschaubar ist, wird beim Kampf um Kunden geklotzt. Brookside setzt auf neurowissenschaftliche Methoden wie die Messung und Manipulation von Gehirnströmen, Beau Monde in den Hollywood Hills auf exklusives Ambiente und Sterneküche und Promises in der Jet-Set-Oase Malibu auf den Wohlfühlfaktor mit privatem Strand und die Nähe zu Stars. „Rate mal, wen ich in der Therapie getroffen habe?“, heißt es in einem Werbespot.
Stars und ihre Süchte sind das Thema der Saison in Hollywood. Genüsslich zelebriert die Klatschpresse die neuesten Ausfälle von Britney Spears und Partysternchen Lindsay Lohan oder den Drogentod von Schauspieler Heath Ledger. Gipfel der Geschmacklosigkeit ist die Fernsehserie „Celebrity Rehab“ gewesen, eine Art Big Brother für drogensüchtige Promis aus der dritten Reihe.
Owens: „Nun, das zeigt, wie weit es mit Reality TV mittlerweile gekommen ist: In diesem Land amüsieren wir uns über seltsame Dinge. Traurig, dass diese Sendung mit einer so schlimmen Krankheit Geschäfte macht. Wir werben nicht mit Stars, und wir wollen nichts mit solchen Sendungen zu tun haben. Aber wir verkennen nicht, dass auch diese Leute Hilfe brauchen, und wir würden sie ihnen auch nicht verweigern.“
Der Weg vom Brookside Institute nach Wonderland führt durch Bevery Hills, das Viertel der Reichen und Schönen. Durch den engen, waldigen Laurel Canyon, die alte Hippie-Enklave. Bis die Grundstückspreise explodiert sind und sich die neuen Reichen hier oben niedergelassen haben. Oben auf dem Kamm eine Villa, karmesinrot, efeuumrankt, rundum verglast mit einem mosaikgekachelten Pool.
Der Blick von hier oben ist fantastisch. Nach Norden übers San Fernando Valley bis hinunter nach Malibu. Und nach Süden über Los Angeles bis Santa Monica am Pazifik. Eine Frau mit schwarzen, langen Haaren tritt auf die Veranda und gleitet in den Pool. Dort zieht sie ihren Bahnen, mit gleichmäßigen Kraulzügen.
Wonderland ist die jüngste Nobel-Klinik im Großraum Los Angeles und David Sheridan ist ihr Geschäftsführer. Ein massiger, schwer atmender Mann in Jeans und Polohemd. Er sitzt in einem Strandkorb neben dem Pool und raucht eine Zigarette nach der anderen, bleich, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Sheridan ist ein Ex-Junkie und trockener Alkoholiker, auch die sonstigen Mitarbeiter sind ehemalige Abhängige. Damit ist das Konzept von Wonderland umrissen: Hier geben geheilte Suchtkranke ihre Erfahrungen weiter. Weil das nach Selbsthilfegruppe klingt, betont Sheridan, dass jeder Patient ein individuelles Programm durchläuft, von der Entgiftung bis zur Verhaltenstherapie, einzeln und in der Gruppe.
Etwas mehr als ein Jahr ist Wonderland alt, doch die achtzehn Betten sind bis in den Herbst ausgebucht. Das hängt mit Mike Tyson zusammen. Der ehemalige Boxweltmeister hat letztes Jahr hier eingecheckt – streng geheim und trotzdem wusste es bald alle Welt. Und es hat mit Lindsay Lohan zu tun.
Sheridan: „Ach Lindsay Lohan ... natürlich ist es schön, dass wir durch sie bekannt geworden sind und jetzt als erstklassiges Therapiezentrum gelten. Unsere Kunden haben viel Geld, und sie sind jung. Klar, dass sie oft nicht erkennen, welche Konsequenzen ihre Handlungen haben. Wir können Leuten wie Lindsay zeigen, wie ein Leben ohne Drogen sein kann. Darüber hinaus können wir nur hoffen, dass sie hier etwas gelernt hat und weiß, dass sie nicht allein mit ihren Problemen ist.“
Mit Preisen von 45.000 Dollar im Doppel- und 60.000 im Einzelzimmer liegt Wonderland im mittleren Preissegment. Die Klinik besteht aus drei Häusern, die über den Hügel verteilt sind, jedes bildet eine separate Einheit. Und weil die Kundschaft aus Hochkarätern besteht, wie Sheridan es ausdrückt, haben die Patienten weitgehende Freiheiten. Handys dürfen benutzt werden, wer will, kann sich das Essen von außen kommen lassen. Lindsay Lohan etwa hat während ihrer Zeit in Wonderland für den Film „Ich weiß nicht, wer mich getötet hat“ vor der Kamera gestanden und in einem Nachtclub mit Partygirl Paris Hilton gefeiert. Eskapaden, die eine ganze Branche in Verruf gebracht haben. Sheridan seufzt.
„Wir kontrollieren das Kommen und Gehen unserer Patienten. Jeder erkennt schriftlich an, dass er unter unserer Obhut ist – deshalb das Gitter an der Einfahrt. Aber wir können niemanden zwingen, hier zu blieben. Wir sind keine Psychiatrische Klinik und kein Gefängnis, also haben wir keine rechtliche Handhabe.“
Die junge Frau steigt aus dem Pool und wickelt sich in eine weißes Handtuch. Sheridan stellt sie als Natalie vor. Auch sie möchte nicht, dass ihr wirklicher Name genannt wird. Natalie kommt von der Ostküste. In ihrer Heimatstadt ist sie eine Größe im Nachtleben.
Natalie: „Als Kind wurde bei mir ADS diagnostiziert, ein Aufmerksamkeitsdefizit. Über die Jahre verschrieben mir die Ärzte jede Menge Medikamente, und irgendwann geriet das außer Kontrolle. Sie verschrieben mir zum Beispiel Antidepressiva, wurde ich dann krank gaben sie mir Steroide und dann Ergänzungsmittel, um die Wechselwirkungen der Medikamente zu bekämpfen. Irgendwann war ich tablettensüchtig, ich nahm so zwanzig am Tag. Außerdem habe ich getrunken und Marihuana geraucht. Das Trinken habe ich mit 13 angefangen, an einem normalen Abend kam ich auf eine halbe Flasche Tequila. Ich habe alles in mich rein geschüttet, was ich kriegen konnte "
„Natalie ist kein Einzelfall“, sagt Sheridan und rückt seine Sonnenbrille zurecht. Der Glaube an die schnelle Heilung durch Medikamente ist weit verbreitet, auch unter Ärzten. Und das Verhältnis zum Alkohol ist pathologisch. In ganzen Landstrichen ist der Verkauf verboten, selbst in Großstädten werden Schankgenehmigungen nur unter Auflagen erteilt. Und wer an der Tankstelle eine Dose Bier kauft, erhält sie in einer brauen Papiertüte – was unsichtbar ist, existiert auch nicht. „Drogen und Alkohol sind wie verbotene Früchte“, ergänzt Natalie. Mit zwanzig darf sie laut Gesetz noch nicht trinken, trotzdem ist sie Alkoholikerin – wie neun ihrer Freundinnen auch. Sie alle sind zum Entzug nach Los Angeles gegangen.
Die Branche boomt, kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein neues Therapiezentrum entsteht. Längst mischen auch die großen Konzerne mit: Zwei Kliniken sind kürzlich von Investoren aufgekauft worden.
Sheridan: „Der Markt ist relativ jung, er ist stark gewachsen, und wie jeder neue Markt muss er seinen Weg finden. Wir werden bald eine Marktbereinigung sehen, denn die geschäftliche Seite von Unternehmen wie uns ist außerordentlich kompliziert: Wir sind teilweise ein Kurhaus, teils ein Hotel und teils eine Therapieeinrichtung. Wir müssen die Fürsorge für unsere Kunden mit der Kostenstruktur, der Auslastung und den Marketingerfordernisse in Einklang bringen. Das ist schwer, denn wir haben enorme Fixkosten. Und wenn ich die hanebüchenen Behauptungen betrachte, mit denen manche Kliniken werben, sehe ich dahinter eine große Angst.“
Namen will Sheridan nicht nennen, aber er meint Passages. Die Klinik residiert in einer Protzvilla in Malibu, auf einem Hügel mit atemberaubendem Panoramablick auf die Küste. Nur der Autolärm von Highway 1, der direkt am Pazifik entlang führt, trübt das Idyll. Drinnen ist alles erlesen, die Böden aus Marmor, die Möbel aus Mahagoni. Im Garten steht eine Miniatur der Freiheitsstatue – als Symbol für die Befreiung von eingefahrenen Denkstrukturen, sagt Chris Prentiss, der Gründer und Leiter von Passages. Er hat gerade ein Interview gegeben, in der Hall baut das Fernsehteam die Kameras ab.
Prentiss: „Alkoholismus ist keine Krankheit, wir heilen jeden Tag Alkoholiker und sonstige Süchtige. Genau genommen kurieren wir Abhängigkeiten. Alkoholismus ist doch nur ein erfundenes Wort, um Leute zu beschrieben, die unkontrolliert trinken. Und Abhängigkeiten sind leicht zu kurieren: Man findet ihre Ursachen, beseitigt sie – fertig. Passages hat mit 84,4 Prozent die weltweit höchste Erfolgsquote, und zwar nicht für die letzten sechs Monate, sondern seit 2001 als wir aufgemacht haben.“
Chris Prentiss stellt lässige Eleganz zur Schau: cremefarbene Hose, maßgeschneidertes, in leuchtenden Rottönen gestreiftes Hemd, dazu italienische Slipper. Er ist braungebrannt und seine Zähne sind sehr weiß für einen Mann in den 60ern. Prentiss hat als Immobilienmakler und Autor von Ratgeberbüchern Millionen gemacht. Dann ist sein Sohn Pax süchtig geworden, jedenfalls erzählt Prentiss das so, während er durchs Haus führt. Er hat ihn von Entzug zu Entzug geschleppt. Und sich schließlich auf das Credo seines Bestsellers „Zen oder die Kunst, sein Glück in die eigene Hand zu nehmen“ besonnen. Es lautet: Ich bin glücklich, weil ich glücklich sein will.“ Wenn Glück eine Frage des Wollens ist, hat sich Prentiss gesagt, dann lassen sich so auch Abhängigkeiten kurieren. Und weil das bei Pax funktioniert hat, haben Vater und Sohn Passages gegründet.
Prentiss: „Der Mann im Haus nebenan hat alle Nachbarn gegen uns aufgewiegelt, sie wollten nicht, dass wir kommen. Sie haben uns verklagt und verloren. In seiner Wut wandte er sich an die L.A. Times, die machten ihren Kalifornienteil mit einer Story über uns auf. Binnen einer Woche hatten wir ein halbes Dutzend Fernsehteams hier und alle Welt wusste von uns. Ein tolles Erlebnis.“
Prentiss deutet den Berg hoch. Die beiden Häuser unterhalb der Kuppe hat er kürzlich gekauft. Damit hatte Passages 41 Betten und ist eine der größten Kliniken im Großraum Los Angeles. Und die teuerste obendrein: 67.500 Dollar kostet die dreißigtägige Therapie im Doppelzimmer, 85.000 im Einzelzimmer. Für VIPs steht ein separater Trakt zur Verfügung oder sie mieten gleich eine ganze Villa – zu entsprechenden Preisen. Der Schauspieler Mel Gibson, ein Nachbar von Prentiss, soll hier erfolgreich entzogen haben. In Interviews lässt Prentiss durchscheinen, dass Passgaes bei Baseball- und Footballspielern beliebt ist. Die Sportarten gelten als dopingverseucht.
Seine Medienpräsenz macht Prentiss bei der Konkurrenz nicht gerade beliebt. Kritiker werfen Passages außerdem Scharlatanerie vor. Die angebliche Erfolgsquote von 84,4 Prozent kann Prentiss nicht seriös belegen. Und dass Alkoholismus keine Krankheit ist, wie von ihm behauptet, widerspricht allen wisenschaftlichen Erkenntnissen.
Prentiss: „Worauf ich diese Behauptung stütze? 84 Prozent unserer Kunden sind geheilt! Ein Arzt von der University of California warf mir vor, zwanzig Jahre Forschung zu ignorieren. Klar mache ich das, durch diese Forschung ist die Rückfallquote kein bisschen gesunken, im Gegenteil. So viel halte ich von eurer Forschung! Ein nagelneuer Ansatz war nötig und wir haben ihn gefunden.“
Der nagelneue Ansatz? Prentiss erzählt, dass Passages nur Einzeltherapie anbietet. So muss sich niemand vor anderen erniedrigen. Vor allem die berühmteren unter seinen Kunden wissen das zu schätzen. Wenn nötig begleitet ein Lebenstrainer den Patienten durchs erste Jahr nach der Therapie. Prentiss öffnet die Tür eines Zimmers. Es ist teuer und edel eingerichtet. Und es hat Meerblick – wie alle Patientenzimmer. Durch die Fenster glitzert der Pool. Dahinter Fitnesscenter mit Basketball-Court und Tennisplätzen. An der Wand lehnen Surfbretter – am Wochende geht es mit dem eigenen Lehrer an den Strand.
Dann die Küche. Exquisit sind auch die leiblichen Genüsse, Chefkoch Larry Norman hat Prentiss von der Gourmetkette Wolfgang Puck abgeworben. Zu Mittag gibt es heute Krabbenrisotto und Blattsalate, für Fleischesser Hühnercurry auf Basmatireis. Und zum Nachtisch Crème Brulée. „Auf Sojamilchbasis“, sagt Norman, „sie enthält weniger Kalorien.“
Norman: „Mein geistiger Lehrer predigt, dass wir ein Mantra über unser Essen singen sollen, um es mit Reinheit und göttlicher Energie aufzuladen. So mache ich das auch. Ein japanischer Wissenschaftler hat in diese Richtung experimentiert. Er hat ein Glas Wasser genommen und es mal beschimpft und mal mit netten Worten bedacht. Unterm Mikroskop hat er deutliche Unterschiede in der Struktur des Wassers festgestellt. Das zeigt, was für Kraft in Gedanken und Worten liegt.“
Das Spirituelle spielt eine große Rolle bei Passages, sagt Prentiss. Nach dem Mittagessen gibt er Unterricht in Metaphysik, normalerweise im halbrunden Erkerzimmer vor dem offenen Kamin. Dort steht die tibetanische Gebetsmühle einträchtig neben den Zeichen für Yin und Yang, der Buddha-Statue und Bildern von Jesus Christus, Konfuzius und der Hindu-Göttin Shiva.
Chris Prentiss schaut sich um. Die Sonne straht, es ist nicht zu heiß, und es weht ein angenehmes Lüftchen. Spontan beschließt er, die Stunde heute auf der Terrasse zu geben.
Prentiss: „In diesem Kurs erzähle ich vom Universum, dass wir Teil davon sind. Und, glauben Sie’s oder nicht: Wir sind die Materie, aus der das Universum besteht. Wir sind perfekte Wesen in einer perfekten Welt, und alles, was passiert, ist gut für uns, anders würde es das Universum gar nicht zulassen. Es besteht ja aus uns. Und es will weiter existieren – wir wissen das, weil es existiert. Wenn man dieses wunderbare Konzept verstanden hat, ist der nächste Schritt leicht: Das Universum beschützt mich, es tut mir nichts Böses an, sonst würde es sich ja selbst schaden.“
Langsam versammeln sich die Patienten um einen riesigen Tisch aus Teakholz, an dem 30, 40 Personen Platz finden. Auch ein paar Alumni trudeln ein – ehemalige Patienten, die ihre Therapie erfolgreich abgeschlossen haben. Die Teilnahme am Metaphysikunterricht steht ihnen lebenslang offen – gratis.
Conciatta macht so oft sie kann von diesem Angebot Gebrauch. Sie trägt eine apricotfarbene Designer-Bluse zur schwarzen Designer-Jeans und fährt ein Premium-Auto. Ihr Vater ist ein Großfarmer, er hält mehrere Patente auf gentechnisch veränderte Lebensmittel. Drei Monate hat Conciatta bei Passages therapiert. Ess-Störungen, Alkoholismus, Zockerei, Crack, Pillen – die ganze Palette. Sie hat gelernt, dass sich hinter ihrer Sucht Unsicherheit verborgen hat, ausgelöst durch die Erwartungen ihrer Eltern. Dann hat sie beschlossen, ein anderer Mensch zu werden.
Conciatta: „Möchten Sie mit jemandem Umgang haben, der deprimiert ist oder lieber mit einem glücklichen Menschen? Ich ziehe jemanden wie Chris Prentiss vor, er kleidet sich in bunten Farben, er ist begeisternd und er ist glücklich. Ich war mein ganzes Leben einsam, deprimiert und unsicher. Als ich hier her kam, habe ich beschlossen, zu werden wie er. Denn wenn ich jemanden imitiere, dann einen Siegertypen.“
Jetzt ist sie drogenfrei, ein knappes Jahr schon. Sie streicht sich die brünetten Haare zurück. Das ist viel, sagt sie, und es ist jeden Dollar wert. Dann steigt sie in ihr schwarzes Luxusauto und fährt zurück in die Stadt der Engel.

Hollywood-Schild in den Hollywood Hills© AP Archiv